Buchempfehlung: Dirk Husemann – Die Beute

Autor Dirk Husemann

Dirk Husemann: Die Beute

Mario Lars Bücher

Ihr geheimnisvolles Lächeln hat sie nie verloren. Auch nicht, als sie in einer abenteuerlichen Flucht während des Zweiten Weltkrieges vor den deutschen Besatzern in Sicherheit gebracht werden musste. Die Rede ist von der „Mona Lisa“, der Leonardo da Vinci eben dieses Lächeln auf die Lippen gezaubert hat. Der Autor Dirk Husemann, Wissenschaftsjournalist, Archäologe und studierter Geschichtskenner, hat in einer genialen Verknüpfung aus geschichtlich dokumentierten Tatsachen und einer fiktionalen Handlung einen Roman gemacht, der in vielerlei Hinsicht lesenswert ist.

Tatsachen sind: Um die bedeutendsten Kunstwerke des Louvre vor Bombardierung, mutwilliger Zerstörung und Plünderung mit Verschleppung nach Berlin oder in Görings Villa zu schützen, wurden sie vor Kriegsbeginn und kurz danach in Sicherheit gebracht, versteckt in den Schlössern der Loire und in den Klöstern der Region. Wobei das Schloss Chambord wegen seiner Dimension zunächst viele Kunstwerke aufnahm und dann als eine Art „Verschiebebahnhof“ für die weitere Flucht bis hin zum Süden Frankreichs diente.
Bereits nach der Machtergreifung Hitlers und nach der weiteren Entwicklung verstärkt hatten die Franzosen Pläne entwickelt, wie sie die über 4000 Kunstwerke des Louvre, darunter die Mona Lisa und die Venus von Milo, aber auch die Monumentalwerke das Floß der Medusa und die Krönung Napoleons in Sicherheit bringen konnten. Maßgeblich beteiligt an diesen Evakuierungsplänen war Henri Verne, der damalige Direktor des Louvre, der auch einen Platz in dem Husemann Roman hat. Neben ihm treten noch Alfred von Bollard-Bockelberg, der Militärbefehlshaber der Wehrmacht in Paris, der Architekt des Reiches Albert Speer und Reichsmarschall Hermann Göring als damals real existierende Personen in dem Roman in Erscheinung. 

Die meisten der handelnden Personen, Colonel Pierre Delort und die übrigen Retter der Louvre Kunstwerke, die Dorfbewohner von Cléry-Sainte-Anne, die spanischen Flüchtlinge in diesem Dorf, der Schlossherr von Chambord und der Jäger nach der Kunst, Obersturmbannführer Curt Hardefust sind von Husemann geschaffene Romanfiguren. Durch das Vermögen des Autors, viele Facetten ihres Charakters zu zeigen, selbst den Sympathieträgern der Handlung menschliche Schwächen und Fehler zuzugestehen, lassen sie lebendig erscheinen, als hätten sie tatsächlich gelebt. Pierre Delort, Kunstliebhaber und Patriot und bis fast zum Ende der Geschichte Beschützer der Mona Lisa, vereint in sich wohl Charakterzüge mehrerer Kunstretter der damaligen Zeit. Schlossherr Marquis de Valantin verkörpert die Blasiertheit des Adels, ist verbohrt und auf eigene Vorteile bedacht, ein Ekel, der auch den Verrat nicht scheut und trotzdem hat man stellenweise Mitleid mit ihm. Der junge spanische Flüchtling Raoul macht alle Irrungen und Wirrungen am Ende der pubertären Phase durch ebenso wie die von ihm Angebetete Josette. Pfarrer Gallimard ist tief in seiner Glaubenstradition verwurzelt, bleibt dabei aber gütig und menschlich ohne klerikale Verbohrtheit. Automechanikerin Floride kaschiert ihre Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit hinter einem burschikosen Auftreten. Obersturmbannführer Hardefust ist der SS-Mann, der vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen. Ein Mann, der die französische Lebensart liebt und die Franzosen als Froschfresser verachtet.    

Apropos Grausamkeiten der Nazis: Husemann schildert sie in Details und beschreibt ihre Spuren bei den geschundenen Menschen. Hier werden empfindliche Leserinnen und Leser innehalten müssen, vor allem, wenn ihnen bewusst wird, dass diese im Gegensatz zu einem Krimi nicht erfunden, sondern tatsächlich geschehen sind. Einfühlsam beschreibt der Autor drei sich entwickelnden Liebesbeziehungen, die der Jugendlichen Josette und Raoul, die mit einem Missverständnis und Abneigung beginnende von Floride und Pierre und die ambivalente von Curt und Ursula. Für die ersten beiden bangt man immer wieder um das Happy-End. Erstaunlich ist auch, dass es dem Autor gelingt, die Spannung über 490 Seiten aufrecht zu erhalten. Wobei man doch nur bei Wikipedia nachzuschauen braucht, um zu wissen, dass die Louvre Kunst gerettet wurde und die Mona Lisa immer noch trotz der vielen Besucher von sich hin lächelt. Trotzdem gerät man schon fast in Panik, wenn ein Starkregen für Wassermassen im Schloss und damit eine Bedrohung der Kunstwerke sorgt, oder wenn die Verstecke entdeckt zu werden drohen. Von Anfang bis Ende merkt man, dass der Autor eine akribische Recherchearbeit betrieben hat, die sein Werk weit von der normalen Unterhaltungsliteratur abhebt.

Das 493 Seiten starke Buch ist unter der ISBN 978-3-404-18489-7 im Bastei Lübbe Verlag erschienen. Es kostet 14,90 € und ist in der Buchhandlung am Amtshaus in Mengede vorrätig bzw. kann dort i.d.R. innerhalb von 24 Stunden beschafft werden.