Eine persönliche Bilanz zur Frankfurter Buchmesse 2021

Sich neu verbinden – aber wie?

Von Gabriele Goßmann
Vorbemerkungen
Gabriele Goßmann  – die den unten stehenden Bericht von der Frankfurter Buchmesse geschrieben hat, ist den LeserInnen von MIT bestens bekannt als Literaturexpertin. Vor einiger Zeit gehörte sie zum Team der „Buchhandlung am Amtshaus“ und absolvierte dort eine Ausbildung als Buchhändlerin. Vorher hat sie studiert und das Studium mit einem Masterabschluss in Germanistik und Geschichte erfolgreich beendet.
Derzeit arbeitet sie in einem Versandantiquariat und beschäftigt sich daher mit alten Büchern anstatt mit neuen. Vor etwa zwei Jahren ist ihr lesenswertes erstes Buch erschienen, das wir auf MIT am 1.1.2020 ausführlich besprochen haben. Das Erstlingswerk Biblio Berry hat sie unter dem Pseudonym Valentina Wunderlich veröffentlicht.
„Ich bin zur Frankfurter Buchmesse gefahren, um meine ausgestellten Bücher zu sehen. Das war etwas Besonderes für mich, weil ich wegen des Ausfalls der letzten Messen nicht mehr damit gerechnet hatte, dass es doch noch wahr wird. Und da ich kürzlich dem Selfpublisher-Verband beigetreten bin, war es spannend für mich, einige Mitglieder mal persönlich zu treffen, um mich mit ihnen auszutauschen“, sagt sie zu Ihrem Bericht. (K.N.)

Re:connect – das Motto der Messe
Die 73. Frankfurter Buchmesse fand nach einer Corona-Pause erstmals wieder als Präsenzmesse statt. Vom 20.-24.10. präsentierten Aussteller aus über 70 Ländern ihre Bücher und Dienstleistungen unter einem strengen Hygiene-Konzept. Für die Besucher galten die 3-G-Regel und die Maskenpflicht, und zudem gab es diesmal ausschließlich Online-Tickets zu kaufen.
Das Motto der diesjährigen Buchmesse lautete „Re:connect – Welcome back to Frankfurt“, digital und vor Ort. Nach einer langen Phase der coronabedingten „Vereinzelung“ des Individuums in der Gesellschaft entstand auch in der Buchbranche der Wunsch nach Wiederaufnahme eines persönlichen, kulturellen Austausches. Die Buchmesse 2021 sollte dies ermöglichen – am literarischen Leben aktiv teilzunehmen, sich wieder mit Gleichgesinnten zu vernetzen.
Nachdem es letztes Jahr ersatzweise eine rein digitale Messe gab, wollte man dieses Jahr das Konzept einer digitalen Vernetzung weiterhin aufrechterhalten und noch weiter ausbauen. Daher wurden die Veranstaltungen der ARD-Bühne in der Festhalle, das Bookfest City in der Innenstadt und das Frankfurt Studio Festival vom Buchjournal auf dem Messegelände auch als Livestream übertragen. Weitere Neuerungen waren diesmal auch, dass die Messe für Privatbesucher schon ab Freitag zugänglich war und der Schwerpunkt am Wochenende auf dem Buchverkauf lag.
Die Veranstalter der Messe mussten sich den aktuellen Herausforderungen zur Überwindung der Pandemie stellen. Neben den finanziellen Problemen in der Buchbranche und der akuten Papierknappheit wurde zudem die Anwesenheit des neurechten Jungeuropa-Verlages äußerst kontrovers betrachtet. Schon vorab kam es zu einer Reihe von Absagen bekannter Autor:innen und zu Boykottaufrufen in den sozialen Medien. Dadurch wurde das Motto der Verbindung eher ins Gegenteil verkehrt: sich spalten.

Bücher verbinden – aktuelle Neuerscheinungen zu brisanten Themen
Trotz der Schwierigkeiten boten die auf der Messe präsentierten Bücher erste Lösungsansätze. Unter der zentralen Frage „Wie wollen wir leben?“ – insbesondere nach der Corona-Krise – wurden im Veranstaltungsprogramm die verschiedensten aktuellen Themen und Stimmungen aufgegriffen und diskutiert, darunter die Gesellschaftsordnung, der Klimawandel und der Kulturkampf um Diversität. Auch Frauenliteratur war stark vertreten. Während der Corona-Pandemie ist ein spezieller Begriff entstanden, der Ausdruck von einem sich immer mehr herauskristallisierenden weiblichen Stimmungsbild sei: viele Frauen seien zunehmend „mütend“, ein Gefühlsgemisch aus Wut und Müdigkeit – sei es aus politischer Unterdrückung oder aus Erwartungsdruck. Neuerscheinungen im Sachbuchbereich, die dieses Empfinden treffend beschreiben, sind u.a. Ciani-Sophia Hoeders Buch „Wut und Böse“, Ann-Kristin Tlustys „Süß“ und Franziska Schutzbachs Titel „Die Erschöpfung der Frauen“. Ein weiteres gesellschaftliches Thema stand im Fokus des Diskurses, und zwar die kapitalistische Krise, die zum großen Teil auch als Resultat der Coronakrise gilt. Darüber hinaus werfen die Autorinnen Silke van Dyk und Tine Haubner in ihrem Buch „Community-Kapitalismus“ einen kritischen Blick auf eine besorgniserregende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: Freiwillige unbezahlte Arbeit, z.B. in Krisensituationen wie der Flutkatastrophe in diesem Sommer, werde dazu genutzt, um Lücken der staatlichen Versorgung zu schließen.

