Radtour auf dem Emscherweg – von Mengede zur Emschermündung
Startet man in Mengede auf der Emscherbrücke der Siegenstraße, hat man knapp 80 Kilometer bis zur Mündung der Emscher in den Rhein bei Dinslaken. Die lassen sich, auch ohne Elektroantrieb, durchaus an einem Tag bewältigen. Oder auch gemütliche mit zwei Halbtagestouren und einer Zwischenübernachtung mitten im Pott. Das hatte ich mir jedenfalls vorgenommen. Also startete ich am Donnerstag vergangener Woche um 16.00 Uhr, nahm Kurs auf die Rückhaltebecken und ließ die JVA „Meisenhof“ links liegen.
Erste erfreuliche Feststellung: die beiden Baustellen bis Henrichenburg sind wieder aufgehoben, der Weg bis zur Wartburgstraße ist wieder durchgängig befahrbar. Hier zweigt die Route nach rechts ab, führt über die Kanalbrücke und hinter den Restaurant Riad, das im Gebäude der ehemaligen Wartburg „Mediterrane Genusswelten“ verspricht, gleich wieder nach links zum Wasserkreuz Castrop-Rauxel. Hier unterquert die Emscher durch einen Düker den Rhein-Herne-Kanal. Das Wasserkreuz markiert das östliche Ende der 34 km langen sogenannten „Emscher Insel“, ein von Emscher und Kanal umschlossenes Gebiet von elf Quadratkilometern.
Gefangen in der Baustelle
Genau an dieser Stelle bremste mich ein etwa zwei Meter hoher Bauzaun aus, der eine riesige Baustelle der Emschergenossenschaft einzäunte. Doch das Tor war offen, ich hatte keine Lust auf Umleitung und fuhr hinein, in der Hoffnung, dass an der anderen Seite auch ein Ausgang sei. Es gab auch das Tor auf der anderen Seite, doch das war fest verschlossen. Ich hätte vielleicht über den niedrigeren Zaun an der Emscherseite klettern können, aber der Stacheldraht und die Notwendigkeit, mein Fahrrad auch über den Zaun zu hieven, hielten mich davon ab. Blieb nur die Fahrt zurück zum Eingangstor. Nur war das jetzt leider auch verschlossen, gesichert mit Ketten und Vorhängeschloss. Inzwischen war es fast 17 Uhr und die gesamte Baustelle menschenleer. Da musste der alte Herr wie in jungen Jahren dann doch über den angrenzenden Stacheldrahtzaun der Emscher klettern, und das gleich zweimal jeweils zu beiden Seiten des Bauzauns. Auch das Fahrrad samt Rucksack musste auf die andere Seite gehoben werden. Da war ich wieder einmal froh, dass mein Mountainbike keinen Elektroantrieb hat und relativ leicht ist. Fazit nach der Aktion: leichte Blessuren an Armen und Beinen, ein kleiner Riss im Sack als Sachschaden und der Vorsatz, nie wieder in eine Baustelle zu fahren, auch wenn das Verbotsschild fehlt.
Erfrischung und Pläuschken beim Imbiss „An der Halde“
Jetzt entdeckte ich auch das vorher übersehene Umleitungsschild. Diese Alternativstrecke war übrigens hervorragend ausgeschildert. Mit gut 30 Minuten Verspätung erreichte ich dann den „Walkway and Tower“, den fast 12 Meter hohen Aussichtsturm mit Stegzuführung, den der japanische Künstler Tadashi Kawamata für die Emscherkunst entworfen hat. Bei der nächsten Baustelle in Recklinghausen Süd hielt ich mich strikt an die Umleitungsschilder, unterlag auch nicht der Versuchung, die Abkürzung über den Friedhof zu nehmen, um nicht bei vielleicht geschlossenen Toren noch über eine Friedhofsmauer klettern zu müssen. Am Museum „Strom und Leben“, dem ehemaligen Umspannwerk am Stadthafen Recklinghausen, war ich dann wieder auf dem richtigen Pfad. Die Halden Hoppenbruch und Hoheward besuchte ich diesmal nicht, ich kann diese Abstecher aber jedem empfehlen, der noch nicht oben war, um die Panorama-Rundsicht zu genießen. Auch die serpentinenmäßig angelegten Aufstiegswege sind mit dem Fahrrad gut zu schaffen. Obwohl ich die Abstecher auf die Halden nicht gemacht habe, verspüre ich nach etwa 2 Stunden Fahrzeit die Sehnsucht nach einer Pause.
