(OHN-) MÄCHTIGE STÄDTE in Zeiten der neoliberalen Globalisierung
Erst kürzlich ist eine Veröffentlichung erschienen, die es aus mehrfachen Gründen verdient, gelesen zu werden. Sie ist im Münsteraner Verlag „Westfälisches Dampfboot“ erschienen, Verfasser ist Werner Heinz, von 1978 – 2009 Projektleiter im Deutschen Institut für Urbanistik und gegenwärtig als Berater und Autor tätig. Das Buch heißt „(OHN-) MÄCHTIGE STÄDTE in Zeiten der neoliberalen Globalisierung“.
Der Autor stellt die Frage, ob Städte – so wie früher einmal – als Motoren der Entwicklung bezeichnet werden können: Können die Kommunen eigentlich noch auf die aktuelle Herausforderung steuernd eingreifen oder haben Deregulierung und zunehmende Privatisierung aus den Kommunen nur noch machtlose Getriebene gemacht.
Die Daten und Fakten sind nicht alle brandneu, aber die Tatsache, dass jemand sich die Mühe gemacht hat, sie zusammenzuführen und Schlüsse daraus zu ziehen, macht die Veröffentlichung lesenswert. Es ist ja tagtäglich zu erleben, was in den Kommunen los ist. Straßenbau und bauliche Infrastruktur, frühkindliche Bildung, innerstädtische Entwicklung: Vieles liegt im Argen. Komischerweise denken die Bürger, unsere Stadtoberen sind zu blöd, um das hinzubekommen. Eine wunderbare Situation für die EU und für den Bund: Sie beschließen zwar Gesetze und Vorhaben, laden aber die Kosten für die Umsetzung auf die Kommunen ab. Den Bürgern in den Kommunen ist häufig nicht bewusst, dass ihre Gemeindevertretungen nur Getriebene einer neoliberalen Entwicklung sind.
Ein Beispiel sind die kommunalen Sozialausgaben. Wie die Bertelsmann Stiftung in einer soeben erschienenen Studie (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/nachhaltige-finanzen/projektnachrichten/sozialkostenstudie/) festgestellt hat, summierten sich die Sozialausgaben der Kommunen bundesweit im Jahr 2014 auf rd. 78 Milliarden Euro. Damit sind sie in den letzten 10 Jahren um mehr als 50 % gestiegen. Allerdings ist die Belastung der Kommunalhaushalte durch die Sozialleistungen unterschiedlich. Am geringsten ist sie in Baden-Württemberg mit durchschnittlich 31 % des städtischen Haushalts, am höchsten in NRW mit durchschnittlich 43 % des Gesamtetats. In Duisburg machen die Sozialkosten mit 52 % mehr als die Hälfte des städtischen Haushalts aus.
Man kann den Kommunen ja vorwerfen, dass sie in manchen Dingen möglicherweise sparsamen mit den knappen Haushaltsmitteln umgehen sollten und nicht nach jeder Möhre schnappen müssen, die ihnen als vermeintliches „Leuchturm-Projekt“ vor die Nase gehalten wird. Diese Leuchtturm-Projekte – wie das im Bau befindlich Fußballmuseum in Dortmund – sind keineswegs für die lokale Bevölkerung gedacht; sie sollen in erster Linie Besucher und Touristen anlocken. Ob sich die damit verbundenen Hoffnungen erfüllen, bleibt offen. Weniger offen ist, wer für die laufenden Unterhaltskosten aufzukommen hat. Die müssen, egal ob sich die Investition rechnet oder nicht, aus dem eh schmalen Etat der Kommune gezahlt werden.
Die Veröffentlichung von Werner Heinz macht deutlich:
„Solange Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung handlungsleitende Prinzipien von EU- und Bundespolitik bleiben, solange die Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge und sozialen Sicherungssystemen weiterhin obenan stehen, solange die Sozialverpflichtung kommunaler Einrichtungen zugunsten einer Wettbewerbsorientierung aufgegeben wird und solange die deutsche Steuerpolitik eine stärkere Besteuerung von Spitzen- und Kapitaleinkommen unterlässt, solange dieser Rahmen städtischer Entwicklung keine Richtungsänderung erfährt, ist eine grundlegende Änderung der sozialen und ökonomischen Polarisierung auf kommunaler Eben nicht zu erwarten“.
All dies ist vermutlich ja nicht neu – und von daher gesehen ist die Haltung der konservativen Politiker auf EU-Ebene und im Bund zu den Verhandlungen über die Freihandelsverträge TTIP, CETA und TISA eigentlich nicht überraschend. Die Verträge in der vorliegenden Form wären eine wunderbare Fortsetzung der bisherigen Entwicklung: Markt und Wettbewerb müssen keine Rücksicht mehr nehmen auf sozialpolitische Zielsetzungen; es erhöht sich der Wettbewerb zwischen den Städten und innerhalb der Städte; diese werden ihrer gestalterischen Funktion immer weiter beraubt.
Überraschend ist, wie wenig Widerstand gegen diese Verträge aus den Führungsgremien der SPD zu spüren ist. Wer sich dafür einsetzen will, dass die Kommunen ihre Rolle wieder als Gestalter des kommunalen Lebens und nicht als Erfüllungsgehilfen des globalen Marktgeschehens wahrnehmen, der sollte sich entschieden gegen den Abschluss dieser Verträge – jedenfalls mit diesen Inhalten wenden.
Wie immer: Streng geheim verhandeln die EU und 23 weitere Staaten derzeit in Genf; diesmal über das Dienstleistungsabkommen TISA. Mit ihm wollen Konzerne eine neue Deregulierungs- und Privatisierungswelle durchsetzen und den Datenschutz aushöhlen. Zentrale öffentliche Dienstleistungen werden unter wachsenden Privatisierungsdruck geraten. Das würde das Angebot für die Bürger/innen nicht verbessern, wie allenhalben verkündet wird, sondern massiv verschlechtern. Die Konzerne wollen sogar auf die Wasserversorgung zugreifen, um neue Profitmöglichkeiten zu erhalten.
TISA entmündigt Kommunen: Ob städtisches Krankenhaus oder Stadtwerke – sind sie erst einmal privatisiert, sollen sie es bleiben. Für eine Rekommunalisierung werden hohe Hürden errichtet.
Damit würden die Kommunen als „machtlos Getriebene“ ihrer Gestaltungsmöglichkeiten völlig beraubt. Wer das will, sollte sich guten Mutes auf die Seite derjenigen schlagen, die voller Begeisterung TIPP, CETA und TISA zum Abschluss bringen wollen. Als Hauptbetroffene der aktuellen Fehlentwicklungen sollten Städte und Gemeinden eigene Schritte in Richtung eines Politikwechsels unternehmen. Von der EU und von der Bundespolitik ist hierfür zunächst offenbar keine besondere Unterstützung zu erwarten.