Eine unbekannte Dame von 58 Jahren
Das Objekt des Monats April im Museum für Kunst und Kulturgeschichte ( MKK ) hat Dr. Ulrike Gärtner ausgesucht und beschrieben. Als Provenienzforscherin beschäftigt sie sich mit der Geschichte der Herkunft von Kunstobjekten – und ist auch diesem Gemälde auf die Spur gegangen. Es ist das 1550 entstandene Bildnis einer Dame im Alter von 58 Jahren, im MKK zu finden im ersten Obergeschoss in der Abteilung Christliche Kunst.
Die unbekannte Dame steht aufrecht und nach links gewandt vor einem monochromen Hintergrund. Sie trägt ein schwarzes Gewand mit Pelz an den Armen. Ihre Haare sind von einer weißen Leinenhaube mit langen Zipfeln bedeckt. Die Hände hält sie übereinandergeschlagen. Als einziger Schmuck steckt an ihrem rechten Zeigefinger ein goldener Edelsteinring. Das Licht kommt von links und wirft rechts einen dunklen Schatten. Über ihr prangt der Schriftzug „Aetatis 58 Anno 1550“ – im 58. Lebensjahr, im Jahre 1550. Ein Hinweis auf den Maler findet sich nicht.
Der deutsche Kunsthistoriker Alfred Stange (1894-1968) urteilte im Februar 1960, das Bild sei eine vorzügliche und völlig einwandfrei sichere Arbeit von Jan Cornelisz Vermeyen, der gegen 1500 in Beverwijk geboren und 1559 in Brüssel gestorben ist. Die kraftvolle Form, die klare Plastik, die Lichtführung, auch der Schlagschatten seien charakteristisch für dessen Kunst.
Drei Jahre später wurde das Gemälde aus einer Kölner Kunsthandlung für das MKK erworben. Die Rechnung allerdings bezahlte das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum – denn es erhielt im Tausch ein Porträt des Herzogs Adolf I. von Schleswig-Holstein-Gottorf, das sich bis dato in Dortmund befand. Ein guter Tausch für beide Seiten: Das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum erhielt das älteste Bildnis des ersten Regenten der Gottorfschen Linie auf schleswig-holsteinischen Gebieten, und Dortmund das Gemälde eines sehr bedeutenden niederländischen Malers – so nahm man zumindest an.
Jan Cornelisz Vermeyens Hauptwirkungsorte waren vor allem Flandern und Spanien. 1529 zum Hofmaler bei Margarete von Österreich ernannt, porträtierte er den europäischen Hochadel. Es entstanden Bildnisse von Karl V., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, sowie von dessen Gattin. Er malte Ferdinand I. und Maria, König und Königin von Ungarn und Böhmen und lieferte zudem Vorlagen für Goblins und Tapeten. Nachdem er Karl V. auf seinem Feldzug nach Tunis begleitet hatte, entstanden Kartons mit der Darstellung der Schlachten. Auch soll er Kirchen- und Städtebilder gefertigt haben.
Seine Biografie lässt Zweifel aufkommen, ob es sich bei dem Porträt der 58-Jährigen tatsächlich um ein Werk Vermeyens handelt. Auch ein Vergleich der Malweisen unterstreicht den Verdacht, dass die Zuschreibung falsch ist. Denn Vermeyens Porträts sind idealisiert und ihre Farben intensiver und kontrastreicher. Er konnte zudem Handpartien durch Verkürzungen malerisch sehr lebendig darstellen.
Das Werk ist vielmehr ein typisches Beispiel für eine Vielzahl realistischer Damenporträts, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden entstanden. Sie zeigen nahezu stereotyp dunkel gekleidete Frauen mit weißer Haube und übereinander geschlagenen Händen, die sich nach links wenden vor einfarbigem Hintergrund. Mitunter findet sich sogar ein starker Schattenwurf. Die Maler hatten sich die Mittelschicht des ökonomisch, gesellschaftlich und kulturell stark prosperierenden Landes als neuen Kundenkreis erschlossen. Wohlhabende Händler, Handwerker, Beamten und Bauern wollten ihren Status ebenso zur Schau stellen wie der Hochadel. Das Gemälde spiegelt dieses bürgerliche Kunstbedürfnis – sein Maler muss aus heutiger Sicht als unbekannt gelten.
Quelle: Text MKK, Foto unten: Joana Maibach; Foto oben: Archiv MIT