Dortmunder Mitternachtsmission – gut in Stadt und Region vernetzt

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Aufgaben wachsen – vor allem bei der Betreuung der Opfer von Menschenhandel

Die Dortmunder Mitternachtsmission ist ein kleiner gemeinnütziger Verein im Dachverband des Diakonischen Werkes. Sie arbeitet seit 1918 in Dortmund, feiert somit im nächsten Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Finanziell unterstützt wird die Einrichtung von der Evangelischen Kirche, der Stadt Dortmund und dem Land NRW. Der größte Teil der Arbeit vor Ort wird durch Spenden ermöglicht.

Schwerpunktmäßig befasst sich die Dortmunder Mitternachtsmission derzeit mit den Aufgabenbereichen Prostitution und Opfer für Menschenhandel. Hierfür unterhält sie je eine Beratungsstelle für Prostituierte, für ehemalige Prostituierte und für Opfer von Menschenhandel.

Die Mitternachtsmission arbeitet mit einem Kernteam von z. Zt 15 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen, rund 30 stundenweise tätigen Honorarkräften und etwa 80 Ehrenamtlichen.

Immer mehr Opfer von Menschenhandel suchen Zuflucht bei der Mitternachtsmission in Dortmund
In den letzten beiden Jahren haben immer mehr von Menschenhandel betroffene Frauen und Mädchen – insbesondere aus westafrikanischen Ländern – Zuflucht bei der Mitternachtsmission gesucht.
Wurden 2015 noch 199 von Menschenhandel betroffene Frauen und Mädchen und 6 Männer bzw. Jungen unterstützt, waren es 2016 bereits 335 Frauen und Mädchen, 8 Männer und 1 Transident aus insgesamt 34 Ländern. 2017 wurden bisher insgesamt 268 Betroffene von Menschenhandel unterstützt, davon 7 Männer und 3 Transidente. Ein großer Teil der Frauen ist schwanger oder bringt kleine Kinder mit. So wurden 2016 217 Kinder der von Menschenhandel betroffenen Frauen mit betreut.

Die meisten Frauen und Mädchen, die sich aus unterschiedlichen Gründen auf den Weg nach Europa machen, werden bereits in ihrem Heimatland oder auf dem Fluchtweg und/ oder bei ihrer Ankunft in Europa Opfer von massiver Misshandlung, sexueller Gewalt und Menschenhandel. Sie sind zum Teil schwer traumatisiert und völlig verängstigt. Sie befinden sich gesundheitlich in einem sehr schlechten physischen und psychischen Zustand.

Für die Betreuung dieser Menschen unterhält die Mitternachtsmission eine spezialisierte Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel. Diese ermöglicht es, im Rahmen eines dezentralen Unterbringungskonzeptes sowie einer intensiven psychosozialen Beratung und Betreuung für Opfer von Menschenhandel den Betroffenen Schutz und umfassende Hilfe zu gewähren. Dazu gehören aber auch ganz alltägliche Aufgaben, wie beispielsweise die Betreuung bei Behördengängen, die vorübergehende Betreuung der Kinder, die Betreuung der schwangeren Frauen vor und nach der Geburt ihrer Kinder. 
Insgesamt gibt es NRW acht dieser Fachberatungsstellen – eine davon ist bei der Mitternachtsmission in Dortmund angesiedelt.

Die Herausforderungen können nur mit Hilfe von zusätzlichen Fördermitteln bewältigt werden
Die Zunahme der Hilfesuchenden insbesondere der vielen Frauen und Mädchen aus den afrikanischen Ländern bedeutet für die Beratungsarbeit eine große Herausforderung. Schon bei dem ersten Kontaktgespräch treten erhebliche Probleme auf, wenn es nicht möglich ist, Sprachmittlerinnen mit den entsprechenden Sprachkenntnissen und kulturellem Hintergrundwissen mit einzubeziehen, um auf diesem Wege das erforderliche Vertrauen aufzubauen.
Hierfür haben die Dortmunder eine Projektförderung durch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung „Empowerment von Flüchtlingsfrauen – muttersprachliche Hilfe und Unterstützung für Flüchtlingsfrauen, die Opfer von Menschenhandel sind, aus westafrikanischen Staaten“ über das Diakonische Werk Deutschland erhalten und eine zusätzliche finanzielle Unterstützung durch das Diakonische Werk RWL – Sondermittel für die Flüchtlingsarbeit der EKvon Westfalen.

