…heute mit Fritz Kerka – Professor an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen
Mehr Nützliches tun!
Berufliche Entwicklungen führen häufig zu vorher ungeplanten Verläufen. So war es auch bei unserem Gesprächspartner Fritz Kerka, mit dem MENGEDE:Intakt! sich kürzlich zu einer Tasse Kaffee in der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen traf.
Man hätte meinen können, dass es bei dem Kaffee-Gespräch nicht mehr viel Neues zu erfahren gab, denn unsere Wege haben sich in den letzten 50 Jahren regelmäßig gekreuzt. Dennoch hat das erste Gespräch gut 2 1/2 Stunden gedauert und selbst danach waren noch nicht alle wichtigen Dinge besprochen.
Doch zunächst einmal einige persönliche Daten:
Geboren und aufgewachsen ist Fritz Kerka in Dortmund-Mengede, wo ihn sein Vater – der Maler- und Anstreichermeister Fritz Kerka – schon kurz nach der Geburt bei den Mengeder Handballern anmeldete. Mit sieben Jahren wurde Fritz Kerka dann aktiver Handballspieler im Dortmunder Vorortverein TV Mengede. Der Hinweis auf Mengede ist nicht unwichtig, denn dort hat er heute noch – wenn er nicht beruflich unterwegs ist – seinen Lebensmittelpunkt. Er ging in Mengede zur Schule und machte sein Abitur am damals noch „jugendlichen“ Heinrich-Heine-Gymnasium.
Nach dem Abitur ging es Fritz Kerka so, wie es vielen in dem Alter geht. Genaue Vorstellungen über das, was er später beruflich mal machen würde, hatte er nicht. So schrieb er sich zunächst an der Universität Bochum für die Fächer Philosophie und Geschichte ein, zwei Fächer, die ihm am Gymnasium am besten gefallen hatten. Allerdings stellte er bald fest, dass der Studienalltag mit dem Schulalltag wenig zu tun hatte. Nach einem Semester war für ihn klar: „Dieses Studium setzt Du nicht fort.“ Er schrieb sich an der Ruhr-Universität Bochum im Studiengang Wirtschaftswissenschaften ein, das ist – ähnlich wie an der TU Dortmund – ein integrierter Studiengang mit Inhalten aus der Betriebs- und Volkswirtschaft sowie aus den Sozialwissenschaften. Diese Kombination schien ihm bessere berufliche Perspektiven zu eröffnen, aber in welche Richtung es gehen sollte, war ihm damals noch nicht klar.
Während des Studiums hatte er Gelegenheit, am Lehrstuhl des inzwischen verstorbenen Erich Staudt als studentische Hilfskraft mitzuarbeiten. Staudt war Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsökonomie an der Ruhr-Universität Bochum, zugleich Leiter des renommierten Instituts für angewandte Innovationsforschung e.V. Bochum mit besten Kontakten zur damaligen NRW-Landespolitik. Nach erfolgreicher Beendigung seines Studiums im November 93 hatte Fritz Kerka über seine weitere berufliche Zukunft nur vage Vorstellungen. So bewarb er sich bei Professor Staudt als wissenschaftlicher Mitarbeiter und wurde zu seiner Freude – ohne weitere Bewerbungen schreiben zu müssen – sofort angenommen. Damit begann seine wissenschaftliche Karriere, auf deren Weg er zunächst im Wintersemester 2001/02 seine Promotion bei Prof. Staudt an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Ruhr-Universität abschloss. Seit September 2005 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen.
„Wie wird man Professor und wie sieht der Alltag eines Professors an einer Fachhochschule aus?“, wird sich mancher fragen. Die erste Frage ist leicht zu beantworten. Der Bewerber auf eine Professorenstelle muss für seine Bewerbung in der Regel eine Promotion sowie Forschungs- und Berufserfahrung vorweisen können. Mit diesen Voraussetzungen muss man sich einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren unterziehen, an dessen Ende dann ein Dreier-Vorschlag der Berufungskommission steht, über die der Senat der Hochschule entscheidet. Zur zweiten Frage muss man wissen, dass Professoren an FHs eine Lehrverpflichtung von 18 Semester-Wochenstunden zu erfüllen haben, 10 mehr als an Universitäten. Dazu kommt die Verpflichtung, in der akademischen Selbstverwaltung mitzuwirken. Zeit für eigene Forschungen wird ihnen zwar zugestanden, aber keine entsprechenden Sach- und Personalmittel. Das sah und sieht an den Universitäten ganz anders aus.
