Denunzianten, Hollerith juchhe
Eine Kolumne von Peter Grohmann
„Jeder Kongoneger hat ’n Bettvorleger – aber unsereiner – der hat nix!“, so ein treffendes, wenn auch rassistisches Volkslied aus dem Schwäbischen. Es geht aber nicht um Bettvorleger und auch nicht um freiere Wahlen oder Demokratie, sondern ganz schlicht um Kinderarbeit, Sklaverei, Ausbeutung, Mord und Totschlag, um Gold, Platin, Diamanten und Coltan für das Handy von meiner Omi Glimbzsch in Zittau und das Schnitzel von Ribéry.
Das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns über politische Korrektheit oder die kommenden Unruhen im Kongo empören. Gewusst wie und warum also. Doch der schlimmste Feind des Menschen ist seine Dummheit. Wenn sich selbst prominente Bildungsbürger mit ihren Daten bis auf die Unterhose ausziehen und alles rauskommt, was drinsteckt, war’s nicht das Bundesamt für IT-Sicherheit, sondern die Gier nach Gerede und Klicks. Wer heute im Netz über Erdoğan und seine Moslemschwestern lästert und morgen an der Fata Morgana am Schwarzen Meer Urlaub machen will, unterschätzt die Kapazitäten der Geheimdienste. Hase, du bleibst hier!
Der türkische Geheimdienst Millî İstihbarat Teşkilâtı hat mit Unterstützung kalifornischer Umweltschützer eine App entwickelt, mit der man in der Türkei, aber auch von hier aus endlich Freunde, Nachbarn oder Kollegen (direkt vom Sofa aus!) denunzieren kann. Doch der MIT hinkt seiner Zeit hinterher: Bei uns wusste die Obrigkeit schon lange vor 1933 durch die Hollerith-Karten (Hermann Hollerith, deutscher Erfinder aus der Pfalz, ausgewandert wegen politischer Repression), wo der Jude und wo der Kommunist wohnt und wer durch sein Handicap ein unnützer Esser war. Die Aussortierten konnten dann acht bis zehn Jahre später am hellen Tag zu Hause abgeholt werden, dank der Wahlerfolge der Rechtsfront. Die türkische App kann man heute noch kaufen.
Und wenn wir schon beim Thema sind: In Göttingen beschlagnahmte die Polizei kistenweise Beweismaterial, etwa ein Handy und einen Laptop und „Die Känguru-Chroniken“, um zu belegen, dass der Student der vergleichenden Literaturwissenschaften an den Hamburger G-20-Krawallen beteiligt war. War er aber nicht, im Gegensatz zu einem anderen V-Mann, der Randale in Hamburg machte. Unser Mann war hingegen zur fraglichen Zeit in Japan, stellte man jetzt fest. Sorry, dem Mann ist doch nichts passiert. Außer dass er jetzt beim Neurologen ist, Trauma und so.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit mehr als 7 Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion und Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne. Näheres unter: https://www.kontextwochenzeitung.de/kolumne/406/denunzianten-hollerith-juchhe-5642.html