Volksbegehren G9 – wenn Schulpolitik zum Wahlkampfthema wird

Grafik: g9-jetzt-nrw.de

1,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger müssen zustimmen 
Abstimmung bei den Bürgerdiensten bis zum 7. Juni 2017 möglich

Seit der Einführung des Abiturs nach 8 Jahren (auch G8- oder Turbo-Abitur genannt) in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2004, werden die Schüler/innen in ihren Freizeit- und Entfaltungsmöglichkeiten massiv beschnitten, denn es müssen bereits untere Klassen noch am Nachmittag zum Unterricht. Zudem klagten Schüler/innen und Eltern schon kurz nach der Einführung über Überlastung, Leistungsdruck und fehlende Freizeit. Diese Bedenken werden seit Einführung des “Turbo-Abi” häufig vorgetragen. Die Kritik ging an den zuständigen Schulministerien der Bundesländer fast komplett vorbei. Nur in Niedersachsen als einziges Bundesland wurde G8 zurückgenommen. Bereits im April 2014 startete die Elterninitiative “G9-jetzt-NRW” eine Volksinitiative (VI)* gemäß Landesverfassung. Am 20. April 2015 reichten die Aktivisten über 112.000 Unterschriften beim NRW-Ministerium für Inneres und Kommunales ein. Daraufhin entschied die Landesregierung die Zulassung der Auslegung der Unterschriftslisten in kommunalen Bürgerdiensten (Amtseintragung). *zur Unterscheidung VI, VB, VE lesen Sie hier: https://www.mik.nrw.de/themen-aufgaben/buergerbeteiligung-wahlen/volksinitiative-volksbegehren-volksentscheid/volksbegehren.html

Foto: g9-jetzt-nrw.de

Wie geht es nun weiter? In Dortmund liegen die Listen zur Erfassung der Eintragsberechtigten vom 2. Februar bis zum 7. Juni zur Unterschrift im Dienstleistungszentrum der Innenstadt und in den neun Bezirksverwaltungsstellen zu den aktuellen Öffnungszeiten aus. Auch an vier Sonntagen (19.2., 26.3., 30.4. und 28.5.) kann man von 10 bis 14 Uhr in der Innenstadt und in den Stadtteilen Brackel, Eving, Hörde und Lütgendortmund votieren. Unterschreiben dürfen Deutsche ab 18 Jahren mit Erstwohnsitz in NRW.

Gut eine Million Unterschriften werden benötigt

Volksbegehren (VB) können darauf gerichtet sein, Gesetze zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Dem VB muss ein vom Initiator ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen, der dem Innenministerium des Landes NRW vorzulegen ist. Nach Prüfung und Weiterleitung an den Landtag ist dieser verpflichtet, das VB innerhalb von 6 Monaten abschließend zu behandeln. Für ein erfolgreiches VB müssen gut eine Million Unterschriften (= 8 % der Wahlbürger) zusammenkommen. Mit der Unterschrift sprechen sich die Befürworter dafür aus, dass an den Gymnasien die Schulzeit wieder auf 13 Jahre verlängert wird und die tägliche Unterrichtszeit sechs Stunden am Tag nicht überschreitet. Entspricht der Landtag einem VB nicht, kommt es zum Volksentscheid (VE). In diesem Fall kann das Volk das Gesetz selbst durch Abstimmung beschließen, sofern sich eine Mehrheit von mindestens 15 Prozent der Stimmberechtigten (ca. 2 Millionen Stimmen) ergibt. Momentan stößt das Volksbegehren auf breite Zustimmung. Rund 70 Prozent der 54.000 Schüler/innen, Eltern und Lehrer/innen, die an einer Befragung der Landeselternschaft teilgenommen haben, wollen zurück zum G9-Abitur.

Doch es gibt auch Widerstand gegen das Volksbegehren. Die Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW (Gesamtschulen) etwa befürchtet, dass sich die angestrebte Gesetzesänderung auch auf ihre Schulen auswirkte. Das Gesetz könnte die tägliche Unterrichtszeit auch für diese Schulform beschränken, der Ganztagsunterricht würde dadurch unmöglich.

