Finanziell benachteiligte Kommunen schließen ein Aktionsbündnis
Den Mengeder Bürgerinnen und Bürgern, die mit offenen Augen durch ihren Stadtteil gehen, fallen schon seit langem diverse Missstände auf. Lösungen sind noch lange nicht in Sicht. Der erbärmliche Zustand unserer Straßen ist ein äußeres Zeichen für dringenden Handlungsbedarf. Und das ist nicht nur in Mengede so. Woher kommt der in breiten Bevölkerungskreisen verankerte Eindruck „Die Stadt hat kein Geld“? Nach den Feststellungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben die deutschen Kommunen seit 2003 nicht mehr genügend investiert, um den Wert der Infrastruktur (Straßen, Schienen- und Wasserwege, Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Kommunikationsnetze) auch nur zu erhalten. Sie wird seit 12 Jahren auf Verschleiß gefahren.
Die Gemeinden stehen vor schwierigen, teils alten, teils neuen Herausforderungen. Die vorhandene Infrastruktur muss erhalten und modernisiert werden. Gleichzeitig soll auch in neue Projekte Geld fließen, beispielsweise den Breitbandausbau. Neben den stetig wachsenden Sozialausgaben, zum Beispiel für „Hartz IV“ oder die Grundsicherung im Alter treten weitere, wie für die Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge.
Auf den ersten Blick hat sich die Lage, vor allem aufgrund der relativ guten Konjunktur, entspannt. Seit 2012 nehmen die Gemeinden in Deutschland in ihrer Gesamtheit mehr ein als sie ausgeben (siehe Tabelle „Kommunalfinanzen 2012 bis 2014“).
Auf den zweiten Blick muss diese Sicht doch stark korrigiert werden. Die Unterschiede zwischen den Gemeinden sind riesig. Einige Fakten dazu:
- Positiv war der Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben (Finanzierungssaldo) – 2014 nur in sieben der 13 Flächenländer. In den anderen sechs Ländern geben die Gemeinden weiterhin mehr aus als sie einnehmen.
- Dazu passt, dass auch die höheren kommunalen Investitionen vor allem dort zu finden sind, wo schon in den vergangenen Jahren viel möglich war. So investierten die bayerischen Kommunen 2014 knapp das 3fache pro Einwohner im Vergleich zu den nordrhein-westfälischen.
- Beim Blick auf die Ausgaben zeigen sich diese Unterschiede ebenfalls. Insbesondere die Sozialausgaben der Kommunen wachsen weiterhin mit Raten von deutlich über 5 Prozent jährlich. Es gibt eine regionale Ballung von Problemlagen: Wo die Arbeitslosigkeit hoch, die Einkommen vergleichsweise niedrig sind, Kinderarmut verbreitet ist und viele die Schule ohne Abschluss verlassen, da sind auch die Ausgaben der Kommunen für soziale Leistungen hoch, ebenso ihre aufgelaufenen Schulden, für kommunale Investitionen hingegen fehlen die Mittel.
Die Probleme haben sich über drei Jahrzehnte angesammelt; das Abladen von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben auf die Kommunen in Form unaufhaltsam steigender Sozialkosten ist von diesen nicht mehr zu verkraften. Dieser Zustand konnte von den am stärksten betroffenen Kommunen nicht länger hingenommen werden.