v.l.: Heike Müller, Regina Reinalda, Ann-Kristin Czub, Bianta Jallow.

Mit diesen zusätzlichen Projektmitteln konnten Frau Binta Jallow aus Gambia und Frau Marieme Gueye aus dem Senegal zur gezielten Unterstützung der Fachberatungsstelle eingestellt werden. Zusammen sprechen die beiden 8 für ihre jetzige Tätigkeit relevante Sprachen.

Weitere Mittel sind in diesem Jahr wieder aus der Landesförderung für zusätzliche Sozialarbeiterinnenstunden geflossen und zwar für die Beratung und Unterstützung von Gewalt betroffene und traumatisierte Flüchtlingsfrauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Hierdurch ist die aufstockende Finanzierung der Stelle von Frau Regine Reinalda möglich, die bereits seit vielen Jahren bei der Mitternachtsmission arbeitet und über einen großen Erfahrungsschatz verfügt. Sie wird bei ihrer Arbeit unterstützt durch Frau Ann-Kristin Czub.

Es wäre natürlich fatal, wenn eine Betreuung der Opfer von Menschenhandel aus finanziellen Gründen nicht mehr in dem notwendigen Umfang wahrgenommen werden könnte. Deswegen hofft man in der Mitternachtsmission, dass die zusätzliche Finanzierung der Arbeit auch über das Jahresende hinaus möglich sein wird.

Mitternachtsmission ist mit tollem Team gut in Stadt und Region vernetzt
Der überwiegende Teil der Frauen aus Nicht-EU-Ländern entscheidet sich für den Asylweg. Dies ist mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. Die Leiterin des Arbeitsbereiches Hilfen für Opfer von Menschenhandel, Heike Müller, konnte eine sehr gute Kooperation mit den Sonderbeauftragen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Bezirksregierung in Arnsberg aufbauen. Das erleichtert das Bemühen, den Opfern von Menschenhandel möglichst bald eine Lebensperspektive in Sicherheit zu verschaffen.

Elend, Angst, Gewalt und Hoffnungslosigkeit ist für die Mitarbeiterinnen der Mitternachtsmission Arbeitsalltag. „Wie erträgt man das?“, wurde Andrea Hitzke – Leiterin der Mitternachtsmission – vor einiger Zeit gefragt. „Man muss sich immer wieder neu motivieren“, ihre Antwort. „Und man braucht dazu ein so tolles Team, wie wir es hier bei der Mitternachtsmission haben.“ Was Andrea Hitzke und ihr Team als besonderen Ansporn empfinden, sind Vertrauen und gutes Ansehen, das ihre Einrichtung in der Stadt und der Region genießen. „Wir haben hier in der Region ein sehr gut funktionierendes Netzwerk, in dem unsere Kompetenzen nachgefragt und wertgeschätzt werden.“

