Entmachtet die Ökonomen! Warum die Politik neue Berater braucht
Die universitäre Lehre der Ökonomen wird seit längerer Zeit heftig kritisiert, denn die Öffentlichkeit kann immer weniger nachvollziehen, warum eine wissenschaftliche Disziplin nicht in der Lage ist, beispielsweise Lösungsvorschläge zur Beseitigung der Schuldenkrise zu finden.
Mit gleicher Berechtigung wird gefragt: Warum gelingt es nicht, eine Finanzkrise auch nur annähernd vorauszuahnen oder warum gibt es keine Lösungsvorschläge für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, keine mehrheitsfähigen Konzepte zur Beseitigung der Armut oder nur allein zur Bekämpfung der Ungleichheit? Stattdessen werden Konzepte für ein ständiges Wirtschaftswachstum entwickelt, obwohl jedem inzwischen klar sein müsste, dass die natürlichen Ressourcen auf unserer Erde endlich sind.
Für all die ungelösten Probleme wird die Politik verantwortlich gemacht. Dabei wird dann geflissentlich übersehen, dass die wirtschaftspolitischen Entscheidungen nach Beratungen durch die herausgehobenen Vertreter der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen zustandegekommen sind.
Mit dieser Problematik setzt sich Frank Niessen in seinem Buch auseinander, das kürzlich im Tectum Verlag erschienen ist. * Dr. Frank Niessen hat Volkswirtschaft und Politologie studiert und wurde 2006 an der RWTH Aachen mit einer Arbeit zum Verhältnis von Ökonomie und Ökologie promoviert. Je intensiver er sich dabei mit diesen Themen befasste, je fragwürdiger erschienen ihm die in den Wirtschaftswissenschaften herrschenden Theorien und Modelle, die immer weniger mit der ökonomischen Wirklichkeit zu tun haben. Das liegt nach seiner Überzeugung an dem Anspruch der Ökonomen als Naturwissenschaft anerkannt zu werden. Das sei eine unzulässige Einengung des Aufgabenfeldes, denn Ökonomie befasse sich nun mal mit sozialen und politischen Dimensionen und müsse ihre Forschungs- und Lehrinhalte entsprechend ausrichten.
Zu diesem verhängnisvollen Missverständnis geselle sich ein grundsätzliches Versagen bei der Erarbeitung von Lösungskonzepten für die eingangs aufgeworfenen Fragen. Die herrschende Lehre blende die Realitäten nicht nur aus, es werde zudem kritiklos der bestehende Zustand, z. B. der existierende Kapitalismus propagiert.
All das ist nicht neu; bereits in den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat der Club of Rome diese Fragen in seinen Veröffentlichungen thematisiert – allerdings ohne durchschlagende Erfolge. Im Gegenteil, die Strukturen sind inzwischen weiter verfestigt – unterstützt durch Globalisierung und vorherrschende neoliberale Ideen. Die Forschung und Lehre in den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen duckt sich weg bzw. ist nicht bereit, sich dem medialen Mainstream zu widersetzen.
Insofern ist es dem Autor zu danken, dass er in seinem Buch nicht nur die wesentlichen Kritikpunkte aufgreift, sondern in den Kapiteln 4 – 6 eigene Lösungsvorschläge ausgearbeitet hat: Kapitel 4 „Leitlinien für eine neue Wirtschaftswissenschaft“, Kapitel 5 „Ein alternativer wirtschaftspolitischer Ansatz“, Kapitel 6 „Überlegungen zur ethischen Dimension wirtschaftspolitischer Regulierung“ enthalten Forderungen, die heute teilweise noch utopisch klingen.
Überlegungen zum Armuts- und Ökologiemanagement, zur Vollbeschäftigung mittels flächendeckender Arbeitszeitverkürzung, zur Beschränkung der Nutzung natürlicher Ressourcen sind es vermutlich auch, denn erfahrungsgemäß sind Hochschulen Organisationseinheiten, die sich schwer tun, von lieb gewonnenen Vorstellungen Abschied zu nehmen, was in diesem Falle bedeuten würde, die Lehrpläne entsprechend zu aktualisieren.
In seinem Geleitwort zu diesem Buch äußert sich Peter Ulrich – emeritierter Professor und Leiter des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen – wenig optimistisch, wenn er den Finger in die Wunde legt und u.a. schreibt: „Was als neutrale Sachlogik der Marktwirtschaft dargestellt wird, ist vor allem die parteiliche Interessenlogik des Kapitals(Kapitalismus). Und was fast noch schlimmer ist: Kaum jemand scheint es zu bemerken – weder die braven Studierenden noch die „Anwender“ in Praxis und Politik noch die Lehrkräfte des Mainstreams selbst. Wen wundert’s, solange die Standardökonomik sich als alternativlos darstellt und alle Ansätze, die ein anderes Wissenschaftsverständnis vertreten und von konkurrierenden normativen Voraussetzungen ausgehen, unbesehen als unwissenschaftlich aus den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen ausgrenzt?“ (S. 9)
Kritik auch vom „Netzwerk Plurale Ökonomik“
Widerstand gegen die herrschende Lehre regt sich neuerdings auch von Seiten der Studierenden. Kritische Studierende haben sich im „Netzwerk Plurale Ökonomik“ zusammengeschlossen, um die aus ihrer Sicht einseitige wirtschaftswissenschaftliche Lehre zu reformieren. Nach Ansicht der Initiatoren des Netzwerkes bekommen junge NachwuchsökonomInnen in ihrer Ausbildung nur die „neoklassische Modellökonomik“ vermittelt. „Die Lösung realer gesellschaftlicher Probleme rückt dabei im Schein mathematischer Objektivität und eines überhöhten Dogmatismus in den Hintergrund“, stellen die Netzwerker fest, und weiter heißt es: „Dies ist nicht nur das interne Problem einer akademischen Disziplin, sondern wirkt sich über Expertisen und wirtschaftspolitische Empfehlungen von ÖkonomInnen an die Politik auf die ganze Gesellschaft aus, betrifft also alle Menschen.“
Ende März hat das „Netzwerk“ eine Studie veröffentlicht, in der es knapp 60 deutsche Bachelor-Studiengänge untersucht hat, die zu einem Abschluss in Volkswirtschaftslehre führen. Deprimierende Erkenntnis der Netzwerker: „Mathematische Formeln dominieren, den Studierenden wird das Denken abgewöhnt. Es geht beim Studieren nicht darum, etwas zu verstehen, sondern vorgegebene Aufgaben möglichst schnell zu berechnen. Prüfungsvorbereitung heißt, Formeln auswendig zu lernen.“ (Informationen über das Netzwerk und die Ergebnisse der Studie unter www.plurale-oekonomik.de)
Die Studierenden des Netzwerkes sind – ebenso wie Frank Niessen mit seiner Schrift – nicht mehr alleine. Zunehmend wächst auch anderswo die Überzeugung, dass das Fach vor allem nutzlose Mathematik produziert und mit den Problemen des Alltags nichts mehr zu tun hat. So schrieb kürzlich der US-Ökonom Paul Romer in seinem Blog: „Die Ökonomie funktioniert nicht mehr, wie es bei einer wissenschaftlichen Disziplin üblich sein sollte.“ Es würden „wie auf einem interreligiösen Treffen nur noch Dogmen rezitiert und dafür auch noch „andächtige Stille“ erwartet.