Jetzt rollen die Panzer – Ein Kolumne von Anetta Kahane

„Dieser Krieg hat nichts mit Himmelsrichtungen zu tun, sondern mit Demokratie“

Von Anetta Kahane – Amadeu Antonio Stiftung

Der Überfall Russlands auf die Ukraine zeigt uns auf entsetzliche Weise, wie autoritäre Machtbesessenheit, Chauvinismus und Desinformation zu realen Kriegen führen können. Cyber-War, Info-Krieger, Hass und Lügen sind seit langem Putins Waffen, um die Demokratie zu destabilisieren. Jetzt greift er die Ukraine an. Nicht etwa, um sie zu „entnazifizieren“ wie Putin zynisch behauptet, sondern im Gegenteil, um die Ukraine wieder zu einem Satelliten zu machen, ohne freie Wahlen, freie Medien und freie Entscheidungen, wie man lieben und leben will. Dieser Krieg hat nichts mit Himmelsrichtungen zu tun – Ost oder West – sondern mit den Grundsätzen der liberalen Demokratie.

Das ist es, was die Info- und Cyberkrieger hier, die Rechtsextremen, die Hasstrolle, die enthemmten Rassisten und Antisemiten wollen. Und zwar überall. Seit Jahren arbeitet Putin auf der virtuellen Ebene daran. Jetzt rollen die Panzer.

Die Demokratietrolle und Nazis gibt es überall. Hier in Deutschland, aber eben auch in Russland, der Ukraine, in Frankreich oder Ungarn.  Die Frage ist also nicht, ob ein Land dieses Problem hat oder nicht, sondern wie es damit umgeht. Ist es selbst autoritär und antiliberal? Benutzt es die Methoden oder fördert sie sogar – auch um Oppositionelle zu bedrohen? Oder ist es demokratisch und versucht, mal recht, mal schlecht dagegen anzutreten? Russland benutzt und fördert den Desinformationskrieg und damit auch seine Nazis. Das tut die Ukraine nicht. Dort sind Nazis politische Gegner, keine Handlanger, das ist der wesentliche Unterschied. In jedem Land. Auch in Deutschland.

Es liegt auf der Hand, dass die autoritären Truppen, die gerade noch gegen Corona-Maßnahmen protestierten, im Kriege gegen die Ukraine ein neues Thema gefunden haben. Schon bei Pegida war die Russlandliebe der Völkischen deutlich zu sehen. Es gibt da etwas an deren Bild von Russland, das an einer alten, deutschen Sehnsucht rührt. Das riesige Reich, die Schicksalhaftigkeit, die russische Seele, eine ungebrochene Identität, zu der die Duldsamkeit und Leidensfähigkeit des einfachen Volkes gehört. Romantik, Ursprünglichkeit und auch das Erbarmungslose der jeweiligen Herrschaft gehören zu dieser Projektion. Deutschland hat sich emotional und politisch immer auch nach Osten orientiert.

Zeitweise mehr als nach Westen mit dessen komplizierter Demokratie und deren anstrengenden Emanzipationsbewegungen. Ganz zu schweigen von den USA, die wie das genaue Gegenteil dieser deutschen Sehnsucht erscheinen. Russlandliebe und Antiamerikanismus gehören einfach zusammen. Diese Töne werden wir verstärkt hören. Der Hass auf die NATO, den Westen und eine vergangene Illusion von der glücklichen, sowjetischen Völkerfamilie andererseits, kommt aus den Kreisen der Friedensbewegten. Der deutsche Pazifismus zeugt aber nach meiner Meinung gerade im Fall der Ukraine auch von Empathiemangel. Die Formel „Nie wieder Krieg“ bedeutet eigentlich „Nie wieder Angriffskrieg“. Doch das lassen viele, die der Ukraine nicht beistehen wollen, einfach weg. Ein Land wie Deutschland, das nie angegriffen wurde, sondern nur angegriffen hat, sollte an der Stelle still sein.

Eine Bemerkung zum Schluss. Rassismus ist allgegenwärtig, auch in diesem Konflikt. Schwarze Menschen werden an der Flucht gehindert. In Talkshows reden die Leute über gute Geflüchtete (weiße, christliche Ukrainer) und schlechte Geflüchtete (Schwarze, teils muslimische Menschen aus Syrien oder Afrika), den Ukrainern ermöglicht man Einreise und Transport, was bei Geflüchteten aus Syrien so nicht möglich war. Das zu hören macht bitter. Dennoch hat das nichts mit der Situation und den Menschen zu tun, denen wir jetzt helfen müssen. Umgekehrter Rassismus ist unangemessen. Und noch etwas: Die Welle der Solidarität mit der Ukraine ist großartig, dennoch spült sie auch Dinge mit hoch, die inakzeptabel sind. „Die Russen“ sind nicht der Feind, schon gar nicht der von nebenan. Ihnen sollten wir keine Bekenntnisse für oder gegen Putin abzwingen, wenn es nicht relevant ist. Schlimm genug, dass dies immer von Jüdinnen:Juden und Israelis verlangt wird. Das muss hier nicht auch noch sein.

Wir wissen doch genau, worum es geht. Demokratische Kultur zu leben, bedeutet auch, genau hinzuschauen, hilfsbereit zu sein und eben nicht hasserfüllt auf andere herabzuschauen, nur weil sie nicht als Personen wahrgenommen werden, sondern als Projektion dienen.

Die Amadeu Antonio Stiftung wird sich deshalb weiter um Menschen kümmern und gegen Hass vorgehen.

Die Amadeu Antonio Stiftung
Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.
Dafür unterstützt sie Initiativen und Projekte, die sich kontinuierlich für eine demokratische Kultur engagieren und für den Schutz von Minderheiten eintreten. Die Stiftung fördert unkompliziert und verteilt das Geld gezielt dort, wo es am dringendsten benötigt wird.
Die wichtigste Aufgabe der Amadeu Antonio Stiftung über eine finanzielle Unterstützung hinaus: Aufmerksamkeit für engagierte Menschen vor Ort zu schaffen und das Thema Rechtsextremismus dauerhaft auf die Tagesordnung zu bringen.
Der Namensgeber der Stiftung, Amadeu Antonio, wurde 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde aus rassistischen Gründen zu Tode geprügelt, weil er Schwarz war. 
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