Anhang: Erlebnisse von Isatou, einer Jugendlichen aus Gambia

Vorbemerkungen

Opfer von Menschenhandel, das sagt sich so leicht dahin. Wie das in vielen Fällen konkret aussieht, können sich die meisten vermutlich nicht vorstellen. Wie aus den vorstehenden Zahlen ersichtlich, meist sind es Frauen, die auf der Flucht nach Europa Opfer von Menschenhandel werden. Und nur wenn sie Glück haben, landen sie in der Mitternachtsmission in Dortmund. Sie werden über Flüchtlingsunterkünfte und Erstaufnahmestellen vermittelt, einige werden auch von Passanten direkt zur Mitternachtsmission gebracht. Das ist ein langer Weg. 
Die nachfolgende Geschichte von Isatou, einer Jugendlichen aus Gambia, lässt erahnen, welches unermessliche Leid Opfer von Menschenhandel erdulden müssen, bevor sie bei uns zunächst einmal in Sicherheit sind. (zusammengestellt vom Team der Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel in der Mitternachtsmission)
Isatou hat, nachdem ihre Eltern und ihre Schwester bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind, in einem kleinen Dorf in Gambia bei ihrer Großmutter gelebt. Sie war 15 Jahre alt. Sie konnte nicht mehr zu Schule gehen, denn sie musste ihrer Großmutter bei der Hausarbeit und beim Straßenverkauf, die Großmutter hatte Gemüse angebaut, helfen, um den gemeinsamen Lebensunterhalt zu verdienen.
Als es ihrer Großmutter gesundheitlich immer schlechter ging, wandte sie sich mit der Bitte um Hilfe an eine Bekannte. Diese Bekannte erzählte, dass es eine Möglichkeit gäbe nach Europa zu reisen, um dort zu arbeiten. Sie kenne eine nigerianische Frau, die ihr helfen könne. Die Bekannte organisierte ein Treffen. Die nigerianische Frau teilte Isatou mit, dass sie sich um alles kümmern würde.
Als Isatou mitgeteilt wurde, dass die Reise losgehen wird, wurde ein Treffpunkt organisiert. Als sie am Treffpunkt ankam, standen dort schon mehrere Frauen, die mit auf die Reise gingen. Ein LKW holte sie ab.
Der nächste Halt war ein Ort, an dem sie sich ca. 1 Woche aufhalten mussten. Dort wurden verschiedene Rituale (VOODOO/ Joujou) mit ihnen durchgeführt. Die Frauen mussten 1 Woche lang die gleichen Gewänder tragen und immer wieder Schwüre leisten, mit denen sie sich verpflichteten, gehorsam zu sein und sich niemandem zu offenbahren..
Die Reise führte sie durch mehrere afrikanische Länder (Mali, Niger und Libyen). Mehrmals wurden die Transportmittel gewechselt. Auf der Reise wurden die Frauen gezwungen, sich zu prostituieren, um ihren Lebensunterhalt verdienen. Weigerten sie sich, bekamen sie nichts zu essen. Wurden sie schwanger, wurden ihnen Tabletten eingeflößt, damit die Schwangerschaft abgebrochen wurde. Nahmen sie die Tabletten nicht, wurden sie ihnen in das Essen gemischt.
Der Landweg endete zunächst in Libyen, von wo sie dann mit einem Schiff weiter nach Europa transportiert werden sollten.
Bevor sie aber an der Küste in Libyen ankamen, mussten sie die Wüste durchqueren. Es gab kaum Wasser, sie wurden von Rebellen angegriffen und vergewaltigt. Einige Frauen haben dies nicht überlebt.
In Libyen musste Isatou dann mehrere Monate in einem Bordell arbeiten. Sie wurde dort, wie schon auf dem vorherigen Reiseweg, schwanger und lief weg. Die libysche Polizei half ihr nicht, und so ging sie zurück und wurde gezwungen, das Kind abzutreiben.
Isatou war zu dem Zeitpunkt, als sie an der libyschen Küste ankam, bereits 12 Monate unterwegs.
Eines Nachts wurden sie und andere Frauen auf ein Boot gebracht. Aber es waren zu viele Personen an Bord, sodass das Boot nach kurzer Zeit kenterte. Sie mussten wieder zurück und auf das nächste Boot warten. 
