Junge „Botschafter der Erinnerung“ moderierten
Das Mahnmal in der Bittermark* erinnert an die Grausamkeit der Nazi-Diktatur im dritten Reich. Dort wurde – wie seit dem Jahre 1954 üblich – am Karfreitag im Rahmen einer großen Kundgebung der ca. 300 Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter gedacht, die im Rombergpark wenige Tage vor Kriegende im Jahre 1945 von der Gestapo ermordet wurden, kurz bevor amerikanische Truppen in einzelne Vororte von Dortmund einmarschiert waren. Die Gedenkveranstaltung wurde musikalisch gestaltet von Posaunenchören aus Dortmund, sowie von dem Kinderchor der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund e.V.
Vor dem offiziellen Start der Gedenkveranstaltung pflanzten die Ehrengäste einen Korbiniansapfelbaum auf der Wiese des Mahnmals. Den Namen Korbinian erhielten die Früchte nach dem katholischen Pfarrer Korbinian Aigner. Er war Häftling im Konzentrationslager Dachau. Dort musste er Zwangsarbeit in der Landwirtschaft leisten. Trotz der lebensbedrohlichen Lage gelang ihm die Züchtung neuer Apfelsorten.
Dortmunds Bürgermeister Manfred Sauer, dem – sowie allen anderen Teilnehmern auch – die abnehmende Zahl der Überlebenden des Holocaust bewusst ist, freut sich in seiner Ansprache besonders über das Engagement der „Botschafter der Erinnerung“. Junge Menschen, die die Erinnerung an die Opfer der Nazi-Diktatur wach halten. Sie tragen das Anliegen in Schulen an ihre Gleichaltrigen weiter, treten gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auf und übernahmen die Moderation auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung.
Zu den 1500 Teilnehmern gesellten sich bereits zum 13. Mal die Läufer, Walker und Radfahrer des traditionellen Heinrich-Czerkus-Gedächtnislaufes. Mit dem Lauf erinnern der BVB Fan Club „Heinrich Czerkus“, die NaturFreunde Dortmund-Kreuzviertel und das Fan-Projekt Dortmund e.V. an den gleichnamigen Widerstandskämpfer und Platzwart des BVB, der einer der 300 Ermordeten in der Bittermark war. Wie in all den Jahren zuvor, versteht sich der Lauf als ein starkes Signal für ein friedliches und gewaltfreies Miteinander innerhalb und außerhalb des Stadions.
Madame Nicole Godard, stellvertretende Vorsitzende des Verbandes der Zwangs- und Arbeitsdeportierten, die seit 60 Jahren regelmäßig zum Gedenken an ihre ermordeten französischen Landsleute an der Veranstaltung teilnimmt, sprach ebenso zu den Veranstaltungsteilnehmern wie Ernst Söder** vom Förderverein Steinwache – Internationales Rombergpark-Komitee e.V. Er stellte uns dankenswerterweise sein Redemanuskript zur Verfügung, dass wir hier gerne veröffentlichen:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Sauer,
verehrte Gäste und Freunde aus dem In- und Ausland
verehrte Madame Godard
liebe Botschafterinnen der Erinnerung
meine Damen und Herren!
In der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft kämpften Menschen vieler Nationen für die Zerschlagung des Faschismus und gegen Krieg, für Völkerverständigung und Demokratie. Viele haben dafür ihr Leben lassen müssen.
Und in Dortmund wurden in den letzten Stunden des Krieges im April 1945 im Rombergpark, in der Bittermark und am Bahngelände in Dortmund-Hörde noch etwa 300 politische Gefangene, Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer aus sieben Ländern von der Gestapo und SS auf bestialische Weise ermordet: Deutsche, Polen, Sowjetbürger, Jugoslawen, Belgier, Holländer und Franzosen.
Mit der Niederlegung von Blumen und Kränzen am heutigen Karfreitag geben wir unserer Trauer einen äußerlichen und festlichen Rahmen. Es ist ein Zeichen des Andenkens, das wir den Ermordeten zum Ausdruck bringen können.
In seinem Roman „Cäsar 9“ hat der im Jahre 1955 verstorbene Dortmunder Schriftsteller Erich Grisar seine Empfindungen über die Massenexekutionen im Frühjahr 1945 geschildert:
Ich zitiere:
„An einem Morgen Ende April 1945 ging das Gerücht, in einem Park am Rande der Stadt habe man die verscharrten Leichen einiger hundert Ermordeter aufgefunden. Eine Lähmung ergriff die Menschen. Die kalte Hand, die so lange an ihrem Hals gesessen, die sie schon nicht mehr gespürt, seit die braunen Uniformen von den Straßen verschwunden waren, griff wieder nach ihnen und würgte sie. In ihrer Mitte war wieder aufgestanden, was sie zwölf Jahre hindurch nicht hatten wahrhaben wollen, was sie selbst in ihren Angstträumen noch verdrängt,
Wohl hatten sie mit dem Wort Gestapo immer etwas Schreckliches, jeden freien Willen, jede eigene Meinung lähmendes verbunden, aber sie waren der Wirklichkeit des Wortes aus dem Wege gegangen. Es war ja immer nur der Nebenmann, der getroffen wurde. So, wie der Tod immer nur den anderen trifft.
