Kindheit in der Zechensiedlung (14)

Stille Heldinnen im zweiten Weltkrieg

Howard B.

Bärbel Howarde

Mein Vater ist 1924 im Klinikviertel in Dortmund geboren worden und dort aufgewachsen. Sein Vater, mein Großvater, war ein strammer Nazi und an den Straßenkämpfen mit Sozialisten und Kommunisten am Körner Platz aktiv beteiligt. Es ist weitgehend unbekannt, dass Dortmund nach Gründung der NSDAP die zweitgrößte Anzahl der Parteimitglieder hatte, nach München. Gleich zu Beginn des Polenfeldzugs folgte mein Großvater freiwillig dem Ruf des „Führers“ in den Krieg. Er war bei der Militärpolizei, ein sogenannter „Kettenhund“ und wurde 1943 in Russland „auf Wache“ von einem Partisanen erschossen, so hieß es.

Ich habe ihn also nie kennengelernt. Mein Vater, der Partei nicht besonders zugetan, folgte ihm kurze Zeit später mit 18 Jahren, aber trotzdem freiwillig an die Front. Er war zunächst in Russland, wurde nach einer Verwundung später in Holland eingesetzt. Zum Ende des Krieges geriet er in amerikanische Gefangenschaft und musste fast drei Jahre in Nordfrankreich im Bergbau arbeiten. Danach blieb er dort noch eine Zeit als Zivilist und kam erst 1949 wieder nach Deutschland zurück. Seine Mutter wohnte inzwischen mit den jüngeren Geschwistern in Nette. Die frühere Wohnung der Familie war bei einem der schweren Angriffe auf Dortmund ausgebombt worden. Alles Hab und Gut war verbrannt, einschließlich der von meinem Vater so geliebten Briefmarkensammlung meines Großvaters.

Die Familie meiner Mutter Jahrgang 1927 war nie in der Partei. So hatten es die Geschwister auch schwer, eine Lehrstelle zu finden, weil sie nicht den damals üblichen Jugendorganisationen, wie z. B. der „Hitlerjugend“ angehörten. Mein Großvater war als Bergmann für den Rüstungswahn unabkömmlich und meine Großmutter interessierte sich sowieso nicht für Politik, wie damals die meisten Frauen. Meine Mutter absolvierte das übliche Pflichtjahr bei einer Familie mit vier Kindern in Bodelschwingh. Die Eltern dieser Kinder waren gläubige Anhänger des herrschenden Systems und hatten Lebensmittel im Überfluss, obwohl die breite Bevölkerung schon hungern musste.

In dieser Zeit – das war bereits gegen Ende des Krieges  – entkam meine Mutter auf dem Weg zu ihrem Dienst nach Bodelschwingh durch das freie Feld zwischen “Ammerbaum“ und „Wachteloh“ nur knapp einem Angriff amerikanischer Tiefflieger. Das waren Begleitjäger der Bomben-Flugzeuge, und weil sie kaum noch auf Widerstand durch deutschen Abfangjäger stießen, verschossen sie ihre Munition, bevor sie zu ihren Stützpunkten zurückkehrten. Sie schossen gegen Ende des Krieges auf Güterzüge oder Straßenbahnen und auf alles was sich bewegte. Als am 7.4.1945 die ersten Amerikaner Dortmund erreichten, war die Stadt zu 93 % zerstört.

Mein Onkel, ein Jahr jünger als meine Mutter, war als Flak-Helfer im Einsatz und bekam kurz vor Ende des Krieges, als die letzten Kräfte vom Jungen bis zum Greis noch einmal mobilisiert wurden, einen Gestellungsbefehl. Er war gerade mal 17 Jahre alt. Meine Großmutter, eine resolute Frau, verbrannte seine Uniform und versteckte ihn bis zum Einzug der Amerikaner hinter den Kohlen im Keller. Sie hat ihm so vielleicht das Leben gerettet.

Eine andere stille Heldin des damaligen Alltags möchte ich noch erwähnen, deshalb nenne ich sie auch mit Namen. Frau Bellert, eine Nachbarin, kam mit anderen auf dem Weg zum Bunker in der Steinhalde an der Dönnstraße an einem Tross von Zwangsarbeitern vorbei, die in der Mengeder Heide in einem Lager interniert waren. Sie wurden zu ihrem Arbeitsplatz getrieben und einer der Aufseher schlug auf einen Gefangen brutal ein. Frau Bellert warf sich dazwischen mit den Worten: „Mein Junge ist auch in Russland und ich möchte nicht, dass man ihn so behandelt!“

Das Eingreifen dieser mutigen Frau hatte zum Glück keine Folgen. Es hätte aber auch für sie durchaus im KZ enden können.

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