Was wir in der letzten Woche gelernt haben

 Europa ist keine ökonomische – Europa ist eine politische Idee

Ja, was haben wir gelernt? Griechenland lässt uns nicht los. Eigentlich wollte MENGEDE:InTakt! die Kommentierung der Krise in Europa zurückschrauben. Es gibt ebenso wichtige Dinge, die angesichts der medialen Begleitung dieser Krise in den Hintergrund getreten sind, die zu bearbeiten allerdings ebenfalls große Kraftanstrengungen erfordern wird:
• Warum verständigen wir uns nicht auf einen angemessenen Umgang mit der Digitalisierung, indem wir uns zunächst einmal auf die Chancen verständigen und nicht nur von den Risiken sprechen
• Wie könnte eine gesamteuropäische, gesellschaftliche und soziale Perspektive für Europa aussehen

• Welche Chancen vergeben wir, dass wir Deutschland nicht als Einwanderungsland verstehen wollen
• Welche Antworten finden wir auf die zunehmende und unverhohlen zur Schau gestellte Radikalisierung am rechten Rand unserer Gesellschaft.

Wir werden hierauf keine Antworten finden, wenn wir es unterlassen, breite gesellschaftliche Diskurse zu führen. Dazu gehört es auch, „Oxi“ zu sagen und dies zu begründen. Und dazu gehört eine Medienlandschaft, die diese Debatten in Ihrer Vielfalt ermöglicht und unterstützt. Die Zivilgesellschaft – sofern es die noch in einer nennenswerten Größenordnung gibt – sollte diese Debatten mitgestalten und nicht darauf hoffen, dass „Mutti“ die Dinge schon richten wird.
Wenn Griechenland heute dennoch das Hauptthema ist, liegt das daran, weil es in der Tat viel daran in der letzten Woche zu lernen gibt. Stichwortartig und – so gut wie es eben geht – emotionslos:

  •  Am Montag letzter Woche gab Jens Spahn in der Mittagszeit im WDR 5 ein Interview. Jens Spahn war bisher Gesundheitsexperte der CDU und ist seit kurzem Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium von Schäuble. Er kommentierte das Ergebnis vom Wochenende in Brüssel, dass es dabei nicht allein darum gehe, den Griechen weitere Sparanstrengungen abzuverlangen, sondern Ziel sei es auch, die griechische Gesellschaft zu verändern. Der Redakteur lässt diese Aussage unbeanstandet durchgehen, offensichtlich ist das auch seine Auffassung! Wahnsinn, denn bisher hatte niemand in dieser Deutlichkeit die wahren Absichten der „Operation am offenen Herzen“ zugegeben.
    Die Siegermächte nach dem 2. Weltkrieg hatten sich zum Ziel gesetzt, das Nazideutschland gesellschaftlich zu verändern – das war gut und richtig so. Aber die Vorgänge in Griechenland verbieten einen Vergleich mit der Nachkriegszeit in Deutschland. Allein die Tatsache, dass in Griechenland eine linke Regierung gewählt wurde, dass der Kurs der linken Regierung in einem Referendum abgesegnet wurde, erzeugt bei uns offenbar in vielen Köpfen den Wunsch, mit aller verfügbaren Härte auf diese „Ungeheuerlichkeiten“ zu reagieren. Wer erlaubt den Deutschen, in dieser Weise auf demokratische Entscheidungen der Griechen zu reagieren?
  • Der CDU-Vizevorsitzende Thomas Strobl hat erklärt: „Der Grieche hat jetzt lang genug genervt.“ „Dieser Ganove“, hätte jetzt eigentlich noch gefehlt. Der Blogger Sascha Lobo erinnert dieserhalb im SPIEGEL vom 17.7. an einen früheren im alten Preußen gängigen Vers: „Jeder Stoß ein Franzos‘, jeder Schuss ein Russ'“. Er ist froh, dass Strobl nicht dichtete: „Mit einem Tritt zum Grexit“; sein Vorschlag für den nächsten Auftritt von Strobl: „Jeder Stich ein Griech'“.
    Auf der Suche nach einer gemeinsamen Idee von Europa ist Sascha Lobo auf die Präambel der EU-Verträge gestoßen, in der „wunderschön der Ursprung der gemeinsamen Idee Europas beschrieben wird.“ Darin heißt es u.a. „…SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben… IN DEM WUNSCH, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken…“.

