Buchempfehlung: Lobbykratie

Lobbykratie – Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft

Lobbyismus bezeichnet eine Form der Interessenvertretung in Politik und Gesellschaft. Hierbei versuchen Interessengruppen insbesondere durch die Pflege persönlicher Verbindungen die Verwaltungen und Parlamente in Gemeinden, Ländern und im Bund zu beeinflussen. Zeitgleich wirken sie auf die öffentliche Meinung durch Berichte in den Massenmedien ein.

Der Begriff „Lobbyismus“ ist zunehmend negativ besetzt. Deswegen verschleiern Interessenverbände ihre lobbyistische Tätigkeit  meist unter anderen Bezeichnungen: Public Affairs, politische Kommunikation, Politikberatung. Unternehmen unterhalten für derartige Aufgaben ein Hauptstadtbüro bzw. eine Hauptstadtrepräsentanz.

lobbykratie

Vor diesem Hintergrund ist das vor kurzem erschienene Buch der beiden Autoren Markus Balser und Uwe Ritzer – beide arbeiten für die Süddeutsche Zeitung – von besonderer Aktualität. Sie haben für das Buch „Lobbykratie“ über zwei Jahre recherchiert und dabei herausgefunden, mit welchen Methoden die Lobbyisten vorgehen – und wie sie immer häufiger zum Erfolg kommen.  Mit ihrem Buch geht es  ihnen darum, „die Strategie professioneller Lobbyisten aufzudecken und so Sensibilität zu schaffen für eine Gefahr, die uns alle angeht“ *

Dabei wird die Notwendigkeit einer Interessenvertretung von den Autoren nicht in Abrede gestellt. Im Gegenteil, beide halten Interessenvertretung z.B. von Gewerkschaften, Umwelt- oder Wirtschaftsverbänden für erwünscht. Allerdings: Die bisherigen Interessenvertreter verlieren an Bedeutung, weil sie meist für die Öffentlichkeit erkennbar operiert haben.
Moderner Lobbyismus entzieht sich meist jeglicher demokratischen Kontrolle, denn „wer Strippen zieht, will dabei nicht beobachtet werden.“ (S. 344). Lobbyisten setzen nicht nur bei Politiken an, sondern unterwandern Ministerien, Behörden und die Gesellschaft. „Wer nicht mit am Tisch sitzt“, so heißt eine Lobbistenregel aus den USA, „befindet sich auf der Speisekarte.“

Für die Allgemeinheit unerwünschte, aber für die Lobbyisten durchaus beabsichtigte Konsequenz: Lobbyismus schafft Vorteile für diejenigen, die hinreichende finanzielle Möglichkeiten haben, mit der Folge: Den Reichen wird gegeben, und den Armen genommen.

Das Buch ist spannend geschrieben – häufig glaubt man, es handele sich um einen Krimi. Dazu liefert es Fakten und Namen, die man auch in anderen Zusammenhängen schon mal gehört hat. In 10 Kapiteln geht es u.a. um die folgenden Themen:

  • Bremser am Werk – Fragwürdige Geschäfte im Rahmen de Energiewende
  • Verraucht – Der erbitterte Kampf der Tabakindustrie gegen besseren Gesundheitsschutz
  • Hilfst du mir, elf ich dir – Ein Netzwerk an der Basis unserer Nahrungskette
  • Wie geschmiert – Wie Schulen und Bildung vereinnahmt werden
  • Zwischen den Zeilen – Medien als Transmissionsriemen für Lobbyisten
  • Große Haie – Wie die Finanzindustrie die europäische Politik beeinflusst.

Es fragen sich beileibe nicht nur die Autoren, was denn eigentlich die Politik unternimmt, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Es gelingt z. B. nicht eine Transaktionssteuer einzuführen, obwohl der ungebremste Hochfrequenzhandel nachweislich die Stabilität der Finanzsysteme gefährdet. Es wird der Kampf gegen die Erderwärmung verschleppt, obwohl der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel seit Jahren erwiesen ist. Die Grenzwerte bleiben lasch, obwohl Autoabgase die Luft verpesten und zu erheblichen Gesundheitsschäden in der Bevölkerung führen. Versicherungen setzen neue Regeln durch, obwohl sie Verluste für Millionen von Versicherten bedeuten können. Erklären lasst sich das nicht, allerdings ist zu vermuten: Hier ist eine schlagkräftige Lobby am Werk.

