Gedenkstunde zum Volkstrauertag in Mengede

| Keine Kommentare

Dann gibt es nur eins! Sag NEIN! 

Am heutigen 19. November 2017 war Volkstrauertag. Der Volkstrauertag wird in Deutschland seit 1952 zwei Sonntage vor dem ersten Advent begangen. Er erinnert an Opfer von Gewaltherrschaft und an die Kriegstoten aller Nationen.
Die Festlegung des Datums fand in Abgrenzung an den Heldengedenktag im Dritten Reich statt. Mit der Wahl eines Datums am Ende des Kirchenjahres  – eine Woche vor dem Totensonntag – sollen die Gedenkveranstaltungen bewusst die Schrecken des Krieges und nicht dessen Glorifizierung in den Vordergrund stellen.

In der heutigen Feierstunde in Mengede gab es Kranzniederlegungen auf dem Ev. Friedhof am  Ehrenmal für die verunglückten Mengeder Bergleute und am Ehrenmal vor der Regenbogengrundschule. Die Feierstunde im Zentrum von Mengede – vom Bürger-Schützenverein und vom Heimatverein organisiert – fand unter reger Beteiligung der Bevölkerung statt – insbesondere waren auch Mitglieder des Bergmannsunterstützungsvereins, des Knappenvereins Mengede und Vertreter der örtlichen Politik gut vertreten.

Nach der Begrüßung durch die Organisatoren hielt Bezirksbürgermeister Willi Tölch eine kurze Ansprache, es folgte die Totenehrung und danach eine Predigt von Pfarrer i.R. Peter Lübbert. Peter Lübbert war lange als Pfarrer in der Ev. Gemeinde in Bövinghausen tätig. Ohne ihn hätten die TeilnehmerInnen der Gedenkfeier auf eine kirchliche Beteiligung verzichten müssen. Den Vertretern der lokalen Ökumene hätte das offenbar nichts ausgemacht, sie hatten keine Zeit. Die Veranstalter wollten dem nicht tatenlos zusehen und holten sich aus der Nachbarschaft einen – wie man erleben konnte – guten Ersatz.

In dieser Predigt erinnerte „der Ersatzmann“ an Wolfgang Borchert und sprach vor allem über dessen Gedicht: Dann gibt es nur eins! Sag NEIN! 

Die musikalische Gestaltung hatten der Mengeder Bläserchor und der Spielmannszug des BSV 1564 Obercastrop übernommen.

Wegen der Aktualität haben wir uns entschlossen, das Gedicht von Wolfgang Borchert  einem größeren Leserkreis in Erinnerung zu bringen.

 Dann gibt es nur eins! Sag NEIN!

Wolfgang Borchert
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelm und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Maedchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten fuellen und Zielfernrohre fuer Scharfschuetzengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schiesspulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Maenner kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitaen auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren – sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor ueber die Staedte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Bett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben fuer den Munitionszug und fuer den Truppentransporter, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du am Hoangho und am Missisippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Muetter in allen Erdteilen, Muetter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebaeren, Krankenschwestern fuer Kriegslazarette und neue Soldaten fuer neue Schlachten, Muetter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Muetter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Muetter, dann:
In den laermenden dampfdunstigen Hafenstaedten werden die grossen Schiffe stoehnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig traege gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelueberwest, den frueher so schimmernden droehnenden Leib, friedhoeflich fischfaulig duftend, muerbe, siech, gestorben –
die Strassenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasaeugige Kaefige bloede verbeult und abgeblaettert neben den verwirrten Stahlskeletten der Draehte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchloecherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Strassen –
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwaelzen, gefraessig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitaeten und Schauspielhaeusern, auf Sport- und Kinderspielplaetzen, grausig und gierig unaufhaltsam –
der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Haengen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden aeckern erfrieren und die Kuehe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der grossen aerzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln –
in den Kuechen, Kammern und Kellern, in den Kuehlhaeusern und Speichern werden die letzten Saecke Mehl, die letzten Glaeser Erdbeeren, Kuerbis und Kirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestuerzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird gruen werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pfluegen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbroeckeln – zerbroeckeln – zerbroeckeln –
dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedaermen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig gluehenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unuebersehbaren Massengraebern und den kalten Goetzen der gigantischen betonklotzigen veroedeten Staedte, der letzte Mensch, duerr, wahnsinnig, laesternd, klagend – und seinefurchtbare Klage: WARUM? wird ungehoert in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehoert, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch –
all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn — wenn — wenn ihr nicht NEIN sagt.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.