Fachhochschulen, die sich heute häufig selbst als „Hochschule für angewandte Wissenschaften“ bezeichnen, gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als kleine Schwester der Universitäten. Aber das ist ihnen mittlerweile zu wenig. Sie empfinden sich als erwachsen und wollen auch so behandelt werden. Das heißt: Mehr Forschungsgelder, ein Mittelbau unterhalb der Professoren und eine geringere Lehrverpflichtung. Eine weitere Forderung der Fachhochschulen ist das Promotionsrecht für forschungsstarke Bereiche. Eine Promotion an Fachhochschulen ist derzeit nur auf Umwegen über die Universitäten möglich. FH-Absolventen, die für eine Promotion geeignet erscheinen, müssen sich einen Professor als Doktorvater an einer Universität suchen. Darin sehen Vertreter der Fachhochschulen eine weitere Benachteiligung. Vor allem wird es durch diese Konstruktion die Möglichkeit erschwert, Forschungsschwerpunkte an FHs nachhaltig zu entwickeln. Für Fritz Kerka waren dies jedoch auch nach dem Wechsel an die Fachhochschule keine Hemmnisse, sich weiter in der Forschung zu engagieren.
Wer die Veröffentlichungsliste des FH-Professors liest, stellt fest, dass seine Forschungsaktivitäten – ungeachtet der oben beschriebenen Schwierigkeiten – beachtlich sind. Diese Aktivitäten finden derzeit im Wesentlichen im Rahmen des Instituts für angewandte Innovationsforschung (iai) sowie des Instituts für Innovationsforschung und -management (ifi) statt (Einzelheiten hierzu unter www.iai-bochum.de und www.ifi-ge.de).Das Institut für Innovationsforschung und -management (ifi) gibt es seit dem 01.01.2010 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Es wurde auf Wunsch der Landesregierung Nordrhein-Westfalens als Spin-off des Instituts für angewandte Innovationsforschung (iai) e.V. an der Ruhr-Universität Bochum gegründet, um auch im Bereich der Fachhochschulen die Innovationsforschung fest zu etablieren.
Es wäre mehr als ein abendfüllendes Thema, wollte man im Rahmen dieser „Tasse Kaffee“ auf die lange Veröffentlichungsliste näher eingehen. Die Frage, wie man möglichst viel Sinnvolles mit knappen Ressourcen machen und Entwicklungen nachhaltig gestalten kann, zieht sich jedoch wie ein roter Faden durch seine Studien. Mit Kritik spart der Innovationsforscher und -berater dabei nicht. In einem Beitrag, den er zusammen mit seinem Kollegen und derzeitigen Präsidenten der Westfälischen Hochschule – Bernd Kriegesmann – zum Thema „Unternehmerisches Innovationsmanagement“ verfasst hat, heißt es:
„Viele Unternehmen haben es längst verlernt, Marktnischen jenseits akzeptierter Trends aufzuspüren, Technologien kreativ in neue Anwendungsfelder zu überführen und so ein Neugeschäft zu erschließen oder sich vom selbst geschaffenen Ballast überbordender interner Bürokratien zu befreien, um so wieder innovatorische Freiräume zu schaffen.“
