Ein kleiner kultureller Rückblick aus aktuellem Anlass
Wer in diesen Tagen einen Spaziergang an den Emscherauen macht, in die Vorgärten schaut oder auch an Feldern und Wiesen vorbei kommt, kann sich an dem blühenden Mohn erfreuen, der jahrelang verschwunden schien inzwischen wieder verstärkt zu finden ist. Mir fiel beim Anblick des roten Klatschmohns ein altes Lied ein, das mir im Augenblick immer wieder in den Kopf kommt. Es wurde im Jahre 1938 geschrieben von dem Komponisten Michael Jary und dem Texter Bruno Balz. Es befasst sich damit, wie schnell die rote Pracht wieder verblüht ist und zieht die Parallele zur menschlichen Liebe, die manchmal nach kräftigem Erblühen auch ganz schnell wieder verwelkt.
Roter Mohn
Es war Frühling da gingen wir beide
Durch die Felder mit frohem Gesicht
Tief im Herzen den Lenz und die Freude
An den Herbst dachten wir damals nicht.
Aber nun ist er doch schon gekommen
Und viel schneller als ich gedacht
Nun ist alles so leer, nun ist alles so schwer
Ist vorbei was mich glücklich gemacht.
Roter Mohn, warum welkst du denn schon
Wie mein Herz sollst du glüh’n und feurig loh’n
Roter Mohn, den der Liebste mir gab
Welkst du weil ich ihn schon verloren hab?
Rot wie Blut, voller Pracht, warst du noch gestern erblüht
Aber schon über Nacht ist deine Schönheit verblüht
Roter Mohn warum welkst du denn schon
Wie mein Herz sollst du glüh’n und feurig loh’n
Roter Mohn warum welkst du denn schon?
Wie mein Herz sollst du glüh’n und feurig loh’n, roter Mohn.
Gesungen wurde dieses Lied von der Sängerin Rosita Serrano (1912 bis 1997), die wegen ihrer glockenhellen Stimme auch als chilenische Nachtigall bezeichnet wurde. Während sie in den 30er und frühen 40er Jahren vor allem in Deutschland und mit Förderung von Josef Göbbels große Erfolge feierte, beendete während einer Schwedentournee ein Haftbefehl ihre Karriere. Angeblich soll sie jüdische Flüchtlinge mit den Einnahmen aus einer Wohltätigkeitsveranstaltung unterstützt haben. Sie ging zurück nach Chile. In den Nachkriegsjahren konnte sie einige Achtungserfolge erringen, doch ihre frühere Popularität erhielt sie nicht zurück. Etwa 1990 verließ sie Deutschland, soll hochverschuldet gewesen sein und starb 1997 in Santiago de Chile in extremer Armut.
Die „chilenische Nachtigall“ hören Sie mit einem Klick auf das folgende Video:
Der Texter Bruno Balz (1902 bis 1988) war einer der erfolgreichsten Textschreiber des vergangen Jahrhunderts. Er schrieb Lieder wie „Das machen nur die Beine von Dolores“ für Gerhard Wendland, und „Kleine Möwe, flieg nach Helgoland“ für Hans Albers. Bereits mit 17 Jahren „outete“ er sich gegenüber dem Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld als homosexuell. Balz engagierte sich in der Homosexuellenbewegung der 20er Jahre und wurde Mitglied im Bund für Menschenrechte. Während der NS-Zeit wurde er zweimal Opfer der schwulenfeindlichen Gesetzgebung. Er wurde 1936 während einer Razzia verhaftet und verbrachte mehrere Monate im Gefängnis. Auf Geheiß des Regimes musste er Selma Pett, eine linientreue Bäuerin aus Pommern, heiraten. Im Jahre 1941 wurde Bruno Balz erneut von der Gestapo verhaftet, nachdem er in kompromittierender Situation mit einem jungen Mann ertappt worden war. Nach tagelanger Folter im Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße drohte ihm der Weg ins Konzentrationslager. Nach einer Intervention des Komponisten Michael Jary (s.u.), der ihn für einen Film brauchte, kam er frei. Noch während der Gefangenschaft oder kurz darauf schrieb er einen seiner größten Erfolge: „Davon geht die Welt nicht unter.“ Die Nazis setzten es als Durchhaltelied gegen den Bombenhagel ein, Oppositionelle bezogen es auf das menschenverachtende NS-Regime.
Auch nach dem Krieg hatte Bruno Balz unter den Folgen der nach wie vor herrschenden Homophobie zu leiden, der unter den Nationalsozialisten verschärfte § 175 des Strafgesetzbuches blieb in dieser Form bis 1969 erhalten. Von den Tantiemen seines Millionenerfolges „Mama“ in der Version von Heintje ließ Balz ein SOS Kinderdorf bauen. Seine künstlerische Verbundenheit zu Michael Jary endete mit dem Lied: „Wir wollen niemals auseinander gehen“, das Balz für Zarah Leander geschrieben hatte, das Jary aber mit Heidi Brühl für den Eurovisionswettbewerb 1960 herausbrachte.
Michael Jary, eigentlich Maximilian Michael Andreas Jarczyk (1906 bis 1982), ein studierter Musiker und Kapellmeister, der eigentlich Missionar werden wollte, verbuchte Millionenerfolge mit der leichten Muse und schuf unzählige Lieder, die zu Evergreens geworden sind. Doch wer ihn darauf reduziert, betrachtet nur einen Teil seines musikalisch künstlerischen Schaffens. Beim Hochschul-Abschlusskonzert am 8. Februar 1933 dirigierte er sein Konzert für zwei Klaviere, Trompete und Posaune und wurde von Mitgliedern des Kampfbundes für deutsche Kultur ausgebuht. Paul Graener, der neue Direktor des Stern’schen Konservatoriums, diffamierte das Werk als „kulturbolschewistisches Musikgestammel eines polnischen Juden“.
Jarczyk musste untertauchen und strich die drei polnischen Konsonanten aus seinem Namen. Danach hatte er zunächst Erfolge mit sinfonischer Unterhaltungsmusik. Auch Swing-Arrangements und Jazz gehörten trotz des staatlichen Diktats zu seinem Repertoire. Das obige Lied vom Roten Mohn war sein Durchbruch als Schlager- und Filmkomponist. Gegen Ende seines Lebens kehrte er zu seinen Wurzeln zurück und schrieb sinfonische Werke. Die Fernsehzuschauer früherer Jahre erinnern sich an ihn als einen der Kapellmeister neben Franz Grothe und Peter Kreuder im „Blauen Bock“. Goetz Alsmann setzte ihm mit einer „Michael Jary Revue“ ein musikalisches Denkmal.