Rache – am besten noch vor Ultimo — Eine Kolumne von Klaus Commer

Rache – am besten noch vor Ultimo

Von Klaus Commer*

Der Traum kommt mir häßlich vor. Aber er grinst mich an und will sich nicht vertreiben lassen. Klar, Weihnachten ist ein Fest der Versöhnung. Und vor dem Neujahrsmorgen schwimme ich auf einer Welle bester Vorsätze, bis der Bösewicht in mir wieder festen Boden unter den Hufen hat. Aber ist diese Zeit zwischen den Jahren nicht die optimale Gelegenheit, noch die eine oder andere Rechnung zu begleichen? Rache ist nun mal süß, aufregender noch, bittersüß. Da steht noch in der Garage der Sack mit dem zusammen gefegten Laub vom Baum in Nachbars Garten. Der wollte ihn abholen, entsorgen und hat sich nicht blicken lassen. Die Nächte sind jetzt lang und wenn er in ihrem Schatten die Christmette besucht, könnte ich doch mal das alte Loch hinten im Zaun nutzen und auf seiner Terrasse das welke Herbst-Lametta verstreuen.

Auge um Auge. Zahn um Zahn. Abfall um Abfall, so ähnlich steht es doch im Alten Testament. Und sieht die Scharia nicht vor, dem Dieb die Hand zu amputieren? Meine garstigen Gedanken sind nicht mehr einzufangen. Ist das Rache pur? Wie war das mit der Blutrache? Gibt es am Ende der Rache einen kompletten Fahrplan von Rachefeldzügen?
Ich beschließe, meinem Gelüst auf den Zahn zu fühlen. Der jüdische Wanderprediger Jeschuah von Nazareth, dessen Geburtsfest im Stall bei Bethlehem wieder ansteht, hat das mit den wechselseitigen Abschlachten später ganz anders als “die Alten” verstanden: Als Ausstieg aus jeder Gewalt und Vergeltung empfiehlt er Gelassenheit und Mut: Dem Schläger gewaltfrei die zweite Backe hinhalten.

Alte Rechtswissenschaft und moderne Bibelkunde sind sich einig: Wo ausgeschlagene Augen, Zähne oder gar Lebenslichter aufgewogen werden sollen, geht es um das Talionsprinzip: Gefordert ist ein Gleichgewicht der erforderlichen Wiedergutmachung! “Mein ist die Rache, spricht der Herr,” sagen religiöse Menschen. Gerechte Strafzumessung, sagt die Demokratie, ist Sache der Justiz.

In der Weihnachtsnacht werde ich den Sack mit dem Laub aus Nachbars Garten hübsch zugebunden mit roter Schleife und Grußkarte in dessen Garten stellen. “Du wolltest das in deine braune Tonne kloppen. Danke und Frohes Fest!”

*Klaus Commer hat kath. Theologie studiert, danach aber lange Zeit als Pressesprecher der damaligen Pädagogischen Hochschule Ruhr gearbeitet, später nach der Fusion der PH Ruhr mit der Uni Dortmund in gleicher Funktion an der Universität Dortmund. Er hat sich damals als Sprachrohr aller Gruppen der Hochschule verstanden, sehr zum Ärger einiger konservativer Hochschullehrer. Denn er war politisch links orientiert und wäre gerne praktizierender Kommunist gewesen – nicht einer Marke Stalin oder Ulbricht, sondern eher der Marke Fidel Castro.
Trotz seines fast biblischen Alters trägt er immer einen Sack voller Ideen mit sich herum und kann sie, wenn es gut läuft, in exzellente Texte und Taten umsetzen.
Den LeserInnen von MENGEDE:InTakt! ist er im letzten Jahr durch die Kolumne bekannt geworden: „Die Zahl des Monats“ (K.N.)
Fotos: Archiv MIT