So klein ist die Welt

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Eine „scharfe“ Begegnung

Nachstehend veröffentlichen wir für die Leser von MENGEDE:InTakt! einen Beitrag unsers Gast-Autors Helmut Resinek, der in seiner Eigenschaft als deutscher Diplomat in seiner aktiven Dienstzeit die Welt bereiste.  Aber auch als Pensionär ist er noch als „Grauer Bär“ für die Bundesrepublik Deutschland unterwegs.
Graue Bären sind im Jargon des Auswärtigen Amtes Diplomaten, deren Berufserfahrung man gern bei notwendigen Urlaubsvertretungen oder besonderen Ereignissen in Anspruch nimmt. Lesen Sie, was der Ur-Mengeder kürzlich bei seiner Reise nach Estland erlebt hatte.(C.S)

Ich bin im Netter Dreieck zwischen Marschall, – Wodan- und Donarstraße aufgewachsen. Dann zog es mich beruflich in die weite Welt. Eine meiner Dienstreisen zur besten Mittsommernachtszeit 2017 verschlug mich ins Baltikum, nach Estland.

Sie wissen schon: „ Von 1944 bis 1991 sozialistische Sowjet-Republik unter dem Diktat von Hammer und Sichel, ca. 200 km westlich vom heutigen St. Petersburg/Russland gelegen“.
Estland, gelegen an der schönen baltischen Ostseeküste, ist heute ein selbständiger und moderner Staat, der im zweiten Halbjahr 2017 den Vorsitz in der Europäischen Union innehat und stolz darauf ist, ein NATO-Mitgliedsland zu sein.

Ich besuchte die zu Estland gehörende 2.672 qkm große Ostseeinsel SAAREMAA (viertgrößte Ostseeinsel und dreimal größer als Rügen).

Aber nun der Reihe nach.
Ich durchstreifte Saaremaa auf der nördlichsten Inselstraße entlang der Ostseeküste, plötzlich sah ich in der winzigen Ortschaft Mustjala ein einfaches Schild mit der Aufschrift „SENF 5 km“.
Senf musste deutsch sein, dachte ich, weil Senf auf Estnisch Sinep heißt.
Nach einer Weile „ in der Mitte von Nirgendwo“ hatte ich einen flash (Blitz); wie aus dem Nichts erschien mitten im dichten Kiefern- und Birkenwald ein grelles schwarz-gelbes BVB-Plakat neben einer deutschen Fahne. Ich hielt an und ging ein paar Schritte in den Wald hinein. Ich fühlte mich wie Hänsel, sie wissen schon, wie der von der Gretel. Ich kam wirklich an ein Häuschen, aber nicht aus Pfefferkuchen fein, sondern — sagen wir einmal bildlich — aus Senf.

Vor mir draußen stand ein langer Tisch mit 13 Probier-Senftöpfchen und lokalem Honig. Eine freundliche Dame trat zu mir und erklärte mir in englischer Sprache die 13 verschiedenen Senfsorten. Mir war klar, sie konnte keine Estin sein, denn das BVB-Plakat hatte sie schon längst verraten. Es entstand dann auf Deutsch folgender Dialog:
Ich: Ich habe eine Ahnung. Woher stammen Sie denn?
BVB-Dame: Aus Dortmund!
Ich: Aus welchem Ortsteil?
BVB-Dame: Kennen Sie sowieso nicht!
Ich: Bitte, sagen Sie es doch einfach einmal!
BVB-Dame: Nette (ich wurde hellhörig!)
Ich: Kenne ich! Welche Straße?
BVB-Dame: Herkulesstraße.
Ich: Oh je, 150 Meter von meinem Elternhaus entfernt.

Wir waren uns in Nette nie begegnet. Lag wohl am Altersunterschied.
Ich hatte also herausgefunden, dass zu den 36.000 Einwohnern der Insel Saaremaa auch ein Paar aus meinem Netter Heimat-Dreieck gehörte.
Das Paar wandelt anscheinend in Estland in kleinen Schritten, zumindest kulinarisch, auf den historischen Spuren des Deutschen Ordens, der lutherischen Reformation und des Städtebundes Hanse aus dem Mittelalter.

Die junge Frau und ihren Mann hatte es vor einigen Jahren auf die Insel Saaremaa gezogen. Dort auf der erfolglosen Suche nach einem guten Senf entschieden sie sich kurzum, einen eigenen Senf mitten im Wald herzustellen sowie mit Gewürzen und Kräutern kreativ zu verfeinern. Eine Senf-Manufaktur mit dem schönen Namen „Mustjala-Mustard“ war geboren; typisch für ein Land mit den meisten — neudeutsch — „start ups“ in Europa pro Einwohner (die Esten hatten sogar das weltweit dominierende Internet-Chat-System Skype erfunden).

Das Paar Andreas Wittke und Birgit Kutzera stellt dort wirklich in allerfeinster Handarbeit Qualitäts-Senf in vielen Nuancen her und vermarktet ihn als estnische Spezialität sehr erfolgreich.
Ich fand unter den 13 Senfsorten auch meinen Favoriten „Chilli-Honig-Senf“ und erwarb gleich ein paar Gläser.

Als ich in die Hauptstadt Tallinn zurückgekehrt war und den Internet-Auftritt des Netter Paares unter www.mustjala-mustard.de studiert hatte, wurde mir klar, welche interessante Marktnische sie entdeckt hatten. „Netter geben ihren Senf überall dazu!“

Bei meiner Recherche in Tallinns Geschäften nach Mustjala-Mustard fand ich die leckeren Produkte in fast jedem Souvenirladen und sogar in Shops auf dem internationalen Flughafen von Tallinn. Dort wurde der „nette“ Senf als typisches kulinarisches und preiswertes Mitbringsel und estnische Spezialität angepriesen.

Mittlerweile ist auch der deutsche Botschafter in Estland, Herr Christoph Eichhorn, auf den Senf-Geschmack gekommen und hat das Ehepaar im Wald von Mustjala besucht. Unter Umständen wird bei den diesjährigen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 03. Oktober in der Botschafter-Residenz in Tallinn auf dem Buffet auch „deutscher“ Senf aus Mustjala/Estland angeboten.
Vielleicht entscheiden sich die beiden obengenannten Neu-Esten, ihre Köstlichkeiten bald auch in ihrer alten Heimat bekannt zu machen. Wie mir meine Netter Freunde berichteten, wurde bereits gelegentlich ein PKW mit estnischem Kennzeichen in der Herkulesstraße gesichtet.

Kleine Welt.

Fotos: Birgit Kutzera

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