Störfälle – von Peter Grohmann

StörfälleOhne Titel 6

Ein Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 20.4.2016

Die Einzigen, die wirksame Kontrollen beim internationalen Steuerbetrug verhindern, sind die Deutschen. Lassen wir diesen Vorwurf auf uns sitzen? Ja.

Was lag sonst noch an die Woche? Kontrollen, Prüfungen und Störfälle. Alle 100 000 Jahre ein Atomunfall, sagen die verdienstvollen Märchenerzähler der Atomwirtschaft. “Wie schnell doch die Zeit vergeht, Peter!”, tät da meine Omi Glimbzsch in Zittau sagen. Aus Erfahrung weiß sie: Es gibt normale Prüfungen und ordentlich protokollierte Prüfungen. Und dann gibt es Prüfungen, die zwar ordentlich protokolliert wurden, aber nie stattgefunden haben – also Nichtprüfungen.

Bei einer ordentlich protokollierten Nichtprüfung eines Atomkraftwerks gibt es in der Regel keinen Ärger mit Herrn Untersteller ­– und anderen Unterstellern. Denn radioaktive Niederschläge kommen auf dem Papier gar nicht erst vor – was wesentlich zur Volksgesundheit beträgt (weniger Stress). So eine Nichtprüfung ist im Endeffekt deutlich preiswerter. Noch preiswerter ist natürlich Outsourcing – warum nicht an chinesische oder japanische Prüf-Dienstleister? Dort lebt geschultes Prüfpersonal, das bei einem GAU schnell im Nebel Pekings verschwinden kann.

Und was würde die Nichtprüfung der Dieselgifte durch Autominister Alexander Dobrindt (VW/CSU) bringen? Die Unprüfung von Todesfällen? Auch beim Bettvorleger der Autoindustrie, dem Kraftfahrt-Bundesamt, scheint unbekannt zu sein, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 35 000 Menschen durch Dieselgifte & Co. KG vom Leben zum Tode kommen, also zehnmal so viele wie im Verkehr. Meine Omi Glimbzsch hat ‘n Trabbi überlebt, nu wird sie ooch am manipulierten VW Passat nich sterben.

Ach, übrigens: Am Ufer des Neckars verläuft ein alter schnuckeliger Leinpfad quasi mitten durch das Werksgelände des Neckarwestheimer Atomkraftwerks. Zur Sicherstellung des für diesen Pfad nach wie vor geltenden Wegerechts ist jeweils ein Tor im Sicherheitszaun, an dem z. B. Salah Abdeslam, wenn er je wieder neckaraufwärts wandert, einfach klingeln kann. Er würde dann in Begleitung des atomaren Wachpersonals das Betriebsgelände durchqueren können. Wär doch eine Prüfung wert.

In Erinnerung an die Nichtprüfungen (manipulierte Auswahl)
Los Alamos ’45, Los Alamos ’46, Chalk River, Idaho Falls, Majak/Kyschtym, Windscale/Sellafield ’57, Los Alamos ’58, Simi Valley, Knoxville, Idaho Falls, Charlestown/Rhode Island, Melekes, Monroe, Lucens, Rocky Flats, Windscale/Sellafield, AKW Leningrad, AKW Belojarsk ’77, AKW Bohunice, AKW Belojarsk ’78, Three Mile Island/Harrisburg, Saint-Laurent, Tschernobyl ’82, Wladiwostok, Gore, Tschernobyl (Super-GAU), Tomsk-7/Sewersk, Tokaimura, Fleurus, Fukushima (Super-GAU)
Anmerkung: Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Stuttgarter Bürgerprojekts “Die AnStifter”.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit 5 Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne.
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