Das letzte Wort – von Peter Grohmann

 Auf bessere Zeiten!

Den diesjährigen Stuttgarter FriedensPreis der AnStifter 2017 erhielt am 10.12.2017, dem Tag der Menschenrechte, Ali Erdogan überreicht. Erdogan schreibt und publiziert auch solche Dinge, die die Regierung in der Türkei nicht gut heißt. Sie schreibt über Unterdrückung, Folter, Menschenrechtsverletzungen. Im August 2016 ist Asli Erdogan deswegen inhaftiert worden. 132 Tage musste sie im Gefängnis verbringen, bevor ihre Freisetzung erwirkt werden und sie aus der Türkei ausreisen konnte. Seit einigen Wochen lebt die Autorin in Frankfurt, im Exil sozusagen. MENGEDEInTakt! veröffentlicht nachstehend das Schlusswort von Peter Grohmann bei der diesjährigen Friedensgala in Stuttgart.

Liebe, hochverehrte AnStifter-Gemeinde,

die Annahme, dass der Frieden gesichert ist, hat uns selbstgefällig gemacht wie der Glauben, dass die Zukunft der Demokratie gesichert sei. Verdammt lang her.

Vor 30 Jahren – am 8. Dezember 1987 – verpflichteten sich Michael Gorbatschow und Ronald Reagan, ihre atomaren Mittelstreckenwaffen zu vernichten. Das war ein halber Sieg der Vernunft und ein großer Erfolg der weltweiten Friedensbewegung, die sich dann altershalber zur Ruhe gesetzt hat. Für viele war auch die Demokratiefrage seit 1968 gelöst. Sie sind jetzt Ministerpräsidenten oder Aufsichtsradvorsitzende bei Gazprom oder der Telekom und überlassen uns das Streiten für die bessere Welt.

Und es war für viele, die mit uns all die Jahre unterwegs waren für die Zivilgesellschaft, als Betriebsrätinnen oder streitbare Bürger, als Fluchthelfer oder politische Akteure, sehr angenehm, sich endlich auch mal etwas zurückzulehnen, die Erfolge von gestern in die Tagebücher zu schreiben, dem Privaten mehr Raum zu geben. Es schien so, als sei der Acker bestellt.

Ja, das Alter, die Umstände, der Frust aufs Herrschende, die Freude am Wohneigentum und auf all das so sicher Erscheinende, auf Frieden und Demokratie in trockenen Tüchern: Die Parteitage werden’s schon richten – und den Rest erledigt die TAZ.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Demokratie hat eingenäßt. Der Wind dreht sich. Nein, er trocknet nichts. Er facht ewiggestrige Feuer an. Der Wind fegt nicht durch die muffigen Wohnzimmer der Nationalisten, er fegt nicht unter die tausendjährigen Talare. Es ist der kräftige Rückenwind für die Rechte, quer durch Europa – „und morgen die ganze Welt.“

Und die Parteitage? Sie blieben dummerweise ohne Antwort, ohne Antwort auf Monsanto, auf Heckler und Koch oder Daimler, ohne Antwort auf den nationalsozialistischen Untergrund, auf das Sterben der Insekten, auf die kleinen Fluchten und die großen Kriege vor der Tür.

Die Beton-Poller auf den Weihnachtsmärkten werden weder den Frieden noch die Demokratie schütten können. Aber wieso denn? Weil:
Die BürgerInnen werden für autoritäre Alternativen zur Demokratie immer anfälliger.Auch Recep Tayyip Erdogans Macht kommt nicht vom Himmel, sondern von der Erde. Vor 20 Jahren hätte es jeder 6. Deutsche ‚echt stark‘ gefunden, wenn es einen „starken Anführer“ gegeben hätte, einer, der sich nicht um Wahlen oder Parlamente sorgen muss, einen, der durchregiert…

Heute, 2017, befürwortet das jeder Dritte. Und so lange der starke Mann noch nicht da ist, kann man schon mal Zündhölzer oder Dachlatten bereithalten. Autoritäre Populisten weltweit sind die zunehmende Minderheit. Sie haben Medien und Militär, Kapital und Klerus, Dummheit und Dünkel auf ihrer Seite.

Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun.

