Kindheit in der Zechensiedlung (6) – Ein Roller mit Gummireifen…

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Howard B.

Bärbel Howarde

In der heutigen Folge:

Ein Roller mit Gummireifen von Schulte – Braucks

Mit fünf Jahren bekam ich meinen ersten „richtigen“ Roller. Richtig heißt in diesem Fall ein Roller mit Gummireifen. Er war blau und von meinen Eltern wie manche größere Anschaffung auf Abzahlung gekauft. In diesem Fall bei der Firma Schulte-Braucks, dem führenden Spielzeug – und Fahrradgeschäft in am Ort – weil das Einzige.

Vorher hatte ich mich mit einem Holzroller begnügen müssen und als anerkannter Bewegungslegastheniker das Fahrzeug nie richtig in den Griff bekommen. Bei meinem neuen Roller wurde alles anders. Schon in kürzester Zeit beherrschte ich Tricks wie mit einer Hand fahren, Bein überm Lenker, Füße auf dem Gepäckträger oder Schwung zu holen auf der kleinen Mauer, die die Vorgärten unserer Nachbarshäuser abgrenzte. Natürlich ging das Ganze nicht immer ohne Blessuren ab. Hautabschürfungen und blaue Flecken waren an der Tagesordnung. Da ich gerade im Zahnwechsel stand, wären ausgeschlagene Zähne auch nicht weiter aufgefallen. Aber dazu ist es nie gekommen. Meine über den Winter mühsam zugeheilten Knie waren spätestens nach den ersten Frühjahrssonnenstrahlen wieder im alten Zustand. Überhaupt: Ich war ein Schussel und Bodenakrobat mit ständig irgendwelchen Verletzungen und Macken.

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Als ich eingeschult war und den Kinderhort besuchte, durfte ich den kurzen Weg dorthin mit meinem Roller fahren, was zu folgendem Vorfall führte: Mein Urgroßvater war gestorben und während meine Eltern und Großeltern an der Beisetzung teilnahmen, wurde ich in den Kinderhort geschickt, natürlich mit dem Roller. Weil ich danach zur Verwandtschaft stoßen sollte, die sich nach der Beisetzung des Ur-Opas zum Kaffeetrinken traf, wurde ich entsprechend ausgestattet. Dunkelblaues Samtkleid mit Spitzenkragen, weiße Söckchen und Lackschuhe. Die Kleider nähte übrigens als gelernte Schneiderin meine Tante. Meine Oma kaufte den Stoff bei einem Händler, der von Tür zu Tür ging und Kleiderstoffe und Aussteuerwaren anbot – die Warnung  unten  ignorierend –  und meine Tante nähte für mich und meine beiden Cousinen identische Kleidchen daraus. So aufgehübscht fuhr ich also in den Hort. Und es ging auch alles gut – bis auf die Rückfahrt. Da muss mich eine unverhoffte Windböe oder – was man damals noch nicht kannte – Aquaplaning aus der Kurve getragen haben. Ich fiel also auf Deutsch gesagt auf die Schnauze und mein so sorgfältig gewähltes Outfit war dahin. Mein Samtkleid war von der Ärmelnaht bis unterhalb der Taille aufgerissen, dass man die Unterwäsche sah, und Schuhe und Söckchen waren auch in einem völlig desolaten Zustand. Von meinen aufgeschlagenen Knien mal ganz abgesehen. Ich war also nicht mehr das schlaue, liebe Vorzeigekind und wurde auch gleich von meiner Mutter nach Haus abtransportiert. Ich glaube, damals waren meine Eltern kurz davor, mich zur Adoption freizugeben.

Kindheit Folge 5 Warnung

Wenig sinnhafte Regelungen werden meist zu Recht nicht eingehalten

 

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