Buchempfehlung – UNTERLEUTEN

  Juli Zeh: UNTERLEUTEN

Ein Buchbesprechung von Klaus Neuhausneuhaus_neu

Auf meinem Arbeitstisch lag Ende April ein ordentlicher Stapel frischer Bücher, obenauf ein Gesellschaftsroman. Der heißt „UNTERLEUTEN“, geschrieben von Juli Zeh, von vielen Kennern des Literaturbetriebes als die zurzeit beste deutsche Schriftstellerin gesehen. Das lasse ich jetzt mal so stehen.

Zu verdanken hatte ich diesen Berg an Literatur der zuvor immer wieder gestellten Frage: „Was soll ich dir zum Geburtstag schenken? Du hast ja sonst alles.“ Was ja auch stimmt, wenn ich gängige Besitztümer außer Acht lasse.
Gesellschaftsroman, und dann auch noch ein Bestseller, um den ich doch sonst gerne einen Bogen mache. Oder den ich erst lese, wenn er gut abgehangen ist.

In diesem Fall hatte mich die Werbung für dieses Buch gereizt: „Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf Unterleuten irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den Gutshäusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen.“unterleuten-jz

Mit diesem Werbetext hatte es also der Luchterhand-Verlag geschafft, mich zu ködern. Mit der alten Geschichte von der Stadtmaus und der Landmaus, die mich seit frühen Volksschulzeiten verfolgt.
Ich las die ersten dreißig Seiten und dachte: Oh, nee, nicht schon wieder diese Geschichte. Studentin verliebt sich an der Humboldt-Universität in ihren Prof., lässt sich von ihm schwängern und zieht anschließend mit ihm und dem Kind auf einen alten Kotten in Brandenburg. Tausendmal gehört, tausendmal so oder ähnlich gelesen. Dann gibt es auf dem Nachbargrundstück auch noch einen Umweltsünder, der ständig alte Autoreifen verbrennt. Also eine Geschichte „Jammerlappen vom Prenzlberg gegen Umweltfrevler aus und in Brandenburg“?

So geht es über 30 Seiten. Ich war kurz davor, das Buch beiseite zu legen.zeh-juli
Da hatte ich die gute Juli Zeh wohl gnadenlos unterschätzt. Sie führt eine Seite später die zickige Pferdenärrin Linda Franzen ein, die mit ihrem Freund Frederik das zweite Paar der nicht sonderlich geliebten „Zugereisten“ bildet. Sie hat einen Plan für einen Pferdehof, den sie mit Hilfe der Schriften des Motivationstrainers Manfred Gortz umsetzen will. Den Manfred Gortz gibt es laut Internet wirklich. Oder ist er ein Fake von Frau Zeh?

Dann folgen hintereinander der Privatinvestor Konrad Meiler aus Bayern, sowie die Brandenburger Urgesteine Schaller (der Reifen-Verbrenner), Gombrowski und Kron. Fertig ist die Lauge, aus der Juli Zeh ihre Suppe kocht, und zwar ein gefährliches Gebräu, wie man schon bald ahnt.
Gombrowski ist der ewige Gewinner, der mit seiner Familie schon seit Generationen auf der sonnigen Seite lebt und nach der Wende, also nach Auflösung der LPG durch die Treuhand, eine Genossenschaft gründete und damit gut lebt.
Sein Gegenspieler Kron, der übrig gebliebene Kommunist, ist der typische Verlierer aus einer Verlierer-Familie. Die Krons und die Gombrowskis bekämpfen sich also schon seit Generationen, wie in alten schottischen Geschichten.

Die Zündschnur für all das, was nun folgt, legt der Privatinvestor Meiler aus Ingolstadt, der nach der Wende halb Brandenburg für einen Appel und ’n Ei kaufen konnte. Ihm gehört eines von drei Grundstücken, die für einen geplanten Windpark benötigt werden. Besser noch: Es werden nur zwei dieser drei Grundstücke wirklich gebraucht. Nun beginnt das Gehacke zwischen den Gewinnern und Verlierern der Wende, sowie der Pferdefrau, die zufällig eines der drei Grundstücke besitzt.
Es wird spannend und es riecht ständig nach alten Leichen im Keller, nach vergrabenen Machenschaften um die Wendezeit.
Juli Zeh zeichnet die handelnden Personen sehr fein, webt und spinnt immer raffinierter ihre Geschichte, bis diese plötzlich explodiert.

Sie lässt es zum Schluss so richtig krachen, was ihr einige Kritiker leicht übel genommen haben, wie ich nachlesen konnte. Doch das ist nun mal kein gruppendynamischer Prozess, so dass Juli Zeh auch bei ihrem nächsten Roman diese Kritiker nicht fragen wird, wie sie ihren Schluss zu gestalten hat – zum Glück.

Mich hat diese Geschichte sehr aufgewühlt, sowohl was die fast vergessenen Treuhand-Geschehnisse angeht, wie auch die Fragen um den wirklichen Nutzen der Windkraft. Ist sie umweltpolitisch wirklich vertretbar oder nur ein sensationelles Geschäftsmodell? Zwischen den Zeilen gibt es in diesem Roman darauf eine Antwort, die man teilen kann oder auch nicht.
Mittlerweile verfolge ich intensiver Diskussionen über die damaligen Auflösungen der LPGs und die Benachteiligungen der Bauern, die mehr oder weniger zum zweiten Mal enteignet wurden.

Zuletzt: Gibt es den Ort Unterleuten wirklich oder geht es um ein schönes Wortspiel? Im Internet gibt es diesen Ort wirklich, samt Homepage und Vogelschutzbund Unterleuten.
Alles ein Fake von Juli Zeh, die diese Infos und Fotos in das Internet eingestellt hat. Den Ort gibt es nicht. Das ist genau mein Humor.
Fast hätte ich es vergessen: Es ist wirklich ein Gesellschaftsroman, der das aktuelle Binnenverhältnis zwischen Ost und West sehr gut beschreibt.