Das Gastland Kanada – mit der Natur verbunden
Das Gastland Kanada präsentierte sowohl im Ehrengast-Pavillon als auch parallel online unter dem prägnanten Motto „Singular Plurality“ seine vielfältige kulturelle Identität. Während in den übrigen Messehallen ein konstantes Stimmengewirr herrschte, es mit der Zeit stickig unter der Maske wurde und das Entlangschlendern in den Gängen anstrengend wurde (vor allem, wenn man sich an der gefühlt kilometerlangen Warteschlange am Lyx-Stand vorbeiquetschen musste), weil man das Menschengedränge gar nicht mehr gewöhnt war, überkam einen ein beruhigendes Gefühl, als man die kanadische Ausstellung betrat. Am Eingang befand sich ein nachgebildetes Gebirge, umhüllt von einer marmorartigen Oberfläche. Folgte man den Wegen, traf man auf ein wellenartiges Gebilde, das dem Himmel ähnelte und eines, das Pflanzenstrukturen glich, und weiter kam man an einen Fluss, in dem Buchstaben flossen. Aus den Elementen der Natur entspringt die Sprache. Mit dieser imposanten, wellengeformten Naturinstallation wurde der instinktive Wunsch des Menschen aufgegriffen, sich wieder auf die Ursprünge zurückzubesinnen. 

Connections im Selfpublishing knüpfen – persönliche Eindrücke
Für mich persönlich war die Frankfurter Buchmesse – auch wenn sie kleiner war als sonst – in diesem Jahr ein besonderes Ereignis. Nicht nur deshalb, weil es die erste Messe seit längerer Zeit war, sondern auch, weil meine beiden Selfpublishing-Bücher ausgestellt wurden. Die Bücher in den Regalen stehen zu sehen, war für mich ein sehr emotionaler Moment, denn davon hatte ich, seitdem ich in meiner Schulzeit das erste Mal zusammen mit meinem Vater auf der Buchmesse war, geträumt. Auf meiner ersten Messe damals habe ich eine tief verwurzelte Bindung zu den Büchern gespürt und die Literaturschaffenden bewundert. Ab diesem Moment war mir klar: Ich will auch ein Teil dessen sein – nur wie?
Damals waren mir die meisten Verlage, Autoren und Bücher noch fremd. Im Laufe der Jahre hat sich mein literarischer Horizont erweitert und zugleich hat sich auch der Buchmarkt an sich weiterentwickelt. Was früher erst im Entstehungsprozess war, hat sich heute inzwischen etabliert: die Möglichkeit des Selfpublishing. Wenn man ein Buch im Selfpublishing herausbringt, ist es von größter Wichtigkeit, Kontakte zu knüpfen, sich mit anderen zu vernetzen – aber wie?
Gerade durch das strenge Hygiene-Konzept wurde es den Autoren erschwert, sich zu connecten, denn Gruppenbildungen an den Ständen waren ausdrücklich nicht erwünscht. Außerdem ist es nicht so wie bei Verlagsautoren, die von vielen erkannt werden. Es bringt also wenig, wenn man so etwas sagt wie „Hallo, hier bin ich.“ Und so habe ich mich an den Stand des Selfpublishing-Verbandes gestellt und gewartet, in der Hoffnung, dass mich jemand anspricht. Und tatsächlich! Eine Frau hat mich unter ihrer Maske freundlich angelächelt, ist auf mich zugekommen und hat das Gespräch zu mir gesucht. Wir haben uns mit Mimik und Gestik verbunden. Danach war das Eis gebrochen. Ein Mann, der beobachtet hatte, dass ich mein Buch dort ausgestellt habe, fragte mich, wie das so abläuft mit dem Selfpublishing. Ich erzählte ihm meine bisherigen Erfahrungen. 

Nach der Messe war ich erschöpft, aber zugleich zufrieden. Und ich dachte: Verbindung ist doch möglich. Sie ist der Anfang von etwas Neuem.