Arme Sau – Plädoyer für eine fleischlose Ernährung
Im Beitrag vom 23.1.2015 hat MENGEDE:Intakt! auf die „Arme Sau“ in Europa hingewiesen. (nachzulesen unter: https://mengede-intakt.de/wp-admin/post.php?post=870&action=edit )
Dieser Beitrag vom Januar 2015, der vorwiegend statistisches Material enthält, wird heute fortgesetzt bzw. ergänzt durch den Hinweis auf eine Veröffentlichung von Bernd Ladwig in den „Blättern für deutsche und internationale Politk“(S. 101 – 112)- mit dem Titel: „Schweinesystem – Ein Plädoyer für fleischlose Ernährung“.
Dieser Beitrag wiederum wird – aus einer ganz anderen Sicht – ergänzt durch das Foto eines Plakates, das uns auf der diesjährigen Biennale auffiel.
Mensch ist Mensch und Tier ist Tier, so ist die landläufige Meinung. Mensch ist natürlich besser als Tier; deswegen halten wir es für selbstverständlich, diese unter unwürdigen Bedingen zu halten und sie anschließend massenhaft zu töten, um sie dann zu essen bzw. – bezogen auf das Schwein – bis zur letzten Borste weiter zu verwerten. Bernd Ladwig, Professor für politische Theorie an der FU Berlin, sieht das entschieden anders. Er verteidigt die aus seiner Sicht berechtigten Interessen der Tiere und plädiert für eine grundsätzliche Änderung des Tierschutzgesetzes. (Nachfolgend drei Auszüge.)
Seite 101: Einleitung
Könnten Sie sich vorstellen, einen Golden Retriever zu essen? Nein? Warum eigentlich nicht? Weil er Ihnen nicht schmecken würde? Das käme auf einen Versuch an. Weil es ein hübscher Hund ist? Würden Sie dann wenigstens einen Mops oder einen Bullterrier probieren? Auch nicht? Weil es sich um Hunde handelt und Hunde Gefährten und keine Lebensmittel sind? Weil wir sie als Haustiere und nicht als Nutztiere betrachten? Dass wir das tun, ist nicht zu bestreiten, auch wenn aufgeklärte Zeitgenossen hinzufügen, das sei kulturell relativ, siehe China. Vor allem aber stellt sich die Frage: Ist es moralisch gerechtfertigt, etwa zwischen Hund und Schwein zu unterscheiden?
Wir instrumentalisieren Tiere in ungeheurer Zahl: Allein in deutschen Schlachthäusern werden jährlich fast 628 Millionen Hühner und mehr als 58 Millionen Schweine getötet. Ein Schicksal aber wie das der Giraffe Marius, die im Kopenhagener Zoo an Löwen verfüttert wurde, ruft zehntausendfach echte Empörung hervor. Und wenig gewagt ist die Vermutung, dass unter den Empörten auch Fleischesser waren. Empörung ist ein moralisches Gefühl. Wer sich diesem Gefühl willentlich hingibt, erhebt damit Geltungsansprüche. Er glaubt, sein Gefühl sei begründet. Und moralische Gründe müssen unter allen möglichen Normadressaten teilbar sein.
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Seite 103/104: Das Skandalon der Schweinehaltung
Was steht dagegen für die Tiere auf dem Spiel, die dazu bestimmt sind, auf unseren Tellern zu enden? Buchstäblich alles, mag man sogleich antworten, denn ohne das Leben ist alles andere nichts. Aber klammern wir die Frage der Tötung von Tieren zunächst aus. Betrachten wir stattdessen die Haltungsbestimmungen von Tieren, exemplarisch die von Zuchtsauen in Deutschland.
Diese weiblichen Schweine leben in Ställen ohne Sonnenlicht, auf Voll- oder Teilspaltenböden, in der Regel ohne jedes Stroh und über den eigenen, infernalisch stinkenden Exkrementen. An den spitzen Metallkanten kommt es immer wieder zu schlimmen Verletzungen. Die Sauen werden künstlich besamt und dabei einzeln in sogenannten Kastenständen gehalten. Die Stände sind 55 bis 70 Zentimeter breit und 1,6 bis 1,9 Meter lang und somit nur geringfügig größer als die Sauen selbst. Diese können sich erheben, sich niederlegen, ihre Gliedmaßen strecken; sich umdrehen oder ihr Laufbedürfnis ausleben können sie nicht. Gewiss, es gibt eine gesetzlich vorgesehene Abwechslung: Vier Wochen nach der Besamung werden die Sauen in den Wartestall verlegt, wo sie in Gruppen von 10 bis zu 100 Sauen leben. Jede Sau hat dort bis zu zweieinhalb Quadratmeter Platz für sich selbst – allerdings auch hier ohne Stroh oder sonstige schweineübliche Lebensumstände.