Deswegen bedarf es „klarer und gerechter Spielregeln.“ Und es darf nicht sein, „dass der Staat bei der Wahrnehmung seiner wichtigsten Aufgaben auf Hilfe von Lobbyisten angewiesen ist oder sich ihnen sogar ausliefert.“

Nach Auffassung der beiden Autoren muss die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters** das Ziel sein. „Es muss jetzt darum gehen, demokratische Prozesse nicht bloß zur leeren Hülle verkommen zu lassen. Strengere Lobbyvorschriften wären nicht das Ende der Debatte, sondern der Anfang einer lebendigen Demokratie.“ (S. 347)

Es hört sich möglicherweise übertrieben an. Aber wenn es so weitergeht wie bisher, dann ist absehbar, dass Konzerne oder Wirtschaftsregionen ihre Interessen deswegen durchsetzen können, weil sie bessere finanzielle Möglichkeiten haben. Die Belange der Allgemeinheit spielen keine Rolle mehr. 
Deshalb gilt: Wer nicht möchte, dass wenige Vermögende auch hier bestimmen, wo es lang geht, muss dem Treiben ein Ende setzen. Wir alle müssen wissen, wer an einem Gesetz mitgeschrieben hat. Eine politische Interessenabwägung benötigt Chancengleichheit für alle Beteiligten und vor allem für alle Argumente. Die Meinung der Autoren: „Diese Chancengleichheit ist erheblich in Gefahr!“

* Beide Autoren haben für ihre journalistische Arbeit renommierte Preise erhalten. Bläser wurde für deine Arbeit zur Enthüllung des Siemens-Korruptionsskandalszusammen mit seinem SZ-Team mit dem Henry-Nannen-Preis ausgezeichnet. Ritter erhielt mit Kollegen für Recherchen im Fall Mollath und für die Aufdeckung des ADAC-Skandals u.a. den Wächterpreis der Tagespresse, den Helmut-Schmidt-Preis und den Leuchtturm-Preis.
** Höchste Zeit für ein Lobbyregister
Anlässlich der aktuellen Debatte um die Einführung eines Lobbyregisters und der
öffentlichen Anhörung im Bundestag zu dem Thema erklärte der Dortmunder
SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow Mitte Mai 2016:
„Die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters ist absolut überfällig. Wir wissen weder wie viele Lobbyisten in Berlin Einfluss auf die Politik ausüben, noch kennen wir die Budgets. Häufig gibt es verdeckte Lobby-Kampagnen von Agenturen oder Anwaltskanzleien, bei denen nicht klar ist, welche Interessen dahinter stehen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Arbeitgeber der Abgeordneten weder die
Bundesregierung, noch die Schaltzentralen großer Konzerne sind, sondern die
Bürger*innen. Diese haben ein Recht darauf zu wissen, wer politische Entscheidungen beeinflusst.
Selbst viele Unternehmen und Lobbyisten fordern mittlerweile ein Lobbyregister, weil sie für einen transparenten und fairen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft sind. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass sich der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung  mit dem Thema Lobbyregister beschäftigt. Die SPDBundestagsfraktion fordert ein solches Register schon lange. Wieder einmal sind es CDU und CSU die beim Thema Transparenz blockieren und eine Lösung verhindern. Ich fordere die Unions-Fraktion auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben und mit uns ein verbindliches Lobbyregister auf den Weg zu bringen. Daneben appelliere ich auch an die Spitze meiner eigenen Fraktion, bei dem Thema den Druck zu erhöhen.
Auch in dem von mir initiierten Verhaltenskodex für Abgeordnete (https://www.marcobuelow.de/demokratie-transparenz/transparenz-abgeordnetenkodex.html)fordern die über 40 Unterzeichner*innen die Einführung eines Lobbyregisters
Nähere Informationen zum Thema Lobbyismus  unter
www.lobbycontrol.de und www.abgeordnetenwatch.de