Parteiübergreifendes Aktionsbündnis gegründet
Unter dem Namen „Raus aus den Schulden – Für die Würde unserer Städte“ haben rund 40 Kommunen – darunter auch Dortmund – ein Bündnis gegründet mit dem Ziel, eine bessere Finanzausstattung und die Entschuldung unterfinanzierter und überschuldeter Kommunen zu erreichen. Das ursprünglich in NRW gegründete Bündnis wurde bundesweit ausgedehnt. Aktuell haben sich 64 Kommunen in acht Bundesländern dem Bündnis angeschlossen. In dem Gründungsdokument „Kaiserslauterer Appell an Bund und Länder zur Schaffung eines gerechten Gemeindefinanzsystems“ werden zentrale Forderungen zur Neuordnung der Soziallastenfinanzierung, eine Strategie zur Stärkung der kommunalen Investitionsfähigkeit und ein Sondertilgungsprogramm zum Abbau überproportionaler Verschuldung formuliert. Die kommunalen Konsolidierungsbemühungen müssten in einen landes- und bundespolitischen Rahmen eingespannt werden, der als „Haushaltssicherungsnetz“ bezeichnet wird. Elemente dieses Rahmens sind
- eine aufgabenangemessene Finanzausstattung unter strikter Beachtung des Konnexitätsprinzips (vereinfacht ausgedrückt: „Wer bestellt der bezahlt“) zur Sicherstellung der Soziallasten- und Infrastrukturfinanzierung,
- Landeshilfen zur Unterstützung des kommunalen Haushaltsausgleichs in Kommunen mit massiven strukturellen Finanzierungslücken (temporäre Konsolidierungshilfen = Programme der Bundesländer zur Entschuldung überschuldeter Kommunen) und
- eine Teilentlastung von wirtschaftlich nicht zu leistenden Zins- und Tilgungsleistungen (z.B. Übernahme von überproportionalen „Spitzenlasten“ im Rahmen eines Sondertilgungsprogrammes).
Willkommenskultur gibt es nicht umsonst
Die kommunale Ebene – im Zusammenwirken von öffentlichen Stellen und freiwilligem Engagement – war es, die in Deutschland den Zustrom von Flüchtlingen bisher aufgefangen hat. Dabei gilt es, zu verhindern, dass sich Konkurrenzen zwischen den verschiedenen sozial schwachen Gruppen verstärken, sei es am Wohnungsmarkt, im Schulwesen oder am Arbeitsmarkt.
Als erste Maßnahme wurde in der Bund-Länder-Vereinbarung vom September 2015 die Umsatzsteuerverteilung so geändert, dass die Länder 2015 eine zusätzliche Milliarde Euro erhalten. 2016 zahlt der Bund an die Länder für jede/n registrierte/n AsylbewerberIn bis zum Asylbescheid 670 Euro monatlich. Für nicht anerkannte AntragstellerInnen wird dieser Betrag nur einen Monat lang gezahlt. Diese Mittel erhalten jedoch allein die Länder; ob und in welcher Höhe sie an die Kommunen weitergereicht werden, die den größten Teil der Kosten aufbringen müssen, ist noch unklar. Zudem beziffert der Städtetag die monatlichen Kosten je AsylbewerberIn weit höher, nämlich bei 1.000 Euro. Schließlich sei zu erwarten, dass ein großer Teil der AsylbewerberInnen, deren Antrag abgelehnt wird, hiergegen klagt; die Bundeshilfe endet aber mit dem Asylbescheid. Auch die Kosten, die vor der Antragstellung anfallen, werden nicht berücksichtigt.
Im Ergebnis könnte auf die Kommunen ein großes, schwer zu bezifferndes Kostenrisiko zukommen. Eine Befragung von 300 Gemeinden durch die Unternehmensberatung Ernst & Young ergab, dass mehr als ein Viertel von ihnen erwarten, wegen des Flüchtlingszustroms neue Kredite aufnehmen zu müssen.
MENGEDE:InTakt! druckt nachstehend den ungekürzten Wortlaut der Presseinformation der Stadt Dortmund zum Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ ab:
Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“
fordert baldige Plenardebatte im Bundesrat.