Natürlich wissen wir: Die Wegbereiter des Rassismus treten die Rechte von Minderheiten mit Füßen. Aber wir wissen auch: es sind die Mehrheiten in Europa, die zuschauen, wie die Menschen in den Meeren elend ersaufen. Wir sind es. Es sind die Mehrheiten, die den Despoten die Waffen liefern, die den Prokuristen der Unterdrückung mit Investitionen die Ausbeutung von Mensch und Natur erst möglich machen. Wir sind es.

Es sind nicht die anderen. Wir sind es. Vielleicht sagen Sie jetzt, dass sei zu moralisch, zu larmoyant. Und da fehle die Analyse. Warum? Vielleicht fehlt stattdessen die Einsicht in unbe- queme Wahrheiten. Vielleicht, weil wir zu früh aufgegeben haben. Vielleicht, weil wir dachten, es sei alles getan. Vielleicht, weil wir nicht radikal genug waren. Vielleicht, weil wir dachten, die da oben werden das schon regeln, das mit der Demokratie zu Hause und das mit dem Elend auswärts.

Und dennoch: Nein, es gibt keinen Anlass zur Resignation. Wenn wir einsehen, dass an unserem schönen Leben auch die anderen teilnehmen wollen. Wenn wir Rettungsringe ins Mittelmeer werfen und den Mächtigen in die Arme fallen.

Wenn wir Einsicht zeigen. Wenn wir glauben, was wir wissen.

Das Erstarken der Populisten gefährdet die Grundfeste der Demokratie. Frieden und soziale Sicherheit geraten in eine existenzielle Krise. Der Lebensstandard der meisten Bürger_innen stagniert, sozial schwache Menschen geraten noch mehr ins Abseits, gleichzeitig werden nahezu unglaubliche Reichtümer von wenigen angehäuft. Die Unverschämtheit beim Betrug der Menschen nimmt zu.

Nun zeigt sich, dass sich der so genannte Volkswille immer stärker gegen den Rechtsstaat richtet, gegen Außenseiter wie uns, gegen Menschen wie Sie und Ihre Nebensitzer, gegen Gewerkschaften, die von gestern seien, gegen Akteurinnen der Zivilgesellschaft, gegen unabhängige Institutionen, gegen das freie Wort, gegen die Gleichbehandlung ethnischer, religiöser oder anderer Minderheiten.

Es fehlt an politischer Debatte, es fehlt an freier Presse, aber wir bieten offensichtlich keine glaubhafte, keine habhafte Alternative gegen die Alternative für Deutschland. Unser Bild von einer besseren Gesellschaft schwächelt. Und vielleicht lauern ja die Populisten in den eigenen Reihen.

Noch leben wir in einer eher freiheitlichen Gesellschaft, einer Gesellschaft mit gravierenden Rissen im sozialen Sektor, mit einer schwankenden repräsentativen Demokratie, mit der Fokussierung auf eine eher rechte politische Mitte.

Also genauer hinschauen. Keine Angst vor Kritik und Selbstkritik.
Und jetzt jetzt, Leute, Freunde, Bürgerinnen: Wir müssen noch einmal aufstehen.

Das ist unsere Erzählung: Die von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Die von Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit, davon, dass das eine nicht ohne das andere geht. Das sind die besseren Ideen. Es sind keine Erzählungen von gestern, sondern die von morgen.

Auf nach Utopia.

Machen Sie die AnStifter stärker.
Wir dürfen träumen.
Es sollen Träume sein von einem anderen Leben, die jeder Mensch nachträumen kann. Aber dann stehen wir auf.
Eine, eine bessere Welt ist möglich und überlebensnotwendig.

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Weitere Infos zur Preisverleihung: https://www.die-anstifter.de/2017/12/laudatio-auf-asli-erdogan-von-elisabeth-abendroth/
In einer besonderen Aktion setzten sich die TeilnehmerInnen der Preisverleihung für die in der Türkei inhafierten Journalist_innen ein und übernahmen eine virtuelle Patenschaft. (Foto Zoller).
Es wurden an die Besucherinnen der FriedensGala, Plakate mit den Namen von mehr als 150 inhaftierten Autorinnen, Journalisten, Zeitungsleuten verteilt – Menschen, die aktuell in der Türkei inhaftiert sind. Die AnStifter bitten herzlich: Seien Sie Patin, Pate für „Ihren“ Namen, für eine/n der Inhaftierten! Recherchieren Sie im Netz, schreiben Sie ans Gefängnis, protestieren Sie persönlich bei der Justiz und öffentlich, machen Sie auf das Schicksal „Ihrer“ Inhaftierten aufmerksam.

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