Buchempfehlung  – Projekt Europa

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Mario Lars: Bücher

Warum Europa eine Republik werden muss!
Eine politische Utopie

Richtigerweise wurde nach dem „Brexit” beklagt, dass rationale Gründe im Abstimmungsverfahren kaum eine Rolle gespielt haben. Eine starke Antriebskraft für die Befürworter des Ausstiegs war das feindselig wahrgenommene Brüssel, nicht nur von vielen Briten. Zur wenig nachvollziehbaren intransparenten Krisenpolitik gesellt sich der autoritäre Stil der EU-Kommission.

Spätestens damit wurde vielen klar, dem augenblicklichen Europa fehlt eine positive Erzählung. Nur so kann es gelingen, die Idee von Europa wieder neu zu erwecken und die Gemeinschaft durch Reformen zu stärken. Eine Erzählung, die beispielweise all denen etwas Glaubhaftes entgegenhält, die Ängste vor dem Fremden spüren oder all denen, die Europa lediglich als ein bürokratisches Monster erleben.

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Eine solche Erzählung fällt weder vom Himmel noch kommt sie in einer der vielen bürokratischen Arbeitskreise der EU zustande. Sie muss in einem Prozess erarbeitet werden, an dem sich viele beteiligen können müssen, vor allem auch diejenigen, die der bisherigen europäischen Entwicklung skeptisch gegenüberstehen.

Wer diese grundsätzlichen Überlegungen anstellt, dem kommt das kürzlich im Dietz-Verlag erschienene Buch von Ulrike Guérot* sehr gelegen. Sein Titel: „Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie.“

„Es ist Zeit, Europa neu zu denken. ’Res publica’ bedeutet Gemeinwohl – daran fehlt es in der EU am meisten. Weg mit der Brüsseler Trilogie aus Rat, Kommission und Parlament! Die Nationalstaaten pervertieren die europäische Idee und spielen Europas Bürger gegeneinander aus. Her mit einer Idee für Europas Zukunft: Alle europäischen Bürger haben das gleiche politische Recht. Vernetzt die europäischen Regionen! Schafft ein gemeinsames republikanisches Dach! Wählt einen europäischen Parlamentarismus, der dem Grundsatz der Gewaltenteilung genügt.“
So heißt es auf dem Klappentext dieses Buches, und das macht Hoffnung auf fundierte Analysen, die nicht enttäuscht werden. Vor allem besticht es durch kundige Hintergrundinformationen. Insgesamt also ein Buch, das erfrischend zu lesen ist in diesen Zeiten, in denen populistische Politiker in Ost und West mit einfachen Wahrheiten wie die Rattenfänger durchs Land ziehen. Wo man sich verwundert die Augen reibt und die Frage stellt, warum denn die Idee von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit derart an Strahlkraft eingebüßt hat.

Das Kap. 1 ihres Buches überschreibt die Autorin „Die europäische Malaise“. Sie lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, wenn es dort auf S. 24 ff. u. a. heißt: „Fast physisch schmerzt der Verrat der europäischen Idee durch die Nationalstaaten.Verraten die Menschenrechte, die erst im Mittelmeer ertränkt, dann im Schlamm der Balkanroute zertreten wurden.“ Sie schreibt vom „aktuellen Geschacher, das auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen wird“ , von der deutschen und europäischen Anbiederung an die Türkei, die vor dem Hintergrund der humanitären Situation im griechischen Idomenie nur noch als erbärmlich zu bezeichnen seien. Sie fährt fort: “Verraten das Versprechen einer politischen Union, das im Sumpf einer immer windigeren Brüsseler Technokratie vergessen wurde. Verraten die Idee der Grenzenlosigkeit, die jetzt an Zäunen endet. Verraten die Idee der Überwindung von Nationalismus und Populismus, die gerade wieder fröhliche Urstände feiern. Verraten der Traum von einem sozialen Europa, einem Europa der wirtschaftlichen Konvergenz, so wie es im Vertrag von Maastricht noch stand, das aber von einem neoliberalen Binnenmarkt gegenstandslos gemacht wurde. Verraten die nächste und übernächste Generation, der man durch die Sozialisierung der Bankschulen die Kosten für eine schamlose Finanzmarktparty aufgebürdet hat. Den Sparern, denen man jetzt durch Niedrigzinsen die Spareinlagen und Lebensversicherungen wegfrisst. Die EU hat viele Verlierer produziert in den vergangenen Jahren und nur wenige, aber große Gewinner.“

