Als der Himmel über der Ruhr noch bevölkert war
Heilige fallen nicht vom Himmel. Aber sie werden gern importiert und vereinnahmt. Und sie reisen gern. Oft sogar noch nach ihrem Tod. Manchmal auch ohne Kopf.
Viel Unbekanntes erfuhren und manch Bekanntes über sie hörten die knapp 60 Gäste bei einer Lesung von Werner Bergmann am Mittwochabend im Altarraum der katholischen St. Remigius-Kirche im Angesicht von vier auf dem Flügelaltar dargestellten Heiligen.
„Unser aller Heiligen- als der Himmel über der Ruhr noch bevölkert war“ heißt das neueste Werk des Professors und Experten in mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Geschichte, der seinen forschenden Blick immer wieder auf das Ruhrgebiet lenkt.
„Da wir keine eigenen Heiligen in unserer Region haben, wurden sie schon früh aus fernen Ländern importiert“, stellt Bergmann einleitend fest. Damit waren sie quasi unsere ersten Gastarbeiter.
Das gilt z.B. für den in vielen Orten des Reviers verehrten Remigius, wobei in Mengede bekanntlich sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche seinen Namen tragen.
Er war im fünften Jahrhundert Bischof von Reims und wurde vor allem durch die Taufe des Merowingerkönigs Chlodwig I. bekannt. In den Wirren von Revolutionen und Kriegen wurde sein Leichnam fünfmal „ausgebuddelt“, zuletzt vor der deutschen Wehrmacht bei der Frankreichbesetzung in Sicherheit gebracht. Vereinnahmt wurde auch die heilige Anna, die Mutter der Gottesmutter Maria, die neben der heiligen Barbara als Schutzpatronin der Bergleute nicht nur im Ruhrgebiet verehrt wird. Einer ihrer berühmtesten und meist besuchten Wallfahrtsorte liegt allerdings im Rheinland, wo in der nach dem Kriege mit den alten Steinen wieder aufgebauten St. Annakirche auch Reliquien von ihr aufbewahrt werden.
Für die Verehrung der Heiligen hat Bergmann eine einfache Erklärung: „Sie sind den Menschen näher und nicht so abstrakt wie der ferne Gott im Himmel.“
Was zeichnet einen Heiligen aus? Die meisten waren Märtyrer und haben unter der Christenverfolgung vor allem im römischen Reich gelitten. Auch das Leben in der Askese und das Vollbringen von Wundern sind Qualifizierungen zum Heiligen. Andere waren Missionare wie Bonifatius, der in seinen Missionierungsmethoden durchaus nicht zimperlich war.
Bergmann betont, dass häufig zum Leben der Heiligen gesicherte Quellen fehlen, so dass Legenden über sie einen breiten Raum einnehmen. Das gilt für Christophorus ebenso wie für Bonifatius und auch für den Ritter Reinoldus als Dortmunder Schutzpatron. Der soll sich nach einer Pilgerreise ins Heilige Land zu Dumpinglöhnen beim Kölner Dombau verdingt haben. Deshalb sei er von neidischen Kollegen erschlagen worden. Danach soll er sich in seinem Leichenkarren selbst auf die Reise nach Dortmund begeben haben. Ähnliches behauptet man ja auch von Jakobus d.Ä., nur dass dessen Gefährt ein Schiff gewesen sein soll, das an der spanischen Küste strandete.
Manche Dinge nennt Bergmann beim Namen, ohne sie mit dem Namen zu nennen: „Da hat ein Komiker aus Recklinghausen zwischen zwei Buchdeckeln seine Erinnerungen an die Pilgerreise nach Santiago de Compostela festgehalten und damit einen Pilgerlawine mindestens aus Deutschland ausgelöst.“
In den Zitaten aus seinem Buch verstand es Bergmann, unterschwelligen Humor anzubringen und auch, oft ironisch verpackt, kritische Anmerkungen zu machen. Immer wieder warf er den Zuhörern kleine Happen hin, die Appetit auf mehr machten. Angetan von dieser literarischen Premiere in seiner Kirche war auch Pfarrer Hubert Werning, der sich ausdrücklich beim Vortragenden, beim Veranstalter Michael Nau von der Buchhandlung am Amtshaus und der Organisatorin Rebecca Forsthövel bedankte. Er sprach die Hoffnung aus, dass es nicht die letzte Veranstaltung dieser Art an diesem Ort gewesen ist.