Kindheit in der Zechensiedlung (7) – Von Kohlenschiebern und Invaliden

In der heutigen Folge:Howard B.

Von Kohlenschiebern und Invaliden

Die Zeche war der Motor der Kolonie. Sie gab den Männern Arbeit und den Familien ein eher bescheidenes Einkommen. Allerding waren die Hauerlöhne gemessen an den Gehältern der kleineren Beamten schon ganz passabel. Man sagte immer: „Bahn und Post geht dahin, wo`s nichts kost!“

Es gab preiswerten Wohnraum und kostenloses Heizmaterial in Form von Deputat-Kohle, die man bei den Kohlenschiebern noch zu etwas Bargeld machen konnte. Das waren Männer, die in den Straßen der Kolonie unterwegs waren, wenn es Kohlen gegeben hatte. Sie kauften die Kohle gegen Bares und verkauften sie dann weiter. Was man damals für eine Tonne Kohle bekam, weiß ich nicht, aber ich kannte keinen Kohlenschieber, der es nicht zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte.

Kindheit in der Zechensiedlung Küche

Blick in die typische Küche einer Bergmannfamilie

Der Bergbau besaß sein eigenes Sozialversicherungssystem, die “Knappschaft“. Sie unterhielt eigene Krankenhäuser und Kurheime und sorgte auch mit etwas höheren Rentenversicherungsbeträgen dafür, dass die Kumpels nach ihrem Berufsleben über eine recht ansehnliche Rente verfügten. Die meisten Bergleute waren schon mit 50 Jahren verrentet. Das war kein Wunder, denn die Knochenarbeit und die ungesunden Arbeitsbedingungen unter Tage sorgten für einen frühen körperlichen Verfall. Auch gab es die berufsbedinge Staublunge, vom Bergmann nur „Staub“ genannt, hervorgerufen durch Kieselsäure in den Staubwolken, die beim Abbau des Gesteins entstanden. Das Silicat sorgte für die Verhärtung der Lungenbläschen und führte zu einem langen qualvollen Tod, wie ich bei meinem Urgroßvater selbst erleben konnte. Der „Staub“ war geliebt und gehasst zugleich. Zum einen führte er zu einem satten Rentenaufschlag. Aber auch zu einem fürchterlichen Todeskampf. Es gab aber auch immer wieder einige Laiendarsteller, die versuchten, bei dem Vertrauensarzt der Knappschaft die Anerkennung dieser Berufserkrankung durchzusetzen.

Kindheit Foto 7 Hansemann

Blick auf die Zeche Adolf von Hansemann

Man nannte die Rentner nicht „Rentner“, sondern „Invaliden“, zu erkennen an einem dunkelgrauen Regenmantel , dem Klepper- oder Silikosemantel. Er war geschnitten wie ein Kutschermantel und hatte einen Koller, der auf dem Rücken in Falten fiel, wie die Halskrause eines norddeutschen evangelischen Pastors. Fast alle gingen sie am Stock und verbrachten gerne die Zeit damit, in kleinen Gruppen zusammenstehend ein „Prölken“ zu halten oder die umliegenden Kneipen auf ein Bier mit „Kurzem“ zu besuchen. Die Invaliden nutzten ihren sorgenfreien Lebensabend und manch einer, der bis zur Rente auf „Sterbender Schwan“ gemachten hatte, erlebte danach eine Wunderheilung. Was von seiner Umwelt durchaus registriert und entsprechend kommentiert wurde. Viele starben auch früh an ihren Krankheiten. Andere wurden 70 Jahre alt und älter und für diese Personengruppe war als Markenzeichen der “Mercedes-Stern” erfunden worden. Es war schon deutlich schwarzer Humor im Spiel, wenn gesagt wurde: Wer einen Invaliden mit Hilfe des Sterns als Zieleinrichtung überfährt, bekommt eine Prämie von der Knappschaft.

Gott sei Dank gab es kaum einen Mercedes in der Kolonie.