Hier aber war der Tod nicht als Freund gekommen. Unfrisiert und nackt hatte er seine Opfer in den Tiefen dreier Bombentrichter verscharrt und ohne die Hülle eines prunkvollen Sarges hatte man lose Erde über sie gehäuft. Kein Pomp, kein Stein, kein Schild mit einem Namen. Nur da und dort deutete ein unverhüllt gebliebener Fuß oder eine zur Anklage gehobene Hand an, dass die Erde nicht gewillt war, Kupplerin des Geheimnisses zu sein, das man ihr in allzu großer Eile anvertraut.
Vorüberkommende hatten die Gräber entdeckt. Nun lagen die Toten, die man ausgegraben hat, in langen Reihen neben dem Weg. Männer und Frauen, Gefangene und Soldaten. Kinder selbst waren unter den Opfern. Mit aufgerissenem Mund lagen sie da und mit gebundenen Händen.“
Zweiundsiebzig Jahre sind seitdem vergangen, dass Meuchelmörder der Gestapo und der SS Männer und Frauen bestialisch zu Tode folterten und ermordeten. Hände und Füße wurden den Opfern vor dem Abtransport zu den Todesstätten mit Stacheldraht und Bindedraht gefesselt; ihre Leiber bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, so dass die Mehrzahl von ihnen nicht mehr zu erkennen war.
Heute wollen wir erneut an diese Verbrechen erinnern und der Menschen gedenken, die in den letzten Stunden des Zweiten Weltkrieges noch heimtückisch und hinterhältig hingerichtet worden sind, an Frauen und Männer, dessen Lebenswille es war, die Freiheitsrechte zu verteidigen. Sie kämpften gegen die faschistische Diktatur und deren Unmenschlichkeit und sie waren bereit, sich aufzulehnen und den Mund aufzutun, weil sie nicht schweigen und zusehen wollten, wie in Deutschland Zivilisation und Humanität von den braunen Machthabern in den Dreck gezogen werden.
Was geschah mit den Gestapoverbrechern, die diese Mordtaten ausgeführt haben?
Sieben Jahre nach den Ereignissen, begann 1952 vor dem Dortmunder Schwurgericht der Prozess gegen die Täter von 1945.
28 ehemalige Gestapobeamte hatten sich zu verantworten. Die Anklage lautete: Aussageerpressung im Amt in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, dazu Beihilfe zur Tötung.
Kurz nach Kriegsende waren zwar einige Gestapo-Männer verhaftet, aber bald wieder freigesetzt worden. Viele Mittäter hatten in den sieben Jahren bis zum Prozessbeginn genügend Zeit, fliehen zu können oder sich einen anderen Namen zuzulegen. Sie blieben unauffindbar.
Fast alle Angeklagten erhielten weniger als drei Jahre Freiheitsstrafen und sie behielten ihre bürgerlichen Ehrenrechte. Der Leiter der Mordaktion, Gestapo-Kriminalrat Schmidt, wurde freigesprochen.
Schwerwiegende Versäumnisse bei der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen waren das Ergebnis von bewusst herbeigeführten politischen und juristischen Entscheidungen in den 50er und 60er Jahren und hatten auch Einfluss auf den Rombergpark-Prozess.
Die Zurückhaltung in der Verfolgung von NS-Tätern führte zu einer bemerkenswerten Milde für die Verurteilten.
Ein Gedenktag wie heute macht allerdings nur Sinn, wenn wir aus der Vergangenheit lernen und Unrecht nicht hinnehmen. Es genügt nicht allein, die Erinnerung wach zu halten. Solche Tage wie heute sind insbesondere dafür da, zu mahnen und aktiv zu sein, damit sich solche und andere Verbrechen und Grausamkeiten niemals wiederholen.
Künftigen Generationen müssen wir immer wieder vor Augen führen, wo es schon einmal geendet hat, als man die Menschenwürde in Deutschland mit Füßen trat, die Grundprinzipien mitmenschlichen Umganges missachtete – und einem von vielen bejubelten Führer und Diktator Allwissenheit und Allmacht zubilligte. Einem Führer, der von Größenwahn, Völkermord, Rassenhetze, Vernichtung und Verbrechen gegen das Völkerrecht besessen war.
Wir wollen und können nicht akzeptieren, dass Rassenhetze und Faschismus-Verherrlichung in unserem Land wieder um sich greifen. Neofaschistische Umtriebe und Überfälle dürfen nicht verharmlost, Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Gewalt müssen bekämpft werden. Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
Mut machen mir die jungen Botschafter der Erinnerung, die seit vielen Jahren die Gedenkfeiern in der Bittermark mitgestalten und moderieren. Und ich kann dem nur zustimmen, was der Herr Oberbürgermeister vor zwei Jahren an dieser Stelle sagte. „Sie sind unsere Brücke in die Zukunft“. Liebe Freunde: Respekt für Eure Aktivitäten und herzlichen Dank im Namen des Internationalen Rombergpark-Komitees für euren vorbildlichen und ermutigenden Einsatz und für die Gestaltung der heutigen Gedenkveranstaltung.
