Die Kunst mit der Kunst
von Klaus Neuhaus*
„Wann ist denn Kunst eine Kuuhuhuunst?“, würde wahrscheinlich Herbert Grönemeyer singen, wenn er mit diesem Thema befasst wäre.
Völlig beseelt ein Konzert oder eine Ausstellung zu verlassen, ist für mich ein Hochgefühl, dass kaum eine Steigerung kennt.
Daniel Barenboim spielte mit dem West-Eastern Divan-Orchestra in der Berliner Waldbühne. Viel Beethoven, mit Götterfunken und allem Pipapo. Ich durfte mit Familie und Freunden zuhören.
Der Wetterdienst hatte für den Abend übelstes Wetter vom Himmel über Berlin angekündigt.
Es gab durchaus auch ernste Drohungen von Petrus, also von ganz oben.
Er muss wohl trotz der Riesenentfernung Barenboim erkannt und dann entschieden haben: „Da unten ist ja der Daniel am Werk. Das ist doch der, der israelische und arabische Musiker in einem Orchester spielen lässt. Dann lass ich das doch lieber bleiben mit dem Donnerwetter. Wäre doch zu schade.“
Meine Religiosität hält sich in Grenzen. Doch ungefähr so muss es sich abgespielt haben. Da bin ich ganz sicher.
Auf dem Weg von der Waldbühne zurück zur Bahn standen hier und da kleine Grüppchen offensichtlich jüdischer Gemeindemitglieder, gemeinsam dezent Lieder singend, die womöglich in jüdischen Gemeinden gesungen werden. Das vermute ich.
Eine sehr spezielle Form von Glückseligkeit.
Was Daniel Barenboim angeht, bin ich befangen. Das gebe ich gerne zu.
Ich bewundere ihn.
Gar nicht mal, weil er besser dirigiert als andere Dirigenten oder besser Klavier spielt als andere Pianisten.
Das ist es nicht.
Es ist vielmehr die Art und Weise, wie er es tut. Wie er den Spaß an der Musik lebt und verbreitet. Wie er vor dem Flügel sitzt und spielt, als gäbe es nichts Leichteres auf dieser Welt. Nicht so überheblich wie einige seiner Kollegen, die ständig Arme, Hände und Kopf verdrehen, um zu verdeutlichen, welch schwieriges Werk sie grad vollbringen.
Oder diejenigen, die völlig in sich gekehrt sind, für Sterbliche nicht erreichbar, um zu demonstrieren: Das kann ich nur spielen, wenn ich völlig weggetreten bin.
Alles nur ein großer Quatsch.
Barenboim zeigt, wie es wirklich geht. Mit einem Lächeln, das uns sagt: Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als das, was ich hier lebe.
Streng nach der alten Zirkusregel, dass alles ganz leicht und einfach wirken soll, was in der Manege passiert. Es geht das Publikum nichts an, wie schwierig es ist, sich dieses Können anzueignen.
Die vielzitierten langen, schlanken Klavierfinger hat Barenboim nicht einmal.
Eher (sorry) Wurstfinger oder „Deutschländer“-Würstchen, wie Frank Goosen in einem Bühnenprogramm seine eigenen Finger nannte, als er noch fülliger war.
In Dinslaken-Lohberg eröffnet die Ruhrtriennale mit einer Accattone-Inszenierung.
Eyüp Yildiz, der Vizebürgermeister von Dinslaken, ist nicht glücklich mit dieser Entscheidung, hat die Befürchtung, dass die Kohlenmischanlage für ein durchreisendes Kulturspektakel missbraucht wird. Auch wegen der vielen Migranten nicht ganz passend.
In einem Zeitungsinterview äußert er neben anderen Bedenken: „Die wahre Kunst würde doch Brücken bauen! Wenn die Kunst die Leute nicht mitnimmt, tun es andere.“
So denken Diplom-Sozialwissenschaftler über die Kunst.
Eyüp Yildiz ist Diplom-Sozialwissenschaftler. Ein sehr guter wahrscheinlich. Und ein richtig fähiger Vizebürgermeister. Daran hege ich nicht die geringsten Zweifel.
Kunst muss gar nichts.