Da kommt die Imbissstube „Zur Halde“ im Industriegebiet an der Straße „Am Emscherbruch“ wie gerufen. „Ich schließe gerade, wenn Sie passendes Geld haben, können Sie noch was zu trinken bekommen“, meint Inhaber Vasilly. Mit einer Aufrundung von 50 Cent rette ich mich vor dem Verdursten. Im Außenbereich der Bude bieten Tisch und Bank ein einladendes Plätzchen. Das hat auch ein anderer Radfahrer in meiner Altersklasse für sich entdeckt. Wir kommen ins Gespräch, wieder muss ich die Frage beantworten, warum ich noch kein E-Bike habe. „Ich habe schon das zweite, das hier ist mit fast 3.900 € Kaufpreis schon fast ein Mercedes“, erklärt er, „aber wenn ich ehrlich bin, mein Altes von Aldi war wesentlich preiswerter, aber besser.“
Mitten im Pott bei einer Fußballlegende
Gegen 18.15 Uhr fahre ich weiter. Noch 17 Kilometer bis zum Tagesziel. Schon bald komme ich zum Nordsternpark in Gelsenkirchen, ein ehemaliges Bundesgartenschaugelände auf dem Areal der früheren Zeche Nordstern. Hier herrscht ein ziemlicher Andrang von Feierabend-Erholungssuchenden, Parkbänke besetzt und Picknick auf dem Rasen, nicht nur Kinder plantschen im Wasserbecken. Man hat den Eindruck, es würde Corona nicht geben. Von oben auf dem alten Schachtturm grüßt mich der vom Künstler Markus Lüpertz geschaffene monumentale Herkules, besser gesagt, er streckt mir sein Hinterteil entgegen. Nach Überquerung des Rhein-Herne-Kanals auf der roten Bogenbrücke setze ich zum Endspurt an, noch gut 5 km bis zum Ziel.
Ab dem „Blauen Pumpwerk“ geht es immer am Kanal entlang, vorbei am „Carbon Obelisk“, einer fast 14 m hohen schwarzen Skulptur. Essen-Karnap bleibt rechts liegen, nach Erreichen der B 224 ein etwa 500 Meter Abstecher von der Bundestraße habe ich es für heute geschafft. Um 20.04 bin ich „Mitten im Pott.“ Diesen Namen trägt ein Restaurant mit Fremdenzimmerangebot, eine grüne Oase zwischen Bundestraße und Industriegebiet. 1979 hat Willi „Ente“ Lippens, Fußballlegende aus dem Revier, das Anwesen erworben. Nachdem mir Frau Lippens mein Zimmer Nr. 8 gezeigt hat, sitze ich im gemütlichen Biergarten bei einem riesigen Schnitzelgericht, das auch „Mitten im Pott“ heißt, trinke ein Stauder Bier, das ebenfalls aus dem Pott kommt. Willi Lippens schaut zweimal über den Zaun, geht einmal durch den Biergarten in die Gaststube. Für den Rest des Abends zieht er sich zurück.
Bei meinem letzten Besuch durfte ich ein Bild mit ihm und mir schießen lassen, und seine Geschichten und Anekdoten kenne ich auch als Nichtfußballkenner. Vor allem die, die ihn in die Fußballgeschichte eingehen ließ. Als der Schiedsrichter ihn mit den Worten „Herr Lippens, ich verwarne Ihnen“ zurechtwies, antwortete er: „Herr Schiedsrichter, ich danke Sie.“ Folge: Platzverweis und zwei Wochen Sperre wegen ungebührlichen Verhaltens. Er ist wohl auch der einzige, der einen Kopfball im Handstand ins Tor kickte. In seinem einzigen Länderspiel für die holländische Nationalmannschaft wurde der Sohn eines Niederländers von den Mannschaftskameraden nicht angespielt. In der deutschen Nationalmannschaft hat er nie gespielt: „Dann hätte mein Vater nicht mehr mit mir gesprochen.“ So spielte er, von einem kleinen Ausflug nach Borussia Dortmund abgesehen, viele Jahre für Rot-Weiß-Essen, der Mannschaft, von der er heute mit 75 Jahren noch einen gültigen Spielerpass haben soll und deshalb jederzeit wieder aufgestellt werden könnte.
Ein Parkhotel der besonderen Art und ein insolventer Brauereigasthof
Da auf der „Lippens Ranch“ coronabedingt kein Frühstück angeboten wird, starte ich am nächsten Morgen schon um kurz nach acht Uhr. Mein erstes Ziel ist der Bernepark Bottrop, ein Industriedenkmal der besonderen Art. Internationale Künstler wiesen den ehemaligen Klärbecken neue Aufgaben zu. Das eine wurde über Brücken begehbar gemacht, im anderen ist ein „Theater der Pflanzen“ eingerichtet. Im ehemaligen Maschinenhaus befindet sich ein Restaurant.