Immer wieder haben in der Vergangenheit die Redner hier in der Bittermark und anderswo ein Verbot der NPD und anderer rechtsradikalen Gruppen gefordert. Es war ermutigend, dass der Bundesrat ein Parteienverbot beim Bundesverfassungsgericht beantragt hatte. Leider ohne Erfolg.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Januar 2017 ist allerdings so eindeutig wie vernichtend. Die NPD ist zwar nach Aussagen des Gerichtes verfassungsfeindlich, dennoch wird sie nicht verboten. Das Gericht hält die rechtsextreme und neo-nationalistische Partei nicht für stark und bedeutend genug, um ihre gefährlichen Ziele durchzusetzen.
Die Freiheit der Meinungsäußerung in allen Ehren, aber auch Oberste Richter leben nicht in geschichtsfreien Räumen. Und die jüngere deutsche Geschichte ist Mahnung genug. Neonazis entschieden zu bekämpfen – das gilt auch für die Verfassungsjuristen in Karlsruhe.
Man darf nicht jede rechtsnationale Meinung gleichwertig einer freiheitlichen demokratischen Meinung betrachten.
In einer Demokratie, die ja auch die Lehren aus der Geschichte ziehen will, müssen die Anfänge faschistischer Verbreitung von Gedankenwelten unter Strafe gestellt und verhindert werden.
Denn Faschismus, meine Damen und Herren, ist keine Ideologie. Faschismus ist ein Verbrechen, für das es niemals eine Entschuldigung gibt.
Mit der Mahn- und Gedenkstätte hier in der Dortmunder Bittermark wurde in internationaler Zusammenarbeit eine würdige und die Menschen bewegende Erinnerungsstätte geschaffen. Die Mahnung, die von hier ausgeht, soll uns die Kraft geben für ein friedliches Zusammenleben einzustehen.
Lassen sie mich zum Schluss die Gedanken einer Urenkelin eines Ermordeten zitieren, die sie in Lippstadt in Erinnerung an die Rombergparkmorde vor einigen Jahren vorgetragen hat:
„Mein lieber Urgroßvater,
vor mehr als sechzig Jahren wurdest du in Dortmund erschossen. Zusammen mit vielen Gleichgesinnten, die sich gegen die Nationalsozialistische Diktatur gestellt haben. Du musstest sterben, weil dein Leben geprägt war durch den Glauben an die Freiheit und Menschlichkeit. Und daran, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben und keiner auf Grund seiner Herkunft oder seiner Überzeugung mehr wert ist als ein anderer.
Es ist für mich heute schwer zu verstehen, dass es überhaupt so eine Zeit gegeben hat, in der ein Menschenleben so wenig wert war. Du hast für eine bessere Welt gekämpft, für eine Welt, in der deine Nachkommen es besser haben sollten.
In der Schule sprechen wir zur Zeit über diese schrecklichen Ereignisse. Es berührt mich sehr, dass auch du zu den Opfern dieses Terror Regimes gehörst. Wie gerne hätte ich dich kennen gelernt, um meine vielen Fragen beantwortet zu bekommen. Du bist in unserer Familie immer mehr als nur Gesprächsstoff gewesen. Aus den Erzählungen von deinem Sohn, meinem Opa, habe ich viel über dich erfahren, welche Wünsche du hattest und welche Ziele du verfolgt hast. Für das Erreichen dieser Ziele, die dir so viel wert waren, bist du gestorben. Du bist für mich ein Held. Genauso wie die vielen anderen Opfer. Manchmal träume ich von dir. Dann gehen wir zusammen spazieren und da erklärst du mir die Welt mit deinen Worten. Das ist für mich eine Welt, in der es sich lohnt, zu leben.“
Legen wir an den Gräbern der Ermordeten ein Bekenntnis ab zum Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit. Wir schulden es den unschuldigen Opfern. Bekennen wir uns zu ihren Idealen von Menschenwürde und Freiheit, für die sie ihr Leben gaben.
Denn jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
Den Opfern des Faschismus wurde dieses Recht auf grausamste Art und Weise genommen. Stellen wir uns heute denen entgegen, die dieses Recht erneut mit Füßen treten.
Erinnern, Gedenken und Mahnen ist unsere Losung.
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Wehret den Anfängen!
* Das Mahnmal wurde 1960 vom Hagener Künstler Karel Niestrath und dem Dortmunder Architekten Will Schwarz im Auftrag der Stadt geschaffen. Die Krypta gestaltete der französische Künstler Léon Zack.
** Ernst Söder war langjähriger Vorsitzender des Dortmunder Jugendringes und DGB-Gewerkschaftssekretär
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