Alexander Krützfeldt:
W ir sind Cyborgs
Wie uns die Technik unter die Haut geht
Lassen sich in Zukunft Krankheiten wie Parkinson oder Diabetes durch computergestützte Techniken heilen ? Lassen sich Emotionen und Träume durch die Implementierung winziger elektronischer Chips regulieren ? Diesen und weiteren Fragen geht Alexander Krützfeldt in seinem Sachbuch ,, Wir sind Cyborgs – Wie uns die Technik unter die Haut geht“ nach.
Die Verschmelzung zwischen Mensch und Maschine, welche in der heutigen Zeit der Digitalisierung nicht nur Zustimmung erntet, sondern auch für Unverständnis sorgt – das ist Thema seines Buches.
Als Cyborg bezeichnet man ein Mischwesen aus menschlichem Organismus und Maschine. Im Kern geht es dabei um die Erweiterung der eigenen Sinne und Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten werden durch Computerchips oder durch hochkomplizierte technische Prozesse erzeugt, die chirurgisch implantiert werden. Besonderheit dieses ganzen Prozederes ist, dass sich die Implantate und Chips nicht einfach wie eine Brille ablegen lassen. Sie sind fest mit dem Körper verbunden und müssen vom Arzt oder von einem gut ausgebildeten Piercer eingesetzt bzw. entfernt werden, falls man sie leid ist.
Ab wann ist man ein Cyborg? Wer entscheidet über die Anwendungen der neuen Technologien und wer steuert sie? Viele denken meinst an Superhelden oder Science Fiction Figuren wie den Terminator oder Iron Man, wenn sie den Begriff Cyborg hören. Somit wird ein bedrohliches Bild assoziiert. Alexander Krützfeldt versucht in seinem Buch, dem Leser das Phänomen „Cyborg“ auf andere Weise näherzubringen. Er wählt hierfür die Form des Interviews mit Forschern und Entwicklern und natürlich mit Cyborgs, um zu erfahren, was letztere veranlasst, sich sogenannte RFID Chips einpflanzen lassen, auch wenn man damit lediglich die Körpertemperatur permanent überwachen oder magnetische Strahlungen messen kann. Er berichtet von den neuesten Entwicklungen, den damit verbundenen Hoffnungen und Ängsten und sucht Antworten auf die Fragen, was technisch möglich, was ethisch vertretbar ist und in welchem Umfang sich die großen Industriekonzerne des Themas angenommen haben.
Die meisten Personen, die in dem Buch zu Worte kommen, wollen nicht etwa eine verlorene Körperfähigkeit zurückerlangen, sondern sie wollen ganz einfach dem kommerziellen Handeln der großen Konzerne entgegentreten. Und sie knüpfen an die philosophische Denkrichtung der Transhumanisten an, welche die Grenzen menschlicher Möglichkeiten intellektuell, physisch oder psychologisch durch den Einsatz technologischer Verfahren erweitern wollen.
Als Beispiel nennt Krützfeldt das Exo-Skelett als Hilfe beim Heben schwerer oder unhandlicher Gegenstände oder bei der Bergung von Verletzten nach Erdbeben.
Die Maschinen werden nicht als Feind gesehen, die die Menschen unterjochen, denn dazu fehle ihnen die Kreativität. Sie sollen viel mehr als Erweiterung ihrer persönlichen Möglichkeiten gesehen werden und – ähnlich wie das Smartphone – den Alltag flexibilisieren und vereinfachen. Deswegen ist man auch bereit, technische Errungenschaften und Möglichkeiten auszuprobieren.
Man könnte sagen, die Cyborgs wollen anders sein als andere und zusätzlich immer online und up-to-date sein.
Die Community der Cyborgs betrachtet den bisherigen Umgang mit technischem Fortschritt als ein „geschlossenes Betriebssystemen der Global Player“. Davon möchten sie sich emanzipieren und zu einer „Open Source Gesellschaft“ kommen, bei der man z. B. nicht Akademiker, Mitglied von Forschungseinrichtungen oder sonstigen wissenschaftlichen Zirkeln sein muss, um an die nötigen Informationen zu gelangen.
Alexander Krützfeldt schildert aber auch die Sicht derer, die verlorene Körperfunktionen durch intelligente Chips wieder herstellen konnten. Beispielsweise ein farbenblinder Mann, dem es durch neueste Technik möglich ist, die Farben durch eine in seinem Kopf eingebaute Kamera zu hören. Ja richtig: zu hören! Die Kamera transformiert die Farben in Tonsequenzen und jede Farbe hat ihre eigene individuelle Sequenz.
Bezüglich der Altersgruppen ist – was nicht überraschen dürfte – bei den „Cyborg-Interessierten“ zu differenzieren. Während es den Jungen nicht schnell genug gehen kann, sehen die Älteren die Entwicklung mit Sorge. Denn der Prozess der Digitalisierung und die Verschmelzung von Mensch und Maschine birgt auch gewisse Risiken, wie Krützfeldt es schildert.
Und das nicht zu Unrecht. Denn die Technologien, welche sich Cyborgs implantieren, sind bisher nicht ausreichend erforscht (obwohl das Thema längst in der universitären Wirklichkeit angekommen ist; vgl. die Gesprächspartner des Autors am Ende des Buches). Es fehlt manchen Skeptikern an einer „akademischen Herangehensweise“, z. B. an einer angemessenen ärztlichen Kontrolle und einer längerfristigen Dokumentation der Ergebnisse, um Risiken und Nebenwirkungen abschätzen zu können.
Auch deshalb treten einige Divergenzen zwischen der Cyborg-Community und der Medizin auf. Ein weiteres Problem ist der Schutz vor Hackerangriffen. Auch der ist noch längst nicht sichergestellt. Ergebnis: Jedes elektronische Teil ist angreifbar. Nur blöd, wenn es dann im eigenen Körper implantiert ist.
Insgesamt schildert Alexander Krützfeldt in seinem Buch den heutigen Stand der einschlägigen Technik sowie der Forschungen und gibt einen Ausblick auf das, was uns in den nächsten 50 Jahren erwarten könnte. Das Buch ist lebendig und dynamisch geschrieben und lässt sich gut lesen, auch weil es gespickt ist mit persönlichen Anekdoten des Autors. Krützfeldt beschreibt die technischen Elemente so, dass es auch für technikscheue Menschen gut zu verstehen ist und nachvollziehbar bleibt.