Nicht zuletzt gibt es auch Kritik am Volksbegehren von der Vertretung der Schüler. Die Landesschülervertretung teilt zwar die Kritik am stressigen Turbo-Abi, befürchtet jedoch einen unüberlegten Schnellschuss. Das Ganztagssystem stellt sie nicht infrage, jedoch müsse der Unterricht dringend reformiert werden, hin zu mehr praktischem Lernen und stärkerer individueller Förderung.

Die Parteien scheinen sensibilisiert – die Landtagswahl steht bevor

Alle im Landtag NRW vertretenen Parteien haben das Thema angesichts der am 14. Mai 2017 bevorstehenden Landtagswahl auf ihre Agenda gesetzt. Dabei wird ein flexibles Modell (z.B. Eltern können zwischen G8 und G9 wählen) favorisiert. Die Positionen der Parteien finden sie zusammengefasst unter: https:/https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/runder-tisch-abitur-100.htmlwww1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/runder-tisch-abitur-100.html.

Doch wie sieht es aktuell in unserem Stadtbezirk aus?

Damit sich unsere Leserinnen und Leser ein konkretes Bild vom Unterrichtsumfang am hiesigen Heinrich-Heine-Gymnasium (Modell: Offener Ganztag) machen können, finden Sie hier das Stundenraster (G8) am Beispiel der Klasse 5:

Ob das für die Schulkinder zu bewältigen ist, werden alle Eltern, die ihre Kinder wissentlich an einer “Offenen Ganztagsschule” angemeldet haben, am besten beurteilen können. Angesichts der vielfältigen (sportlichen) Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler in unseren örtlichen Vereinen lässt sich daraus keine dauerhafte Überlastung durch den Schulstress ableiten.

MENGEDE:InTakt! hat sich deshalb bei den handelnden und betroffenen Personen umgehört:

Herr Dr. von Elsenau, Schulleiter HHG, nahm auf Nachfrage wir folgt Stellung (gekürzte Fassung) :

“Bei allem Verständnis für die Position der Befürworter befürchte ich, dass die Ursachenfaktoren für die Stressbelastung unserer Kinder unzulässig verkürzt werden, wenn nur G8 in den Blick genommen wird. Die Zeitbudgets unserer Jugendlichen werden aus meiner Sicht in unserer medialen Welt besonders durch hohen Kommunikationsdruck und überbordende Eventangebote belastet. Und es steht zu vermuten, dass das auch die Wiedereinführung von G9 nicht ändern wird. Die nach der Landtagswahl zu erwartende Flexibilisierung der gymnasialen Schulzeit sollte aus meiner Sicht an G8 ansetzen und auf Modellen aufbauen, die für diejenigen Schülerinnen und Schülern eine Verlängerung ermöglichen, die aus einer verlängerten Schulzeit Vorteile ziehen würden.”

Silvia Untenberger, stv. Schulpflegschaftsvorsitzende am HHG, – aktuell besuchen drei ihrer Kinder das HHG – steht der Initiative G9 positiv gegenüber. „Unabhängig davon sehe ich aber sowohl im G8- als auch im G9-Modell ergänzende Fördermaßnahmen als zwingend erforderlich an“, ergänzt sie die Diskussion um eine bemerkenswerte Variante.

Die Befragung von 4 Mitgliedern der Schülervertretung ergibt auch kein einheitliches Meinungsbild. Es wird von ihnen befürchtet, dass in die neue zu erarbeitenden Lehrpläne dann auch zusätzliche Lerninhalte gepackt werden. Aber zunächst kennen es die Schüler/innen im G8-System nicht anders und können keinen praktischen Vergleich zum G9 herstellen.

Das Volksbegehren ist auf dem Weg – dennoch braucht es zusätzlichen Fahrtwind. In der Bezirksverwaltungsstelle Mengede waren 3 Tage nach Beginn  e r s t – oder sollen wir sagen  s c h o n  – 8 Unterschriften eingegangen.

Hinweis: Zur Vergrößerung des Fotos/der Grafik diese bitte anklicken.

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