Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ formiert sich auch in Dortmund
Es war voll im Bier Café West im Dortmunder Unionsviertel. Schon vor Beginn der Veranstaltung „Würde statt Waffen“ der neuen Sammlungsbewegung „Aufstehen“ waren keine Sitzplätze mehr frei. Also sicherten sich die 150 interessierten Besucher – mehrheitlich per Handzeichen als parteilos identifiziert – wenigstens die besten Stehplätze. Sehr aufmerksam hörten sie zu, was ihnen die Initiatoren Marco Bülow (SPD), Bundestagsabgeordneter, zu dessen Wahlkreis auch der Stadtbezirk Mengede gehört, und Aktivistin Lisa de Zanet vermitteln wollten. Außerdem im Podium: Susanne Neumann, Gewerkschafterin der IG Bau und Putzfrau aus Gelsenkirchen, bekannt geworden in der 2016 ausgestrahlten Sendung von Anne Will „Heute kleiner Lohn, morgen Altersarmut – Versagt der Sozialstaat?“ Sie hat sich in ihrer sympathisch offenen Art aktiv an der Diskussion beteiligt.
Zur Eröffnung begründete Marco Bülow, warum die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ ihre Berechtigung hat. Die Politikschwerpunkte sind aus seiner Sicht schwer in Schieflache geraten. In der öffentlichen Debatte (Stichwort: Talkshows) finden fast ausschließlich die Themen „Flüchtlinge“ und „Terrorismus“ breiten Raum. Soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Klimawandel fristen in der veröffentlichten Meinung ein Schattendasein. „Der Neoliberalismus als Gesellschaftsform ist akzeptiert – die Soziale Marktwirtschaft nicht mehr existent“, so Bülow. Weitere von ihm skizzierte Brennpunkte:
- Die Mindestlöhne reichen nicht zum Leben und führen später in der Rente zu Altersarmut.
- Die Vermögens(schief)lage lässt sich an folgender Verteilung ablesen: 10 Prozent der (reichen) Bevölkerung besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens.
- Ungleichgewichte bei den Bildungschancen führen dazu, dass Kinder der wohlhabenden Familien die besten Chancen haben. „Die Postleitzahl bestimmt oft das Bildungsniveau in Deutschland“, so Bülow.
„Und daran“, so Bülow weiter, „helfen keine kleinen Reparaturen. sondern es muss eine klare Sozialwende her“. Er zitiert die Antworten auf die Umfrage an die Bevölkerung: „Welche Partei löst die Probleme am Besten?“ Überraschendes Ergebnis:
- 18 Prozent trauen das der CDU zu
10 Prozent den Grünen,
4 Prozent der SPD, und nur
1 Prozent der AFD, die von sich behauptet, am stärksten an der Problembewältigung zu arbeiten.
Um den Bogen zur Kampagne „Würde statt Waffen“ zu spannen, wendet Bülow sich dem Thema Rüstung zu. Er kritisiert die Bundesregierung, die immer mehr Geld für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgeben will. Allein für 2019 ist eine Erhöhung des Wehretats von derzeit 38 Milliarden Euro auf 42,9 Milliarden Euro geplant. Das ist die höchste Ausgabensteigerung für die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges 1990.
Den Teilnehmern der Versammlung wurde im Anschluss an die Einführung die Möglichkeit gegeben, Statements und Fragen an das Podium zu richten. So interessierte es Gerald, der aus den neuen Bundesländern stammt, ob Vertreter von „Aufstehen“ auch politische Ämter, z.B. in Bezirksvertretungen anstreben. Horst aus Dortmund hofft, dass sich die Bewegung angesichts des eingerichteten Arbeitsausschusses, der ihm Zufolge bereits ein Programm vorgibt, „von unten nach oben demokratisiert“. Heike wünscht eine Zusammenarbeit mit anderen fortschrittlichen Kräften aus den Grünen, den Linken oder mit der Organisation Attack.
Einheitliche Meinung zu den offenen Fragen herrschte darüber, dass eine vor gut 2 Monaten gegründete und nun bereits 160.000 Unterzeichner umfassende Bewegung noch nicht alle Antworten parat hat. Vorbeter sind jedenfalls nicht gewünscht. Die Demokratisierung geschieht über die Aktivitäten der einzelnen Regionalgruppen, die sich aktuell konstituieren. Zwei Aktionstage sind am 03.11. und am 17.11.2018 bereits geplant. https://www.aufstehen.de/aktionstage-wuerde-statt-waffen/aktionsvorschlag-fuer-den-bundesweiten-aktionstag-am-3-11-2018/ https://www.aufstehen.de/aktionstage-wuerde-statt-waffen/aktionstag-17-11-2018/
Nach der Plenumsrunde ging es in Arbeitsgruppen, deren Teilnehmer sich im kleineren Kreis besser um die Lösung von Einzelfragen kümmern konnten.
Dem Verfasser ist bewusst: die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ ist (noch) keine Organisation in gefestigten Strukturen. Sie steht am Anfang einer Entwicklung, deren Ausgang noch offen ist. Laut Bülow ist es eine Bewegung aus der Mitte der Bevölkerung, die Druck auf etablierte Kräfte in unserem Land ausüben, die sich keinem formalen Parteistatut und erst recht keinem Fraktionszwang unterwerfen soll. Ob Bülow bei seiner Positionierung noch richtig in der SPD aufgehoben ist, muss er für sich selbst entscheiden. Erfrischend war, dass es keine – von diversen Politikern und Medien noch so sehr herbeigeredete – Anzeichen für eine Spaltung der linken Bewegung in Deutschland gab. Die als „Spaltpilz“ geächtete Sarah Wagenknecht wurde kein einziges Mal erwähnt.
Schlussendlich entscheidet sich vieles auf der Straße: wie verbindlich nehmen „Aufstehen-Unterstützer“ regelmäßig an Aktionen oder sogar als Organisatoren an öffentlichkeitswirksamen Aktionen teil. Im Medienspektrum fühlten sich die Versammlungsteilnehmer deutlich unterrepräsentiert. Um das zu verändern, erging von der Dortmunder Veranstaltung ein Appell für einen aktiven Einsatz eines jeden im Interesse einer sozialeren Politik in unserem Lande aus.