Trinkt Benzin! – Eine Kolumne von Peter Grohmann

Trinkt Benzin!

Eine Kolumne von Peter Grohmann

Venceremos, sangen die ChilenInnen damals, als wir noch jung waren – und Norbert Blüm sang kräftig mit gegen den Christdemokraten. In den Nachrufen auf den politischen Träumer („Die Rente ist sicher“) fehlt die Erinnerung an Blüms Einsatz für Menschenrechte und Kommunisten. Es wär‘ vielleicht zu offensichtlich, was sonst noch so alles einzulösen ist von den Machthabern.

Do it yourself also statt aufs Zentralkomitee zu warten, und klar: vermummt ist gesünder, selbst am 1. Mai. In grauer Vorzeit, als man noch angemeldet demonstrieren durfte und am Vorabend auf dem Sofa mit der Randale in Kreuzberg die radikale Feuertaufe erwartete, klappte das nur, wenn die staatlichen Provokateure die Streichhölzer mitbrachten.
Weil Corona heute die Grundfesten der Republik erschüttert, will sich am 1. Mai 2020 eine neue und noch kleinere radikale Minderheit der Polizei und den Medien stellen. Es wär‘ durchaus möglich, dass man sich 75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus mit den Leugnern von Auschwitz in der Gosse findet. Denn sind wir nicht alle der Meinung, dass die Einschränkung der Grundrechte großer Mist ist? Vielleicht ist das ja nur die Generalprobe, um die sozialen Konflikte von morgen besser in den Griff zu kriegen? Neulich las ich in der taz, dass die Gewerkschaften den Arsch nicht hochkriegen und die Linke (welche?) auch nicht und die SPD und die Grünen auch nicht und nicht die Kirchen und nicht die Zivilgesellschaft und dass man deshalb aufstehen müsse. Außer mir und meiner Omi Glimbzsch in Zittau – und wir sind nicht die Querfront – ist noch niemand zu sehen. Alle in Quarantäne?

Jetzt, wo man die Vögel plötzlich zwitschern hört beim Auslauf, wo man sich über saudumme Fragen kluger ModeratorInnen grün und blau ärgert, über anbiedernden Lokaljournalismus, wo Präsidenten auffordern könnten, Benzin zu trinken, könnt‘ man leicht ins Grübeln geraten zur Unzeit und Ideen für morgen sammeln. Auf die Straße für eigene Privilegien oder für jene, die keine Stimme haben? Für die Bauarbeiter aus Rumänien, die Eingesperrten in den „Ankerzentren“, für die von uns betrogenen Textilarbeiterinnen in Bangladesch und die neuen Löscher von Tschernobyl? Ist es tatsächlich so schwer, kluge Flugblätter gegen den weißen Rassismus zu drucken? Für Vielfalt und Menschenrechte – mit kritischen Fragen an uns selbst statt gleichgeschalteter Antworten? Falls Sie Ideen oder Geld haben: schreiben Sie mir. *)

Oh ja, es ist wichtig, dass die Kneipen wieder öffnen, schon wegen der Stammtischparolen, die es in den Kitas so noch nicht gibt. Es ist wichtig, dass die Innenstädte wieder „belebt“ werden, weil es auf dem flachen Land und in den Vororten keine Läden mehr gibt und keine Post und keine Bankfiliale. Nur hin und wieder eine Polizeistation. Die reicht nicht bei Übergriffen.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts „Die Anstifter“. Wir danken Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne.

 

*) peter-grohmann@die-anstifter.de

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