Coole Kugel: Stapelbares Speiseservice ist das Objekt des Monats Juli im MKK
Das Objekt des Monats Juli im Museum für Kunst und Kulturgeschichte hat Dr. Nassrin Sadeghi ausgesucht und beschrieben. Es ist das Speiseservice „La Boule“ nach einem Entwurf von Helen von Boch und Federigo Fabbrini aus dem Jahr 1971, im MKK zu finden in der Design-Abteilung im dritten Obergeschoss. Dort kann es eintrittsfrei besichtigt werden.
„Die Kugel, die es in sich hat“ – mit diesem Slogan bewirbt die Firma Villeroy & Boch 1972 in Hannover ein Produkt ihrer neu eingeführten Avantgarde-Reihe. Dahinter verbirgt sich ein 19-teiliges Speiseservice, entwickelt für ein Menü für vier Personen.
Das Service besteht aus vier flachen Tellern, vier tiefen Tellern, vier Kompottschälchen, einer Schüssel mit Deckel, einer Servierplatte und einer Gemüse- und Salatschüssel. Alle Teile sind ineinander stapelbar und ergeben zusammengesetzt eine Kugel mit einem Durchmesser von ca. 27 cm, die den Namen „La Boule“ begründet.
Das Service wird in zwei Farbzusammenstellungen hergestellt: mit einer Glasur in Orange, Gelb und Grün und einer Variante in Weiß und Braun. Entworfen hat es 1971 die Designerin Helen von Boch mit dem italienischen Keramiker Federigo Fabbrini. Helen von Boch stammt aus der Porzellandynastie der Bochs und ist viele Jahre in der Abteilung Tafelschmuck für die Firma Villeroy & Boch tätig.
Die Firma Villeroy & Boch ist 1748 von François Boch als Töpferwerkstatt in Audun-le-Tiche gegründet worden und produziert erfolgreich Gebrauchsgeschirr aus Steingut. Im Laufe der Firmengeschichte hat sie ihr Produktangebot stetig ausgebaut. Begonnen hat zunächst alles mit Geschirr und Kristall, im 19. Jahrhundert kommen die Fliesen und Baumkeramik hinzu und später die Sanitätskeramik bzw. Badausstattung.
In den 1960er-Jahren, als die Grundbedürfnisse der Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland zunehmend befriedigt sind und an Komfort gedacht werden kann, wendet sich Villeroy & Boch der Neuerfindung seiner einzelnen Produktionsbereiche zu. Im Bereich Badezimmer definiert die Firma mit Hilfe namhafter Designer die „Nasszelle“ als vollwertigen Wohnraum neu. Im Bereich „Geschirr und Kristall“ zeugt die Umbenennung der Sparte in „Tischkultur“ von einem Paradigmenwechsel. Dieser zeigt sich unter anderem darin, dass im Handel die Präsentation von Geschirr, Gläsern und Besteck nicht mehr in Vitrinen stattfindet, sondern die Käufer*innen animiert, sich mit den Dingen zu befassen – im Wortsinn: Sie in die Hand zu nehmen. Dem Wandel in beiden Produktionsbereichen liegt ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde: Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen das Produkt über sich selbst hinausweist und in denen die Käufer*innen ihr ganz persönliches Lebensgefühl konkretisieren können.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Grundidee des Kugelservice zu verstehen: Die Einzelteile ordnen sich der Gesamtform unter. Diese radikale ästhetische Aussage kompensiert, dass der Gebrauchswert nicht im Vordergrund steht: Praktisch ist es nicht ganz unkompliziert, die Reihenfolge festzustellen, in der die einzelnen Teile zusammengesteckt werden müssen. Damit ist das Service weniger für die tägliche Nutzung gedacht, als vielmehr als ein repräsentatives Wohnaccessoire, das den avantgardistischen Geschmack der Besitzer*in unterstreicht.
Die runde Form ist zugleich typisch für ihre Zeit: Innovationen in der Wissenschaft und Technik, insbesondere die Apollo-Flüge (1961-1972) und die Landung auf dem Mond (1968), inspirieren eine ganze Generation von Designer*innen, sich mit der Formsprache der Science-Fiction-Filme auseinanderzusetzen – dazu gehört alles Kugelförmige. Für das Service erhielt Helene von Boch 1972 den IF-Produkt-Design-Award.
Produktionstechnisch ist das Geschirr eine außergewöhnliche Leistung, denn die Maße jedes einzelnen Stücks müssen sehr exakt gearbeitet sein, damit sich die Kugel zusammensetzten lässt. Im damaligen Produktkatalog zu „La Boule“ ist ein Querschnitt der Kugel abgebildet, der erkennen lässt, wie ausgeklügelt die Formen der Einzelteile aufeinander abgestimmt sind, sodass sich nach außen eine perfekte Kugelform und zugleich die farbliche Akzentuierung ergibt.
Seit 2020 hat Villeroy & Boch „La Boule“ in einer modernen Variante für zwei Personen in verschiedenen Designs erneut in sein Produktangebot aufgenommen und bewirbt sowohl die Funktionalität („perfekt für kleine Wohnungen“) als auch die Ästhetik (ein „Blickfang in großen Räumen“).
„La Boule“ war zudem Vorbild für die Variante eines Picknick-Geschirrs, das ebenfalls von Helen von Boch für die Firma Villeroy & Boch 1973 entworfen wurde. „La Bomba“ ist aus Melamin gefertigt und mit ca. 25 cm nur unwesentlich kleiner. Für den Outdoor-Spaß wurde das Geschirr durch ein Besteck ergänzt und in einem Transportnetz angeboten.