Neben Personen sind vor allem Inhalte gefragt
– Ein Kommentar –
In der Öffentlichkeit wird seit geraumer Zeit darüber spekuliert, wer wann aus der Führungsmannschaft der SPD seine Kanzlerkandidatur erklärt. Drei Männer (!) stehen zur Auswahl: Gabriel-Scholz-Schulz. Ende des Monats soll die Entscheidung verkündet werden, allerdings ist die nach Aussage von NRW-Ministerpräsidentin Kraft schon längst gefallen.
Über den Auswahlprozess gibt es vernehmliches Murren in der SPD. So fordert z. B. der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, zu dessen Wahlkreis auch der Stadtbezirk Mengede gehört, die SPD müsse „raus aus den Hinterzimmern“. Konkret stellt er sich einen breit angelegten Auswahlprozess vor, an dessen Ende eine Urwahl stünde. „Dies böte eine Chance, dass sich mehr Menschen für die SPD und deren Personal interessieren und in der Partei mitmachen.“ Durch das jetzt gewählte Verfahren vergibt die SPD nach seiner Auffassung „eine große Chance für ein Aufbruchssignal und für eine lebendige Debatte innerhalb der Partei. Dieses Prozedere ist mehr als antiquiert und es war noch nie besonders demokratisch.“Die SPD hat schon mal ein breit angelegtes Auswahlverfahren praktiziert und allerdings dabei mit der Wahl von Rudolf Scharping zum Vorsitzenden eher weniger gute Erfahrungen gemacht. Eine Neuauflage würde aber allein schon aus Zeitgründen für die kommende Wahl nicht zu realisieren sein. Ob das Ergebnis dann geeignet wäre, die SPD aus ihrem Stimmungstief zu befreien, erscheint zweifelhaft, denn es ist vermutlich egal, wer gegen die amtierende Kanzlerin antritt. Keine/r wird die SPD nach vorne bringen, wenn es der Partei nicht gelingt, im Bund, in den Ländern und in den Kommunen glaubhaft eine eigenständige sozialdemokratische Politik zu vertreten.
Es müsste beispielsweise deutlich werden, dass die SPD wieder die Partei der sozialen Gerechtigkeit werden will. Die SPD müsste zu verstehen geben, dass sie nicht mehr bereit ist, die „Schwarze Null“ von Finanzminister Schäuble mitzutragen. Die Ergebnisse dieser Politik haben zur sozialen Ungleichheit im Lande geführt; sie zeigen auch spürbare Ergebnisse in unseren täglichen Abläufen: Es fehlen Gelder, um die öffentliche Infrastruktur instand zu halten, es fehlen Kita-Plätze, es fehlt an Personal zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, es fehlt an Personal in den öffentlichen Kindergärten, Schulen und Hochschulen.
Ein Ziel der neoliberalen Politik ist einen „schlanken Staat“ zu schaffen. Jetzt haben wir ihn, und es werden täglich die daraus entstandenen Fehlentwicklungen sichtbar.
Ein Kandidat der SPD wird erst dann wieder als ernstzunehmender politischer Akteur wahrgenommen, wenn er sich zutraut, die Idee der „sozialen Gerechtigkeit in sozialdemokratischer Tradition“ umzusetzen. Geeignete Themen gibt es ausreichend. Wie wäre es mit
- einer gerechteren Besteuerung von Vermögen und Erbschaften,
- der Einführung eines Unternehmensstrafrechts,
- dem Abschluss von internationalen Handelsverträgen, die die Interessen der Zivilgesellschaft im Blick hat,
- dem modellhaften Ausprobieren eines bedingungslosen Grundeinkommens,
- der Einführung eines Lobby-Registers
- die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit.
Die Liste ließ sich locker verlängern. Die SPD muss sich fragen lassen, warum sich niemand der Mühe unterzieht, die Idee einer neuen gesellschaftlichen Solidarität zu entwickeln, mit der sich andere Mehrheiten erzielen lassen. Auf keinen Fall erneut eine große Koalition, denn das wäre vermutlich das Ende der SPD als Volkspartei.
Somit gilt: Der Kandidat – wer immer es sein wird – müsste die eigene Partei begeistern und überzeugen können, damit sie dann geschlossen und glaubhaft in die bevorstehenden Wahlkämpfe ziehen könnte.
Wenn Sigmar Gabriel sich das zutraut, dürfte er die besten Chancen haben, die SPD wieder in die Nähe von 30% + zu bringen.