Überwältigende Hilfsbereitschaft in Polen
Ein Bericht über die Hilfsbereitschaft unserer polnischen Nachbarn und anderswo
von Eva Latterner
Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar sind fast 3 Millionen Menschen vor dem Krieg über die Grenze nach Polen geflohen, berichtet die Tagesschau am 19. April.
Kaum bekannt ist, wie groß die Hilfsbereitschaft im Nachbarland Deutschlands und der Ukraine seitdem Tag für Tag ist. Vom ersten Tag des Krieges an organisieren sich Menschen im ganzen Land und leisten sofortige, komplett unbürokratische Hilfe.
Beispielhaft für den große Einsatz unserer polnischen Nachbarn sind die Berichte zweier engagierter Frauen, die familiäre und freundschaftliche Verbindungen zu Menschen in unserem Stadtbezirk haben. Beide schildern unabhängig voneinander die tiefe Betroffenheit der Polen über den russischen Einmarsch ins Nachbarland, der Erinnerungen an den deutschen Einmarsch 1939 ins eigene Land wieder aufleben lässt.
„Ich finde kaum die Worte, um zu beschreiben, wie wir durch die Ereignisse in der Ukraine alle erschüttert sind. Als wären die Tage und Tragödien, über die wir von unseren Großeltern und Eltern gehört haben, nach 80 Jahren wieder gekommen. Wir leben nicht mehr in dem sicheren Europa, in dem wir geboren wurden“, beginnt Lidia Szyburska, eine Freundin der Familie des Mengeder Zahnarztes Dr. Ingo Herminghaus, ihren Bericht. Sie ist Deutschlehrerin am Nikolaus-Kopernikus- Lyzeum in Lodz; mit Ausbruch des Krieges haben sich Schulleitung, Lehrer, Eltern und Schüler sofort zusammengeschlossen, um direkte Hilfe zu leisten.
Lidia Szyburska erzählt, dass am 26. Februar Freunde und Bekannte spontan mit ihren Autos an die ukrainische Grenze gefahren seien und Hilfe angeboten haben. Zunächst war alles noch ohne Plan, „einfach aus Nächstenliebe“, doch innerhalb von 24 Stunden ist eine Gruppe auf Messenger entstanden, nach wenigen Tagen hat sich eine Gruppe auf Facebook gebildet, sodass die Hilfe immer besser funktionierte. Die Facebook- Gruppe zählt mittlerweile 1005 Personen, die sofort reagieren, wenn Hilfe gebraucht wird. Knapp 3000 Personen und auch 63 Haustiere wurden so im Laufe der Wochen über die Grenze transportiert. In Lodz selber werden zurzeit 310 Geflüchtete von dem engagierten Team, das sich rund um das Lyzeum gebildet hat, betreut. Die Menschen werden in privaten Häusern untergebracht und verpflegt; es wird Polnischunterricht organisiert, juristische und psychologische Hilfe geleistet. Und natürlich werden weiterhin Geld und Sachspenden gesammelt und an Bedürftige verteilt, beziehungsweise weiter nach Lwiw transportiert. „Es scheint ein Marathon zu sein.“
Ein Marathon? Diese Erfahrung bestätigt Anna Zochniak aus Breslau, die wie Lidia Szyburska seit Beginn des Krieges freiwillig und ehrenamtlich im Einsatz ist. Sie berichtet, dass aus vielen Ländern Europas Sachspenden über Polen in die Ukraine geschickt werden; aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz kommen die Transporte, bei deren Entladung und Sortierung sie hilft. Hierbei helfen auch polnische Unternehmen, die kostenlos Lagerhallen zur Verfügung stellen, um zu gewährleisten, dass die Spenden schnell und sicher in die Flüchtlingsunterkünfte und in die Ukraine weitergeleitet werden können.
Besonders bemerkt Anna, dass es überall im Land viele Gesten der Mitmenschlichkeit und der Herzlichkeit gibt. So haben zwei Unternehmer aus Breslau den Transport ukrainischer Waisenkinder organisiert, nicht ohne vorher entsprechende Gebäude als Waisenhäuser einzurichten; in Breslau haben auf diese Weise 600 bis 700 Kinder ein neues Zuhause gefunden.
Beide Frauen, Anna Zochniak und Lidia Szyburska, betonen, dass die Menschen die Hilfe freiwillig, aus eigenem Antrieb und „ohne Medienrummel“ organisieren. Die Situation zeige deutlich, „dass wir Europäer alles Mögliche tun sollen, um den Leuten weiter zu helfen.“ In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Familie Herminghaus ihre Freundin Lidia in Lodz mit einer großzügigen Spende unterstützt hat.
Anna Zochniak, die Schwester meiner Nachbarin Beate und liebenswerte Gastgeberin in Breslau stellt die Überlegung an, dass „wenn Putin im 21. Jahrhundert einen solchen Schritt gewagt hat, alles möglich sein kann. Es kann sein, dass wir bald auf andere angewiesen sein werden und von anderen Hilfe brauchen werden. Scheinbar nicht sehr real, aber……“