Messstelle Kretschmann
Eine Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 27.03.2019
Aus des Waldes eigner Mitte erhält die Axt den Stiel. Das wusste meine Omi Glimbzsch in Zittau schon, als die Braunkohle noch hoch im Kurs stand. Braunkohle – so nannten ihre Freunde in der DDR die Vertragsarbeiter aus Mozambique. Den schwarzen Kollegen wurden Teile ihres mageren Lohns vorenthalten: Nach Ende der Arbeit und zurück in der Heimat, hätten sie dann neben der schönen Erinnerung an den Sozialismus eine bescheidene Rente, so das Versprechen. Heute haben sie nur die Erinnerung – also Pustekuchen und den Blick in die Röhre. Sie sehen schwarz.
Keine DDR, kein Geld. Seit der Rückführung der DDR nach Deutschland wurden allein zwei Milliarden Euro an beiseite geschafften Vermögen aus DDR-Beständen entdeckt. Vorwiegend auf Schweizer Konten, genau dort, wo auch der gewöhnliche deutsche Steuerbetrüger seine Millionen parkt.
Banker, Berater und Superreiche, auch der Schwarze weiß es, betrügen den Staat um Milliarden. Wenn der Betrug aufliegt, greift der Ablasshandel. Strafrechtlich verfolgt werden oft (etwa beim Cum-Ex-Skandal) jene, die solchen Skandalen das Tageslicht gönnen.
Zum Berufsrisiko von Vertragsarbeitern gehören allerdings auch Kostenschätzungen wie beim Fall von Stuttgart 21. Der Stadtplaner und Architekt Prof. Roland Ostertag († 11. Mai 2018) hatte bereits vor zehn Jahren seriös hochgerechnet, dass ins tiefgelegte Milliardengrab knapp 16 Milliarden fließen würden. Die Bahn hat das Geld natürlich nicht – wer rechnet schon mit so etwas? – da muss ich eben einspringen. Ich rechne mit der vollen Solidarität von Stadt, Land, Bund, Bahn und Wählerinnen. Bis dahin wird demonstriert, auch in urwüchsigen Koalitionen.
Gemeinsam mit der AFD, der FDP, mit Sakkaros und der CDU kämpft eine dubiose Dieselgemeinde gegen die Messstelle Kretschmann, gegen Kuhn und Grün, gegen bindende Gesetze, gegen die Wissenschaft und die Erkenntnis, dass die Luftschadstoffe Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid die Gesundheit gefährden. Scheuer, merke: Die Wirkungen beginnen in der Lunge, aber haben Auswirkungen auf den gesamten Körper, zum Teil offenbar auch aufs Hirn. Gesichert ist, dass sich dadurch die Lebenszeit verkürzt und Lungenerkrankungen und Herzkreislauferkrankungen ausgelöst werden. Die krebserzeugende Wirkung von Feinstaub gilt inzwischen als gesichert, da beißt keine Maus das Amen in der Kirche ab.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit mehr als 7 Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion und Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne. Näheres unter: https://www.kontextwochenzeitung.de/kolumne/417/messstelle-kretschmann-5807.html#