Dass das ein für alle Mal klar ist.
Unter allen schlimmen Sätzen hier mein Lieblingsschlimmersatz, von Franz-Josef Degenhardt:
„Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf.“
Auf einer Stufe mit:
„Schöne Poesie ist Krampf im Klassenkampf.“ Und:
„Schöne Künste sind bloß Krampf im Klassenkampf.“
Auch von Degenhardt.
So etwas kommt dabei heraus, wenn man aus bürgerlichen Verhältnissen stammt und die Arbeiterklasse im Klassenkampf retten möchte.
Das ist noch nie gut gegangen.
In einer Talkshow sagte Daniel Cohn-Bendit zu Reinhard Mey: „Wir machen das mit unserer Politik soundso. Und du machst das mit deiner Klampfe.“
Er hätte auch Gitarre sagen können.
Ich bin ein großer Freund des Untertons, wie auch des Zwischentons. Das steht mir beim Glücklichsein oft im Wege.
Künstler lieben sich.
Künstler streiten sich.
Künstler entzweien sich.
Künstler überwerfen sich.
Künstler trennen sich.
Wegen der Definition des Wortes Kunst.
Was darf Kunst?
Was soll Kunst?
Was muss Kunst?
Noch einmal zum Mitschreiben:
Kunst soll Kunst sein.
Sonst nichts.
Sie soll sich nicht prostituieren.
Keinem Diktator, keinem Gewerkschaftler, keinem Sozialpolitiker, keinem Kulturpolitiker, keinem Religionsführer soll sie sich anbiedern.
Sie soll auch nicht den Menschen dienen. Das sollte den Politikern vorbehalten sein, auch wenn es regelmäßig in die Hose geht.
Der Dirigent Daniel Barenboim und die Berliner Staatskapelle haben bestätigt, einen Auftritt in Teheran zu planen.
Israels Kulturministerin Regev hatte zuvor beklagt, Barenboim, der israelischer Staatsbürger ist, verfolge mit dem Konzert eine anti-israelische Linie.
Das schreibt meine Tageszeitung nach einer dpa-Meldung.
Miriam Regev war früher Brigadegeneralin und ist leider sehr, sehr hübsch.
2004 wurde sie Chefzensorin der Presse und der Medien. Solch eine kühne Einrichtung muss sich eine Demokratie erst einmal leisten können.
Nach Ausschreitungen israelischer Jugendlicher bei einer Demonstration gegen sudanesische Flüchtlinge erklärte Frau Regev: „Die Sudanesen sind wie ein Krebs in unserem Körper.“
Dieser Satz wäre in Deutschland wahrscheinlich nicht einmal einem CSU-Politiker bei Lanz rausgerutscht. Will ich hoffen.
In einem Fernsehinterview im November 2012 outete sich Miri Regev mit dem Bekenntnis, sie sei glücklich, eine Faschistin zu sein.
Eine glückliche Faschistin in Israel. Dass muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Wie schon geschrieben, ist sie nun Kulturministerin.
Diese Art Minister, die alles können, gestern Familie, heute Verteidigung, kennen sie sicher auch aus unserem kleinen, schnuckeligen Deutschland.
Einen Tag später zitiert meine Tageszeitung eine nächste dpa-Meldung:
Der Iran will einen geplanten Auftritt des argentinisch-israelischen Stardirigenten Daniel Barenboim in Teheran nicht zulassen. Der Iran erkennt das zionistische Regime Israels nicht an und wird auch nicht mit Künstlern dieses Regimes zusammenarbeiten. So ein Sprecher des iranischen Kultusministeriums.
Ich verspüre eine große Lust, mich ans Klavier zu setzen.
Mit meinen Wurstfingern.
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Die vorstehende Kurzgeschichte ist einem Buch des Mengeders Klaus Neuhaus entnommen, das am 9. September 2016 im Unkorekt-Verlag erscheint. (vgl. hierzu auch MENGEDE:InTakt vom 16.8.2016: „Auf eine Tasse Kaffee mit Klaus die Maus“)
Der Titel des Buches:
DER SPIELZEUG-REFORMATOR und andere Gerechtigkeiten.