Als sie in Italien ankamen, wurde Isatou auf Lampedusa registriert. 
In der Flüchtlingsunterkunft wurde sie dann von der nigerianischen Frau, die auch Isatous Papiere an sich nahm und von einem Mann abgeholt. Man brachte sie auf das Festland nach Italien.
Dort angekommen, wurde ihr mitgeteilt, dass sie 40.000,00€ für das Organisieren und das Durchführen der Reise zahlen müsse. Soviel Geld könne man in Europa nur in der Prostitution verdienen. Die nigerianische Frau, die nun ihre Madame war, erklärte ihr, dass weglaufen sinnlos sei. Sie habe einen Eid in Gambia geleistet, und versprochen nicht wegzulaufen, niemals zur Polizei zu gehen und das Reisegeld abzuarbeiten. Ihr bliebe keine andere Wahl, sonst würden Isatou furchtbare Dinge passieren.
Als sie sich trotzdem weigerte wurde sie bedroht und geschlagen. So musste sich Isatou 2 Jahre lang in Italien, prostituieren.
In einer Diskothek lernte sie einen gambischen Mann, der in Deutschland lebt, kennen. Er besuchte seinen Bruder und die beiden trafen sich regelmäßig, wenn er in Italien war. Sie verliebten sich in einander und sie wurde von ihm schwanger. Sie traute sich nicht, ihm zu sagen, in welcher Zwangslage sie sich befand.
Als sie im 6ten Monat schwanger war, konnte sie die Schwangerschaft nicht mehr verbergen. Die Madame drohte ihr, das Kind wegzunehmen, damit Isatou sich weiterhin prostituieren konnte. Da fasste Isatou allen Mut zusammen und flüchtete, in der Hoffnung den Vater ihres ungeborenen Kindes zu finden. 
Sie ist dann, mit dieser Hoffnung und der Telefonnummer ihres Freundes in der Tasche, mit dem Zug nach Dortmund gekommen.
Während der gesamten Zugreise hatte sie vergeblich versucht ihn zu erreichen. Völlig verzweifelt und verängstigt bat sie Passanten um Hilfe. Eine Frau nahm Kontakt zu Mitternachtsmission auf.
Wir haben Isatou direkt vom Bahnhof abgeholt. Wir haben sie erstmal mit Essen versorgt und da sie sehr erschöpft war und über Unterleibschmerzen klagte, sind wir mit ihr ins Krankenhaus gegangen. Zum Glück war mit der Schwangerschaft alles in Ordnung. 
Den Mitarbeiterinnen der Mitternachtsmission hat sie kurz über ihre Flucht aus Italien erzählt, was sie dort machen musste und das sie den Vater ihres Kindes suche.
Wir haben Isatou im Rahmen unseres dezentralen Unterbringungskonzeptes untergebracht und konnten uns aufgrund der Projektförderungen sehr intensiv um sie kümmern, so dass sie schnell Vertrauen aufbauen und neuen Lebensmut fassen und sich von den Strapazen der Flucht und der Zwangsprostitution erholen konnte. 
In einem intensiven Gespräch mit einer Kollegin der Mitternachtsmission, erklärte sie, dass sie sich eine Aussage gegen die Täter aus Angst keinesfalls vorstellen kann.
Sie entschloss sich, einen Asylantrag zu stellen.
Die Befragung fand bei der Sonderbeauftragten für Opfer von Menschenhandel beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Dortmund statt. 
Durch die sensible Befragung und die schnelle Bearbeitung durch die Entscheiderin des Bundesamts konnte Isatou schon nach wenigen Wochen den positiven Bescheid über die Anerkennung als Flüchtling in den Händen halten.
Sie erholt sich nun sichtlich, fasst neuen Mut und ist in der Lage, positiv in die Zukunft zu sehen, und es wird deutlich, wie wichtig für sie die Gewissheit ist, dass sie in Deutschland in Sicherheit vor den Tätern bleiben kann.
Sie macht zurzeit eine Therapie bei einer Traumatherapeutin. Und den Vater hat sie noch vor der Geburt ihres Kindes finden können.
Weitere Infos:
www.standort-dortmund.de/mitternachtsmission
www.foerderverein-dortmunder-mitternachtsmission.de

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