Alzheimer
Ein Kolumne von Peter Grohmann
Bereits 1906 beschrieb Doktor Alzheimer etwas, was uns bis heute Sorgen macht: Ungewöhnliches in der Gehirnrinde. Seitdem haben wir’s schriftlich: Vergesslichkeit ist eine Krankheit, Demenz ein Schimpfwort. Nicht erst seit Hitlers Sondererlass 1939 wurden mit deutscher Gründlichkeit psychisch Kranke und Menschen mit Handicaps „erfasst“, Hunderttausende in den Folgejahren ermordet. Sinti und Roma wurden zum Beispiel in Baden spätestens seit 1922 zwecks Ausrottung systematisch dingfest gemacht, Juden immer.
Die Erfassung und Aussonderung des Fremden mag sicherlich ein Motiv der AfD sein, die im Landtag Baden-Württembergs fragen lässt, ob wirklich alle der hervorragenden Tänzerinnen, Schauspieler, Interpreten, Musiker und Sängerinnen an den staatlichen Häusern in unserem Land Ausländer sind. Oder ist es pure Neugier? Bei großem Interesse an abendländischer Leitkultur könnte man sich gern auch ein persönliches Bild machen – oder trauen Sie etwa der Landesregierung? – und mal ins Theater oder Ballett gehen. Es muss ja nicht gleich Gauthier sein.
Freilich: Der Ausländer an sich muss nicht immer schlecht sein. Nehmen wir Matteo Salvini. Bereits 2009 hatte der Capitano seine gesamte humanistische Bildung über Bord geworfen, total vergessen, und schlug eine Rassentrennung von Einwanderern und Italienern bei der Bahn vor. Gab’s Aufregung? Hab‘ ich vergessen. Doch so wird man Innenminister. Aber wolle mer se wirklich reinlasse, die Gestrandeten aus Lampedusa? Alle? Oder nur fünf oder acht? Lass das mal die Italiener machen, sagt sich die scheinheilige und empörte deutsche Politik nebst Öffentlichkeit, fordert Freiheit für Carola Rackete – und beschließt die schnellere Erfassung und Abschiebung, sorry, Remigration, das klingt vornehmer. Und was sagt meine Omi Glimbzsch in Zittau dazu? Scheinheilige Bande.
Doch es gibt auch gute Nachrichten. Alle, wirklich alle regen sich über die neuerdings wieder walfangenden Japaner auf, alle wollen den Kohleausstieg spätestens 2039 – wir hatten ja eine Klimawahl! – und immer mehr fliegen zwar in die Ferne, überweisen aber Geld an Klimaschutzprojekte, um ihre CO₂-Emissionen zu kompensieren. Und keiner will mehr bei Rot-Rot-Grün die Seiten wechseln. Wohin auch?
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit mehr als 7 Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion und Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne. Näheres unter https://www.kontextwochenzeitung.de/kolumne/431/alzheimer-6033.html