Im Deutschlandradio Kultur sagte Ulrike Guérot zu ihrer „politischen Utopie“: „Ich habe ein Buch geschrieben, um meiner grenzenlosen Wut Ausdruck zu verleihen, weil mein Land – Deutschland – sein Versprechen, das es 1989 abgegeben hat, dass deutsche und europäische Einigung zusammengehören, bis heute nicht eingelöst hat.“ Dieses Buch sei in ein grollendes Gewitter hineingeschrieben – so die Autorin – in der so ziemlich alles verraten wird, was einst als europäische Werte gehandelt und verstanden wurde: Würde, Freiheit, Demokratie , Rechtsstaat und gutes Regieren.

Es wäre für sie sicher einfach gewesen, in diesem Sinn fortzufahren und ein ganzes Buch nur mit dem Elend des gegenwärtigen Europas zu füllen. Nicht umsonst nennt die Autorin den Untertitel „ Eine politische Utopie“. Deshalb befasst sie sich auch intensiv mit dem Umbau des jetzigen Europas zu einer demokratisch gestützten Republik – mit den Möglichkeiten, Chancen und Risiken. Diese Republik würde kein Zentralstaat sein – sie würde es allein schon wegen der kulturellen Vielfalt und der unterschiedlichen Größe der einzelnen Regionen nicht sein können.

Exkurs: Politische Utopie
Der Hauptinhalt einer Utopie ist häufig eine Gesellschaftsvision, in der Menschen ein alternatives Gesellschaftssystem praktisch leben. Obgleich man den Begriff Utopie herkömmlich als Synonym für optimistisch-fantastische Ideale benutzt, kann eine Utopie in ihrem gesellschaftskritischen Aspekt durchaus gegenwärtig-praktisch ausgelegt werden und erlangt somit neben ihrer fantastischen Perspektive eine gegenwartsbezogen-kritische. Befürworter sehen neue Möglichkeiten am Horizont heraufziehen. Gegner verneinen diese und warnen vor unerwünschten oder unbedachten möglichen Folgen.
Eine Utopie zeichnet sich in der Regel dadurch aus, dass sie zur Zeit ihrer Entstehung als nicht sofort realisierbar gilt. Dies gründet sich meist vor allem darin, dass die Verwirklichung von einer Mehrheit oder Machtelite nicht gewollt oder von der Machtelite als nicht wünschenswert abgelehnt wird. (Zusammenfassung nach wikipedia)

Die “politische Utopie” von Ulrike Guérot  ist ergebnisoffen  – wie wir heute sagen. Wie sie umgesetzt wird und in welchem Zeitraum, können wir heute noch nicht wissen. Aber wir wissen: Das alte Europa wird untergehen müssen, damit an seine Stelle etwas Neues entstehen kann – die RePublik Europa.
Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit – Ideale seit der Französischen Revolution werden dann wieder ihre ursprüngliche Bedeutung bekommen.

Robert Menasse, mit dem Ulrike Guérot 2013 ein Manifest zur „Gründung einer Europäischen Republik“ veröffentlich hat, schreibt zu dem vorliegenden Buch: „Man denkt fröhlich mit, freut sich an der klaren Vision und will dann gleich an die Arbeit gehen – an die Arbeit der Errichtung der Europäischen Republik.“

*Ulrike Guérot (* 1964 in Grevenbroich) ist Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems, Gründerin und Direktorin des „European Democracy Lab“ (EDL) Berlin, und beschäftigt sich mit der Zukunft der europäischen Demokratie. Ziel dieses European Democracy Labs ist die Verwirklichung eines Europas auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit aller europäischen Bürger sowie die Ausgestaltung einer europäischen Demokratie, die dem Prinzip der Gewaltenteilung entspricht.
Guérot studierte Politikwissenschaft und wurde 1995 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster promoviert. Sie war von 1992 bis 1995 Mitarbeiterin im Abgeordnetenbüro des Außenpolitischen Sprechers der CDU-CSU Bundestagsfraktion, Karl Lamers. Danach war sie von 1995 bis 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin beim ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, und anschließend von 1998 bis 2000 Juniorprofessorin  im Fachbereich European Studies an der Johns Hopkins University, Washington, D.C., USA.

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