Eine ganz besondere Attraktion sind fünf Betonröhren von 3 Meter Länge und 2,40 m Durchmesser, die vom österreichischen Künstler Andreas Strauss in Hotelzimmer umgestaltet wurden, eine Alternative zu Gasthof, Zelt oder Jugendherberge. Sanitäre Einrichtungen sind außerhalb, auch das Fahrrad muss draußen bleiben. Die Röhren sind im Sommer nahezu immer lange vorher ausgebucht. Ich treffe ein Radfahrer Paar aus Bochum, das hier übernachtet hat und auf dem Weg zum Frühstück im Restaurant ist. Dass es ein besonderes Erlebnis sei, räumen sie sofort ein. „Ich habe schlecht geschlafen, weil es innen sehr warm war und man Geräusche von draußen hörte“, berichtet die Frau. „Trotzdem sollte man es mal mitgemacht haben, und für eine Nacht ist es okay“, meint der Mann.
Etwa drei Kilometer weiter komme ich mit einem kleinen Abstecher zu zwei weiteren Sehenswürdigkeiten. Da ist als erstes das Haus Ripshorst am südlichen Ufer des Rhein-Herne-Kanals mit einem Infozentrum, multimedialer Ausstellung, einem Gehölz- und einem Blumengarten. Fast daneben befindet sich der Zauberlehrling, ein „tanzender“ Strommast, der den Eindruck erweckt, er bewege sich im Wind.
Die geschwungene Form wirkt wie ein zur Gestalt gewordener Besen aus Goethes berühmtem Gedicht. „Walle, walle manche Strecke“, denke ich auch bei meinem Abstecher zum Centro, wo ich in einem Labyrinth von Zugangswegen zu Parkhäusern, Parkplätzen und zu Anlieferungsrampen für die Geschäfte die Orientierung verliere und erst nach langem Suchen einen Zugang finde. Und dann ist mein dortiges Lieblingsrestaurant, das Brauhaus Jacobi, geschlossen. Insolvent bereits ab Mai. Den Weg zurück zum Emscherweg finde ich mühelos. Vorher werfe ich noch einen Blick auf den Gasometer. Mit seiner baustellenmäßigen Verpackung erinnert er augenblicklich stark an ein spätes Kunstwerk von Christo.
Noch rauscht die Emscher in den Rhein
In einer Bäckerei in Oberhausener Stadtteil Holten kann ich um 12.04 Uhr mit etwas Verspätung mein Frühstück einnehmen. Zwei Milchkaffee, Mettbrötchen und Apfelkuchen ersetzen gleichzeitig schon einen Teil des Mittagessens, auf das ich noch warten muss, bis ich wieder zu Hause bin. Jetzt sind es nur noch knapp 15 Kilometer bis zur Emschermündung, die gestalten sich angenehm und zeigen im Holtener Bruch ländliche Idylle. Um 13.35 Uhr stehe ich auf dem Deich und blicke in Richtung „Vater Rhein“. Gleich mehrere Lastkähne zeigen, dass er die Bezeichnung Großschifffahrtsstraße zu Recht trägt.
Und was macht die Emscher, die mich an diesen zwei halben Tagen mit ihrem streckenweise immer noch existierenden „strengen Körpergeruch“ begleitet hat? Zurzeit rauscht ihr Wasser noch steil über ein Beton-Wehr in die Tiefe, denn der Rhein liegt fünf Meter niedriger als sie Ems. Doch dieser Höhenunterschied soll in weiteren Bauphasen ausgeglichen werden. Um den Fluss sanft in den Rhein fließen zu lassen, erstellt die Emschergenossenschaft eine sogenannte Sohlgleite, die ähnlich wie Treppenstufen funktioniert. Ich verlasse den Deich in Richtung Dinslaken Bahnhof. In weniger als einer Stunde und einem Umsteigen in Oberhausen würde mich die Bahn zurück nach Mengede bringen, wenn da nicht eine Verspätung für einen verpassten Anschluss und ein unvorgesehener Halt für eine Verdoppelung der Reisezeit sorgen würden. Um 16.15 steht das Mittagessen vor mir.
Info:
- Die Länge des Emscher-Weges von der Quelle bei Holzwickede bis zur Mündung in Dinslaken wird mit 101 Kilometer angegeben. Mit lohnenswerten Abstechern lassen sich daraus gut 120 km machen.
- Da die Emscher „im Fluss“ ist, d.h. in einen blauen Fluss mit grünen Ufern umgewandelt wird, da Hochwasserschutzmaßnahmen umgesetzt werden, werden die Radfahrer immer wieder auf Baustellen treffen. Im Allgemeinen sind die Umleitungsstrecken aber gut ausgeschildert.
- Obwohl viel Natur am Wege ist, die die Radfahrer erfreut und manchmal staunen lässt, sind immer wieder industriegeprägte Abschnitte anzutreffen, deren Eindrücke man sich als Kind aus dem Pott stellen sollte.