Jan Costin Wagner: Sommer bei Nacht
Gerade stand der fünfjährige Jannis noch mit dem alten Playmobil-Schiff neben seiner Mutter und dann ist er fort. Der Flohmarkt in der Grundschule der großen Schwester wird aufgebaut, es ist einen Moment unübersichtlich. Die Polizei entdeckt eine etwas undeutliche Aufnahme aus einem Parkhaus, auf der ein Mann und ein Kind mit einem großen Teddybären zu sehen sind. Der Wiesbadener Ermittler Ben Neven erinnert sich an einen gleichen Bären auf einem Tisch bei dem Flohmarkt.
Die sich Schritt um Schritt entfaltende Suche findet die entscheidenden Hinweise jenseits der Grenze in Österreich. Der in Innsbruck verschwundene Junge wurde nie gefunden. Die Eltern eines anderen, etwas älteren Jungen melden sich. Er war nicht genug an dem angebotenen Stofftiger interessiert. Die Täterbeschreibung bleibt vage.
Parallel zur Ermittlung werden die pädophilen Täter eingeführt, erhalten psychologische Kontur. Das aktuelle Thema wird allerdings gesplittet dargestellt: auf der einen Seite die Täter, aus vielen Krimis bekannte Typen, und auf der anderen Seite der Polizist, verheiratet mit Kind, der nachts am Laptop Nacktbilder von Jungen betrachtet. Er arbeitet auch in diesem Fall professionell, überschreitet die (auch im Kriminalroman) gesetzten Grenzen nur im Privaten, bis er am Ende seine Maske fast verliert.
Großartig und dabei typisch für Wagners Schreibstil ist unter anderem die den inneren Konflikt des Polizisten thematisierende Szene in der Maske vor einem Fernsehauftritt: „Die kleine Entzündung hier würde ich abdecken. Kleine Sache“, sagt sie. Er hebt den Blick. Jetzt beginnen die Gedanken auseinanderzutreiben. Kleine Sache. In der Maske.
Jan Costin Wagner lotet in seinen Kriminalromanen seelische Abgründe gekonnt aus. Wieweit er die Entwicklung der Figur des Ben Neven in den Folgebänden dieser neuen Reihe führt, ist eine irritierende und sehr spannende Frage.