An die Stelle unternehmerischer Innovationsprozesse sei allzu oft kurzfristiges Gewinnstreben und Monopolyspiel um lukrative Geschäftseinheiten getreten. Besonders kritisch sieht er Manager, die zwar gern über ihre Mitarbeiter als wertvollste Ressource reden, sich allzu oft jedoch nur wenig in die Kompetenzentwicklung der Fach- und Führungskräfte ihrer Unternehmen einbringen. Innovationen würden nicht selten ohne oder sogar gegen die eigene Belegschaft versucht. Von nachhaltigem Erfolg sei dies jedoch nur selten gekrönt. „Wer Innovationen voranbringen will, muss in seine Mitarbeiter investieren. Gute Führungskräfte sind gute Organisatoren von (Fehler-)Lernprozessen“, so seine Überzeugung. Und an anderer Stelle heißt es: „Wir brauchen unter den Managern wieder mehr ‚fachkompetente Potenzialentwickler‘, die es als ihre Aufgabe ansehen, etwas aus den Kompetenzen und ungenutzten Talenten ihrer Mitarbeiter zu machen.“ Und mit Blick auf das Management fordert er: „Menschen und Organisationen sind nicht unendlich belastbar. Veränderungsaktionismus ist daher keine gute Antwort auf die technokratische Verwaltung von Innovationspotenzialen. Weniger Alibi-, Ersatz- und Ausweichhandlungen wären mehr!“ Und auch hierzu an anderer Stelle: „Innovationsprozesse verlaufen oft anders als Wissenschaftler und Berater glauben machen wollen. Innovationen werden von Menschen nicht von Managementsystemen gemacht!“ Oder dies: „Innovationsprozesse sind Know-how-intensive Prozesse: Wer keine Ahnung von Alternativen hat, tut sich mit Veränderungen schwer“.
Das alles liest sich gut, und man möchte gerne an einer Lehrveranstaltung von Fritz Kerka, der seit 2002 auch Partner der Prof. Staudt Innovation – Consulting GmbH ist, teilnehmen und mehr darüber hören. Nutznießer seiner Forschungen und Erfahrungen aus Beratungsprojekten sind die vielen mittelständischen Unternehmen und Betriebe, die sich von den Ergebnissen angesprochen fühlen sollten und denen sein besonderes Augenmerk gilt. Vor allen anderen aber auch die Studierenden. Die sollen ja nach Abschluss ihres Studiums in Wirtschaft, Verwaltung und Politik tätig werden und das an der Hochschule erworbene Wissen anwenden.
„Mehr Nützliches tun“ lautet die Überschrift eines Interviews über seine Arbeit und das könnte auch ein Motto seiner Lehrtätigkeit sein. Dabei versucht er vor allem, seine Studierenden zu eigenem Nachdenken zu bewegen. Nur scheinbar alternativlose Lösungsvorschläge und Managementmoden reizen ihn grundsätzlich zum Widerspruch – und dazu möchte er auch die Studierenden ermutigen. So dürften seine Lehrveranstaltungen lebendig und mit praxisnahen Beispielen bestückt sein. Und wohl auch deswegen klingeln bei ihm nach eigenen Aussagen die Alarmglocken, wenn er mal mehrere Studierende in seiner Veranstaltung vor sich „hindösen“ sieht. Da stellt er sich dann die Frage, was er noch verbessern kann.
Da er ja selbst Wirtschaftswissenschaften studiert hat, weiß er, dass viele seiner KollegInnen es auch heute noch nicht für notwendig halten, den Lehrstoff durch praxisnahe Beispiele zu veranschaulichen – auch durch solche, die dem allgemeinen Mainstream widersprechen. Deshalb setzt er sich dafür ein, die Inhalte der Betriebswirtschafts- und Managementlehre zu überdenken. Deshalb empfiehlt er allen, die an einer Verbesserung der Managementausbildung interessiert sind, neben der inhaltlichen Ausrichtung jedoch auch zu überprüfen, ob der auch heute vielfach noch übliche, auf PowerPoint-Folien gestützte Frontalunterricht der beste Weg ist, die Studierenden zu befähigen und zu motivieren, Lösungen für die Probleme von heute und morgen selbständig zu erarbeiten und die Vor- und Nachteile aus unterschiedlichen Perspektiven zu hinterfragen.