Die Frage steht im Raum, warum so kluge Leute, wie es die Finanzminister der europäischen Länder eigentlich sein sollten, keine Lösungen finden, bei denen man das Gefühl hat, hier handelt es sich um einen Kompromiss, der den Namen verdient. Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz kommt in der Ausgabe vom 17. 7 zu dem Schluss, dass Schäuble von der Realität, die er ignoriert, eingeholt wird. Die Rettungskosten für Griechenland werden nach ihrer Überzeugung steigen, weil die griechische Wirtschaft kollaboriert. Ständig werden neue Milliarden benötigt. Schäuble und auch sein stärkster Verbündeter – der Finne Stubb – hätten nur noch eine Chance ihr Versagen zu maskieren. „Sie hoffen, dass die Griechen einen Grexit hinlegen. … Schäuble und Stubb haben Athen zu einem Protektorat gemacht, um eine Revolte zu provozieren.“

Das alles stimmt nicht fröhlich, dabei gibt es viele Menschen in Europa, die mit guten Ideen den Griechen helfen wollen. Der Brite Thom Freeney z. B. hatte vor gut zwei Wochen eine einfache Idee: Schmeißen wir doch alle zusammen und bezahlen die griechischen Schulden. Auf diese Weise wollte er 1.6 Milliarden Euro auf der Crowdfunding-Plattform indiegogo.com sammeln. Knapp 2 Millionen kamen zusammen – immerhin -, aber doch erheblich zu wenig, so dass der Betrag automatisch an die Spender zurückgezahlt wurde. Das hat den Briten jedoch nicht entmutigt. Er startete gleich eine zweite Sammlung ohne vorher eine feste Summe als Ziel zu nennen. Das gesamte Geld, das diesmal zusammenkommt, geht an die griechische Stiftung Demos, die junge arbeitslose Griechen unterstützt. Bis zum Sonntagabend (Stand 17.30 ) kamen von 11.400 Menschen 239.119 Euro zusammen – 1 Million Euro sollen es möglichst noch werden. (Einzelheiten unter: https://www.indiegogo.com/projects/greek-crowdfund).

Eine andere Möglichkeit politischen Handelns beschreibt ein Beitrag in der Juli-Ausgabe von „Le Monde diplomatique“: „Ein guter Plan für Europa“. (Einzelheiten unter: https://monde-diplomatique.de/artikel/!5207761) Der Einfachheit wird hier lediglich das Fazit der Autoren wiedergegeben: „Käme ein solches Modell auch in anderen Schuldnerländern zum Zuge, könnte dies zu einem echten gesamteuropäischen Aufschwung beitragen. Ein ökologischer, humaner und solidarischer Entwicklungspfad für Europa, der in Richtung Energiewende und Nachhaltigkeit führt, wäre ein erster Schritt zur Neubegründung des europäischen Projekts  auf einer ganz neuen Basis“.

Wenn man den Beitrag liest, klingt alles so einfach und es stellt sich die Frage: Ist die neoliberale Ideologie in unserer Gesellschaft mehrheitlich schon so verfestigt, dass die Politik keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten mehr hat bzw. diese auch nicht sehen will. Die Mehrheit in den demokratischen Parteien scheint mit dem zufrieden zu sein, was sie vorfinden. Oder es fehlt die Kraft und die Fantasie, alternative Konzepte zu entwickeln. Die Idee Europa – so scheint es – wird mehrheitlich auf dem Altar der „kapitalistischen Demokratie“ geopfert. Dabei wird vergessen: Europa ist keine ökonomische, sondern eine politische Idee.

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