„Ommas Glück – Das Leben meiner Großmutter in einer Demenz-WG“
Obwohl das Phänomen seit über 100 Jahren bekannt ist, tauchte der Begriff erst im letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts auf: Demenz. Doch damit war diese Alterskrankheit noch lange nicht ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Der ehemalige Bundespräsident Heinrich Lübke, der nach heutigen Erkenntnissen unter dieser Krankheit litt, musste Ende der 60er Jahre zusätzlich noch Spott und Hohn einer ganzen Nation ertragen.
Es bedurfte erst prominenter Fälle wie Harald Juhnke, Margaret Thatcher oder Rudi Assauer, um dieser Thematik eine ihr gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Und es bedurfte eines Films wie „Honig im Kopf“ mit einem grandiosen Diddi Hallervorden, um eine weitergehende Sensibilität zu erzeugen und die Vielschichtigkeit der Problematik zu erkennen. In diesen Tagen erschien das Buch „Ommas Glück“, das ein weiterer Meilenstein in der Auseinandersetzung mit der Thematik werden kann.
Die Autorin Chantal Louis las am Donnerstagabend aus diesem Buch in der „Buchhandlung am Amtshaus“. Ein Glückfall für die Veranstalter und ein Glücksfall für Mengede. Denn bevor die Massenmedien auf das Werk aufmerksam wurden (nur einen Tag später z. B. ist die Autorin Gast in der Talkrunde „Drei nach neun“) hat Buchhändler Michael Nau nach nur dreiseitigem Manuskriptstudium die Verfasserin für die Deutschlandpremiere ihrer Lesungen nach Mengede verpflichtet. Unser Redaktionsmitglied Diethelm Textoris hatte am Tag nach der gelungenen Veranstaltung Gelegenheit, mit der für verschiedene Printmedien und Rundfunkanstalten arbeitenden Journalistin zu sprechen.
Was waren Ihre Motive, gerade dieses Buch zu schreiben?
Das waren drei Hauptgründe:
– In der Demenz-WG, in der meine Omma Edeltraud lebt, habe ich so viele rührende und auch skurrile Geschichten erlebt, die meinem journalistischen Ego sagten, das muss ich einfach aufschreiben und veröffentlichen.
– Ich wollte bekannt machen, dass es Alternativen zum Heim gibt, vor allem im Hinblick auf suchende Angehörige, die damit ihren von der Krankheit betroffenen Verwandten etwas Gutes tun können.
– Meiner Omma Edeltraud, bei der ich in meiner Jugend aufgewachsen bin und zu der ich ein sehr inniges Verhältnis habe, wollte ich ein literarisches Denkmal setzen.
Welche Botschaften und Informationen finden die Leserinnen und Leser in Ihrem Buch?
Eine wichtige Botschaft liegt im zweiten Motiv, der Information über Alternativen zur Heimunterbringung. Darüber hinaus habe ich einen Infoteil angefügt, in dem über die bestehende Gesetzeslage und die verschiedenen WG-Alternativen informiert wird.
Welche Ratschläge können Sie Leuten geben, die plötzlich mit diesem Thema konfrontiert werden. z. B. durch Erkrankung eines nahen Angehörigen?
Zunächst sollte man sich in die Welt des Kranken hineinversetzen und ihm z. B. Recht geben, auch wenn seine Sichtweise nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Auf keinen Fall mit ihm streiten, denn Aufregung und Unruhe verträgt er am wenigsten. Wenn er am Montag meint, es ist Donnerstag, dann ist für ihn Donnerstag. Das kann man nicht korrigieren. Wenn er sich manchen Notwendigkeiten wie Haarpflege oder Hygieneanforderungen verweigert, sollte man ihn ablenken oder überlisten. Musik oder gemeinsames Singen können Wunder wirken. Musiktexte sind noch lange gespeichert. Viel ist auch über das Essen z.B. mit Lieblingsspeisen zu erreichen.
Sie gehen in Ihrem Buch das Thema mit Humor an. Kommt da nicht die traurige Seite der Demenz zu kurz?
Nein, auch darauf gehe ich ein. Zunächst haben mich die guten Erfahrungen mit der WG zu der humorvollen Sichtweise ermutigt. Und viele Geschehnisse sind auch objektiv lustig. Natürlich gibt es auch Wut, Depression und meist verbale Aggression bei meiner Omma. Aber die wären viel schlimmer, wenn sie allein leben müsste oder in einem Heim. Das nachlassende Kurzzeitgedächtnis lässt dort die schönen Dinge des Tages vergessen und es bleibt, selbst wenn man Besuch hatte, der aber vergessen wurde, nur das Gefühl der Einsamkeit.
Das heißt also, dass der Titel „Ommas Glück“ nicht nur Ihre Einschätzung als Betrachterin ist, sondern auch von Ihrer Omma so empfunden wird.
Über die Empfindungen Demenzkranker kann man nur Vermutungen anstellen. Sicherlich sind die oben beschriebenen negativen Erscheinungen noch vorhanden, aber deutlich reduziert. Festzustellen ist dagegen eine häufig erkennbare Zufriedenheit und die Abnahme von Unruhe, Angstzuständen und Verschwörungsvermutungen.
Frau Louis, wie empfanden sie Ihr Publikum bei uns in Mengede?
Eine bessere Premiere meiner Lesungen hätte es nicht geben können. Zunächst können Sie im Stadtteil froh darüber sein, dass es noch eine solche persönlich geführte Buchhandlung gibt. Es war eine superschöne Atmosphäre mit einen überaus interessierten Publikum. Die anschließende Diskussion zeigte nicht nur das tiefe Interesse, es hat mir auch wertvolle Anregungen und Denkanstöße gegeben. Dafür bin ich sehr dankbar.