Weil aktivierendes Lehren und Lernen vor allem auch Zeit erfordert, findet Fritz Kerka die aktuellen Reformen der (Hoch-)Schulausbildung nur wenig überzeugend. Ob Umstellung des Abis von G9 auf G8 oder Verkürzung von 7- oder 8-semestrigen Diplom- auf 6-Semester-Bachelorstudiengänge: Letztlich sei bei den Jugendlichen an den Gymnasien und den Studierenden an den Unis und FHs dadurch vor allem der Eindruck entstanden, als ginge es jetzt mehr noch als früher darum, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel auswendig zu lernen. „Doch etwas zu wissen, heißt eben noch nicht, dass man es auch anwenden und praktisch nutzen kann,“ so Kerka. Dass sich die Kompetenzentwicklung nicht beliebig beschleunigen lässt, würden nunmehr auch immer mehr Firmenvertreter spüren.
Viele Studienanfänger haben dabei bereits erhebliche Probleme in die zum Teil recht verschulten Studiengänge hineinzufinden, wie ein Blick auf die Studienabbrecherquoten zeigt. „Wo Studierende mit zum Teil völlig unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen auf vereinheitlichte Curricula treffen, geraten viele Studierende schon sehr früh in den Krisenmodus und verlieren dadurch die Lust zu lernen,“ so Kerka. Warum der 17-jährige G8-Abiturient mit Mathe- und Physik-Leistungskurs, aber ohne Erfahrungen, sich selbst zu organisieren, genauso oder auch nur ähnlich in ein Wirtschaftsingenieurstudium einsteigen sollte, wie der Geselle mit dreijähriger Berufserfahrung, der vieles von dem, was dort als Grundlagen angesehen wird, noch nie gehört hat, es gegebenenfalls aber sogar sehr gut lernen könnte, wenn ihm dafür die erforderliche Zeit eingeräumt würde, leuchtet dem engagierten Hochschullehrer jedoch auch nicht ein. Er plädiert daher dafür, die Studiengänge (wieder) zu entschleunigen und die zusätzliche Zeit für die Individualisierung der Studieneingangsphase zu nutzen. Studierende mit unterschiedlichen Voraussetzungen hätten so die Möglichkeit, das Studium ihren jeweiligen Stärken und Schwächen entsprechend zu gestalten und stärker ihren Interessen nachzugehen.
Ob es dabei sinnvoll ist, auch das Diplom wieder einzuführen? Hier ist sich Fritz Kerka nicht sicher. Dass dieselben (Bildungs-)Politiker, die auch heute noch gern über Differenzierung reden, im Zuge der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge ohne Not damals international anerkannte Studienabschlüsse wie die des Diplom-Ingenieurs geopfert haben, sieht er auch. Allerdings befürchtet er, dass die Rückkehr zum Diplom schnell zum Alibi werden könnte, alles Notwendige für die Verbesserung der Studienbedingungen getan zu haben. Er weiß: Hochschulen sind wie riesige Tanker und nicht schnell auf einen neuen Kurs zu bringen. Er will seine Kräfte daher produktiv verwenden und sich jenseits der Diskussion um die „richtige“ Bezeichnung von Studienabschlüssen dafür einsetzen, die Kompetenzentwicklung an Hochschulen sowohl mit Blick auf die Inhalte als auch die Didaktik weiterzuentwickeln. Das Motto „verschwendungsarm zu arbeiten“ empfiehlt er also nicht nur anderen, sondern sieht es auch als Leitlinie seines Engagements an.
Die Kollegen, Studierenden und Freunde schätzen an ihm seine Fähigkeit, gewohnte Pfade zu verlassen und Neues zu denken und auszuprobieren. Und sie schätzen ihn als jemanden, der einen für richtig erkannten Weg – zur Not auch beharrlich – gegen Widerstände zu Ende geht. Als „alter“ Westfale hat er dabei keine Sorge, die Bodenhaftung zu verlieren. „Er ist ein verlässlicher Kumpel“, wie ein Weggefährte ihn kurz und knapp beschreibt, und er hat gelernt, Widersprüchlichkeiten und Spannungen auszuhalten. So ist es für ihn keine Frage, dass er Zeit seines Lebens „in guten, wie in schlechten Zeiten“ leidenschaftlicher Anhänger des BVB geblieben ist – und die berufliche Heimat dennoch in Gelsenkirchen gefunden hat.