Eine Woche vor der Geburt der Ferkel ist es mit diesem „Luxus“ aber schon wieder vorbei. Die folgenden fünf Wochen wird die Sau in der Abferkelbucht verbringen. Die Abferkelbucht ist kaum breiter als der Kastenstand, was der Sau das vertraute Gefühl der Beengung wiedergibt. Einem natürlichen Kontakt zwischen Muttersau und Neugeborenen steht die Metallabsperrung entgegen. Die Kinder haben Zugang zu den Zitzen, die Mutter kann ihre Kinder aber nicht pflegen, ihnen nichts beibringen, nicht mit ihnen spielen. Nach vier Wochen werden die Ferkel ganz von der Muttersau getrennt. Diese kommt zurück in den Kastenstand, wo sie etwa fünf Tage später erneut besamt wird. Nach durchschnittlich zweieinhalb Jahren mit fünf bis sechs Geburten ist eine solche Zuchtsau gesundheitlich am Ende. Sie ist dann reif für die Schlachtung.
Das ist das gesetzlich erlaubte Los für große, soziale Säugetiere, die ebenso intelligent sind wie unsere Hunde. Worin besteht hier der vom Gesetz verlangte vernünftige Grund? Im menschlichen Verlangen nach erschwinglichem Fleisch. Was kostet dies die Schweine? Worauf müssen sie verzichten? Auf Sonnenlicht, Naturböden und Suhlen, eine sinnlich anregende Umgebung, freie Bewegung und geselliges Verhalten in Formen, die zu ihren Veranlagungen passen, und schließlich, am Ende dieses armseligen Daseins, auf das Weiterleben selbst.
Werden hier wesentlich gleiche Interessen gleich beachtet?
Die Frage ist rhetorisch. Unser Tierschutzgesetz lässt Gründe für das Quälen und Töten von Tieren als „vernünftig“ gelten, die wir im menschlichen Fall schlechterdings indiskutabel fänden. Das ist seinem Zweck geschuldet. Das Tierschutzgesetz soll Praktiken des Ge- und Verbrauchens von Tieren regeln – nicht etwa ausschließen –, die schon voraussetzen, dass Tiere einzig zu unseren Zwecken da sein könnten. Und die Zwecke müssen nicht einmal moralisch erheblich sein. Es genügt, dass sie intersubjektiv nachvollziehbar sind, wie die Erzeugung großer Mengen bezahlbaren Fleisches. Nur relativ zu einem solchen vorausgesetzten Zweck schließt das Tierschutzgesetz bestimmte Praktiken aus. Zum Beispiel schließt es eine ökonomisch nicht notwendige oder sogar kontraproduktive Quälerei als unverhältnismäßig aus. Es disqualifiziert den Exzess, nicht den Normalfall der Nutzung.
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Seite 108 / 109: Unter aller Sau
Welche dieser Interessen werden verletzt, wenn etwa Zuchtsauen so gehalten werden, wie das deutsche Tierschutzgesetz es erlaubt? In welchen Hinsichten erleidet eine solche Sau eine Frustration ihres Interesses am Wohlergehen? In nahezu jeder, ist die naheliegende Antwort. Die Sau lebt die ganze Zeit über auf Spaltenböden. Durch die Spalten fallen die Exkremente, die sie ständig riechen muss. Ihre Gelenke sind höchstwahrscheinlich entzündet. Jedes Aufstehen und jedes Niederlegen tun dann weh. Ihre Kinder darf sie nur vier Wochen lang sehen und säugen, durch ein Metallgitter hindurch. Kontakt zu anderen erwachsenen Schweinen hat sie einzig im Wartestall, unter beengten Bedingungen, die nichts mit der Gruppenbildung bei frei lebenden Schweinen zu tun haben. Die Zuchtsau sieht nie das Sonnenlicht, kann sich nie suhlen oder in Seen baden, nie auf Waldböden herumlaufen.
Das Ende ihres Lebens beginnt mit dem Tiertransport. Dieser darf bis zu 24 Stunden lang dauern. Einem 100 Kilogramm schweren Schwein steht dabei ein halber Quadratmeter Platz zu. Je länger die Fahrt dauert, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweine einander beißen, sich vollscheißen, vor Angst, Hunger und Durst zu brüllen beginnen. Im Schlachthof riechen sie das Blut ihrer Artgenossen, worauf sie manchen Berichten zufolge mit panischer Angst reagieren. Die Arbeit im Schlachthof erfolgt im Akkord. Von 58 Millionen Schweinen, die allein in Deutschland jährlich geschlachtet werden, wachen etwa eine halbe Million im 60 Grad heißen Brühwasser wieder auf, weil sie nicht richtig „abgestochen“ wurden. Und auch alle anderen Schweine kommen wohl kaum leidfrei ums Leben. Die verbreitete Methode der CO2-Betäubung etwa besteht darin, mehrere Tiere zusammen in Gondeln zu einer Grube zu befördern und sie dort einem Gasgemisch mit mehr als 40 Prozent Kohlendioxid auszusetzen. Bis zu 25 Sekunden lang unternehmen die Tiere verzweifelte Fluchtversuche, sie strampeln, schreien und schnappen nach Luft.
Hinweis: Der vollständige Beitrag ist nachzulesen unter https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/juli/schweinesystem)
In Venedig findet seit 1895 alle zwei Jahre die Biennale – ein internationale Kunstausstellung – statt; in diesem Jahr in der Zeit vom 9. Mai bis zum 22. November 2015. Die Ausstellungsräume sind über die gesamte Stadt verteilt, so auch die kleine Ausstellung, auf die das unten abgebildete Plakat hinweist, das keines weiteren Kommentares bedarf.