Weiche, Satan!
Eine Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 1.8.2018
In diesen Tagen geht die Republik baden. Viele fahren ans Mittelmeer, andere lieben eher verschmutzte Binnengewässer oder fliegen mit Ryanair in den hohen Norden, um sich von den letzten Gletschern zu verabschieden. Richtig ist: Ob auf Lampedusa, in Kufstein, am Südpol oder auf Spitzbergen – so schön wie heute wirds nie mehr. Das sagen sich auch die Anlieger-Demokratien des Mittelmeers, die längst noch nicht mit allen Mitteln, über die das Christentum verfügt, unsere Strände sauber halten wollen.
Sibylle Krause-Burger, eine Lady leicht rechtsaußen in der hiesigen Qualitätspresse, spricht nicht nur den Blauen und Schwarzen aus dem Herzen, wenn sie sich in der „Stuttgarter Zeitung“ über die „Art des Missbrauchs europäischer Großzügigkeit“ hermacht und den Aufruf zur Mäßigung in der Asyldebatte „Gesäusel“ nennt. Ihr Wort in das Ohr der Menschen, die im Mittelmeer ertrinken! Hat sie verdrängt, dass eben dieses Europa der weißen Herrenrasse die Kontinente, aus denen die Flüchtlinge zu uns kommen, ausgesaugt, ausgelaugt, ausgebeutet hat – und es weiter tut? Dies vor allem und unser imperialer Lebensstil auf Kosten der „Anderen“ ist der Hintergrund der Fluchten.
Gerade die „freie Rede ist es doch, die wir … an einer funktionierenden Demokratie für unverzichtbar halten, und zwar jede Rede, die strafrechtlich unbedenklich ist“. Das „verordnete Gesäusel“, das zur verbalen Mäßigung beim Aufeinandereinstechen in der Asyldebatte mahnt (sie meint wohl Merkel, Voßkuhle und ähnliche Hallodris), bringe uns nicht weiter. Ja, wohin denn, gnädige Frau? Es bringt zwar nicht uns, aber die Mitte Ihrer guten Gesellschaft weiter nach rechts und macht die Populisten noch hoffähiger. Es geht in der Rede in diesen Zeiten eben nicht darum, ob etwas strafbar ist oder nicht, sondern darum, welches Klima Sprache erzeugt und welchen Haltungen sie Vorschub leistet. Weiß Frau Krause-Burger eigentlich, was bei uns alles an Rassismus, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung nicht strafbar ist?
Ganz im Gegensatz dazu fehlts im Land an freier Rede, am ehrlichen Wort, an Protest gegen Populisten. Die Intelligenz an Universitäten und in den Medien, in Kunst, Kultur und Politik hält sich in diesen Zeiten stark bedeckt – im festen Glauben, dass ein geflüstertes „weiche, Satan, weiche“ die populistischen Gespenster dem guten Hause fern hält. Nein. Denn sie haben sich längst festgesetzt, neben mir, neben dir.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die AnStifter.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit bald 7 Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion und Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne. Näheres unter:
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