Lesung und Jazz in der Buchhandlung „Am Amtshaus“

Kombination aus Lesung und Musik hat die Erwartungen
der Gäste voll erfüllt

Wir haben nicht zu viel versprochen. In unserer Ankündigung der Veranstaltung am 27. Mai in der Buchhandlung am Amtshaus versprachen wir den Gästen einen besonderen Kunstgenuss in der Kombination aus Lesung und Musik. Diese Erwartungen wurden am Freitagabend voll erfüllt. Dafür sorgten die in Mengede heimisch geworden Musikerin Dorothee Pilavas mit Saxophon und Bassklarinette und der Hamburger Uli Bühler am Bass.

Uli Bühler, Dorothee Pilavas und Andreas Höll (v.l.) präsentierten in der Buchhandlung am Amtshaus Jazz Standards vom Feinsten. Foto (c) Diethelm Textoris

Und der in Leipzig lebende Andreas Höll, der gleich in Mehrfachfunktion auftrat: als Autor des Buches, aus dem er als Vorleser zitierte, als Pianist der Musikformation und im Zugabenteil auch noch als Komponist, Texter und Sänger gefühlvoller Jazzballaden.
Die drei Musikanten kennen sich seit ihrer Studienzeit in Tübingen vor über 30 Jahren, treffen sich seitdem immer wieder in unregelmäßigen Abständen, um sich auszutauschen und um Musik zu machen.

Der von Andreas Höll geschriebene Roman spielt im Berlin der frühen 30-er Jahre, und die von den Solisten ausgesuchten Jazz Standards unterstrichen mit ihren Arrangements das Flair jener Jahre, obwohl sie nicht unmittelbar aus jener Zeit stammen.

Ausdrucksstark als Pianist, Sänger und Vorleser: Andreas Höll. Foto (c) Diethelm Textoris

Als Intro gab es die „Autumn Leaves“ von Joseph Kosma, ursprünglich ein Film-Chanson mit dem Titel „Les Feuilles Mortes“. In spannenden Lesesequenzen gespickt mit Erläuterungen stellte Höll dann sein Buch vor, das inhaltlich ein historischer Roman ist, in dem damals real existierende Personen auftreten, in dem auf tatsächliche Gegebenheiten und Ereignisse eingegangen wird. Den britischen Korrespondenten Segal Dolphin als Protagonisten des Romans hat Höll an den Journalisten Sefton Delmer angelehnt, der als erster ausländischer Journalist damals Adolf Hitler vor dessen Machtübernahme interviewte. Die Fotografin Dodo Lieberman ist eine Kreation von Höll und hat kein reales Vorbild, bei ihr fließen viele Facetten zusammen.
Aus den vom Autor zitierten Textpassagen erkannte man, wie vortrefflich ihm die Erschaffung und Beschreibung dieser geheimnisvollen Person, die ihr eignes Leben erfindet, gelungen ist. Die Liebesgeschichte zwischen diesen beiden Protagonisten schreibt und beschreibt er als „Amour fou“, also als „verrückte Liebesgeschichte“.   

Dorothee Pilavas tauschte ihr Saxophon gegen die Bassklarinette, um möglichst authentisch Sidney Bechets „Petite Fleur“ wiederzugeben.Foto (c) Diethelm Textoris

Als Personen der Zeitgeschichte treten u.a. der Maler Max Liebermann – bereits als alter Mann und der schwarze Schauspieler Louis Brody auf.  Brody, der in der deutschen Kolonie in Kamerun geboren wurde, war in Berlin ein gefragter Star, der selbst noch im deutschen Film eingesetzt wurde, als Goebbels die Kultur beherrschte. Die Situationen, denen diese wirklich existierenden Personen im Roman ausgesetzt sind und Teile ihrer Portraits entspringen der Fantasie des Autors, doch das Bemerkenswerte daran ist, dass alles tatsächlich hätte so sein können. Aus der Lesung ging hervor, dass neben der Liebesgeschichte und der Künstlerinnengeschichte der Roman noch eine dritte Dimension beinhaltet. Das ist die Ambivalenz der deutschen Kolonialgeschichte, in der grausame Verbrechen wie der Völkermord an den Herero geschahen, auf der anderen Seite aber bis heute in den früheren Kolonien sich noch kulturelle und kulturgeschichtliche Auswirkungen zeigen, die sich z.B. in der andauernden Präsenz alter deutscher Namen bei den Einheimischen wiederfinden.

So ist der zweite Schauplatz der Romans auch der Südwesten Afrikas, wo die Spuren der deutschen Kolonialzeit bis heute noch am deutlichsten sichtbar sind. Hier endet auch der Roman mit einem finalen Showdown. Die vom Autor vorgetragenen Auszüge boten genau das richtige Maß an Spannung, ohne dabei zu viel zu verraten. Sie wirkten wie kleine Appetithäppchen, die Hunger auf mehr machten.

Die zwischendurch eingestreuten Musikbeträge rundeten das Programm ab. Da gab es ein Wiederhören mit dem „Black Orpheus“, dem Titellied aus dem Film Orfeu Negro, das die klassische tragische Liebesgeschichte auf dem Hintergrund des Karneval in Rio erzählt. Für Petite Fleur von Sidney Bechet, das vor allem durch den kürzlich verstorbenen Chris Barber bekannt wurde, legte Dorothee  Pilavas ihr Saxophon zur Seite, um das Lied im authentischen Klarinettenklang erklingen zu lassen.

Eine beachtliche Anzahl der Gäste war neugierig geworden. Sie kauften das Buch als Erinnerung an den Abend. Manche sogar mehrfach als Geschenk mit persönlicher Widmung des Autors. Der Roman ist in der Buchhandlung am Amtshaus vorrätig.

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