Das parteiübergreifende Aktionsbündnis „Für die Würde der Städte“, dem auch Dortmund angehört, geht mit Mut und Zuversicht in das neue Jahr. Es erwartet, „dass Bund und Länder endlich die Initiative zur seit Jahrzehnten versprochenen grundlegenden Neuordnung des Kommunalen Finanzsystems ergreifen. Unsere beiden Kommunalkonferenzen in Berlin im Februar und im September zeigen Wirkung!“ So die Sprecher Oberbürgermeisterin a.D. Dagmar Mühlenfeld (SPD) aus Mülheim an der Ruhr, Oberbürgermeister Dr. Bernhard Matheis (CDU) aus Pirmasens, Kämmerer Uwe Bonan (Mülheim an der Ruhr) und Stadtdirektor Dr. Johannes Slawig (Wuppertal).
Ebenso „vorsichtig optimistisch“ äußern sich Oberbürgermeister Ullrich Sierau und Stadtkämmerer Jörg Stüdemann: „Gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus 64 Kommunen mit ebenfalls großen Finanzproblemen fordern wir für 2016 eine baldige Plenardebatte im Deutschen Bundesrat zur nicht mehr gegebenen Gleichheit der Lebensverhältnisse wie sie vor drei Monaten bereits im Deutschen Bundestag auf Grund eines unserem Bündnis von allen Fraktionen gegebenen Versprechens stattgefunden hat.“
Für das inzwischen bundesweit beachtete Aktionsbündnis war 2015 ein Erfolgsjahr. Ursprünglich auf Nordrhein-Westfalen konzentriert, ist dieser auf Zeit gebildete Zusammenschluss inzwischen in acht Bundesländern aktiv. Das Bündnis lebt vom kollegialen Zusammenstehen seiner Hauptverwaltungsbeamten und Finanzdezernenten, die ungeachtet ihrer jeweiligen Parteizugehörigkeit nach dem Motto handeln: „Allein hört uns in der großen Politik niemand, doch wenn wir gemeinsam auftreten, nehmen uns Parlamente und Regierung ernst“.
Für das nächste Jahr hat sich das Bündnis zu einer Reihe weiterer Aktionen verabredet, um von Bund und Ländern mehr Finanzhilfen für die finanzschwachen Städte, Gemeinden und Kreise zu erreichen – ausdrücklich als Hilfe zur Selbsthilfe unter Zusicherung weiterer eigener Sparmaßnahmen. Dazu Mühlenfeld und Matheis: „Wir werden in Berlin und den Landeshauptstädten weiterhin keinesfalls als Bittsteller auftreten, denn wir fordern unser Recht! Bund und Länder haben Jahrzehnte lang bei den Kommunen per Gesetz immer mehr Leistungen bestellt, jedoch nicht ausreichend dafür bezahlt. Jetzt, wo bei den um ihre Gestaltungsfähigkeit ringenden Kommunen die Steuerquellen nicht so sprudeln wie bei Bund, Ländern und wohlhabenden Gemeinden, erwarten wir Gegenleistungen. Dabei darf uns die Politik nicht mit weiterem Schwarze-Peter-Spiel im Stich lassen.“
Zur Durchsetzung seiner Forderungen will sich das Aktionsbündnis deshalb auch keinesfalls mit „zeitlich befristeten und halbherzigen Teilhilfen zum Beispiel für soziale und investive Aufgaben“ abspeisen lassen, obwohl sie zurzeit vielerorts als Zwischenlösung notwendig sind. OB Ullrich Sierau und Stadtkämmerer Jörg Stüdemann formulieren ebenfalls Klartext: „Wir fordern von Bund und Ländern den politischen Mut zu grundlegenden, dauerhaften Lösungen. Dass der Staat von handlungsfähigen Kommunen abhängt, beweist die Unterbringung von Flüchtlingen. Dabei haben die finanzschwachen Kommunen samt ihrer Bürgerschaft ebenso engagiert angepackt wie die finanziell besser gestellten.“
Anmerkung der Redaktion:
Wesentliche Fakten dieses Beitrags wurden dem „Gemeindefinanzbericht 2015“ des Deutschen Städtetags entnommen.
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