Reste eines Kettenhemdes sind das Objekt des Monats September 2022 im MKK

  Schutz für einen archäologischen Schatz aus der Jüngeren Römischen Kaiserzeit

Das Objekt des Monats September im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) hat Philipp Sulzer, Kurator für Archäologie und Stadtgeschichte im MKK, ausgesucht und beschrieben. Es sind Fragmente eines Ringpanzerhemds aus der Jüngeren Römischen Kaiserzeit, die in Dortmund-Oespel gefunden wurden. Im MKK sind sie im Erdgeschoss direkt gegenüber der Kasse ausgestellt: Im „Blickwinkel“, der einsehbaren Restaurierungswerkstatt, liegen sie in einer Vitrine. Bei Interesse geben die dort arbeitenden Restauratorinnen gerne weitere Informationen.  Nachfolgend die Beschreibung von Phillip Sulzer:

Vor über anderthalb Jahrtausenden schützte dieses auf den ersten Blick unscheinbare Objekt einen Menschen in lebensgefährlichen Kämpfen. Heute braucht es selbst speziellen Schutz, um weiter die Zeiten überdauern zu können.
Die stark korrodierten Reste eines Ringpanzerhemds der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends nach Christus wurden bei Ausgrabungen einer germanischen Siedlung im heutigen Stadtteil Oespel gefunden. Die umgangssprachliche Bezeichnung „Kettenhemd“ benennt die Hauptmerkmale dieser Rüstungsform recht treffend: In einer scheinbar unendlichen Kette miteinander verbunden, formen eiserne Ringe einen hemdartigen Überwurf, der den Träger vor Schnitten und Stichen zu schützen vermochte.
Diese Art der Panzerung wurde im 1. Jahrtausend vor Christus nördlich der Alpen entwickelt, von der römischen Armee aufgegriffen, weit verbreitet und bestand auch nach der Antike in unterschiedlichen Varianten bis ins 16. Jahrhundert fort.
Leicht unterschätzt man heute den Materialwert und Arbeitsaufwand, den ein solcher Ringpanzer bedeutete. Im Vergleich zu den späteren Kettenpanzern des Hochmittelalters, welche den gesamten Körper bedecken konnten, erscheint die Lorica hamata der Römer, die von den Schultern bis etwa zur Mitte des Oberschenkels, seltener bis zum Knie reichte, eher leicht. Jedoch trug ein Legionär mit einem solchen Panzer bereits rund 10 Kilogramm Metall am Leib – in ca. 30.000 einzelnen Ringen.
Die Ringe wurden aus massivem Eisen hergestellt, welches zunächst zu Draht verarbeitet werden musste. War der Draht 1,2 bis 2 Millimeter dick, wurde er in engen Windungen um einen Stab mit einem Durchmesser von meist ca. 6 bis 10 Millimetern gewickelt. Entfernte man nun den Stab und schnitt die entstandene Drahtspirale mit einer Zange auf, erhielt man offene Ringe. Jeder einzelne Ring wurde mit jeweils vier weiteren Ringen verbunden, bevor man ihn durch Nieten oder Verschweißen verschloss. Diese Arbeit nahm für jedes einzelne Kettenhemd, selbst bei spezialisierter Produktion, viele Tage, oft Wochen in Anspruch.
Der Materialwert des qualitätvollen Eisens war ebenfalls beachtlich. Der Recyclingwert war bereits in der Antike so groß, dass die Wiederverwertung dieser Stücke bei nahezu einhundert Prozent gelegen haben wird. Es verwundert daher nicht, dass Archäologen nur sehr selten Reste solcher Schutzausrüstung finden. So war auch das im MKK ausgestellte Fundstück eigentlich zur Wiederverwertung vorgesehen: Es fand sich zusammen mit anderem „Altmetall“ an einem Ort, der vermutlich einem Schmied als Materialdepot diente.

Ringpanzerhemden schützten ihre Träger vor Schnitt- und Stichverletzungen, weniger vor den Auswirkungen wuchtiger Hiebe, da sie die Energie der Schläge nicht effektiv ableiten konnten. Diesen Nachteil glichen sie jedoch durch ihre enorme Flexibilität aus: Sie schränkten die Bewegungsfähigkeit des Trägers kaum ein. Das häufige Tragen und die ständige Bewegung schützten dabei diese Art der Panzerung vor dem Hauptnachteil eiserner Gegenstände – dem Verrosten. Auch ohne besondere Pflege sorgte der permanente Abrieb dafür, dass Rost nicht zum Problem wurde. Sicherlich wurden die teuren Panzer aber dennoch regelmäßig gereinigt und geölt.
Als dieses Panzerhemd nicht mehr genutzt wurde, führte die große Oberfläche des Drahtgeflechts recht schnell zu einer massiven Oxidation, das Material rostete untrennbar zu einem Klumpen zusammen. Über die Jahrhunderte im Boden wirkten weitere ungünstige Einflüsse ein, die auch heute noch, trotz sorgfältiger Ausgrabung und Restaurierung, zum weiteren Verfall dieses seltenen Fundes beitragen: Salze haben sich während der Bodenlagerung im Eisen angereichert. Diese reagieren mit dem Sauerstoff und der Feuchtigkeit der Raumluft, lösen immer weiter Metall an und kristallisieren bei langsamer Trocknung aus. Die so entstehenden Salzkristalle sprengen dann ganze Oberflächenpartien des korrodierenden Fundstücks ab – ein Vorgang der nicht komplett aufgehalten, nur stark verlangsamt werden kann.
Um unsere unscheinbaren, aber besonders wertvollen Ringpanzerfragmente vor dem Verfall zu bewahren, werden sie daher in einer hochmodernen, klimatisierten Vitrine aufbewahrt. Die relative Luftfeuchtigkeit ist darin auf 30 Prozent reduziert. Dies bremst die Reaktionen der eingelagerten Salze stark ein und schützt somit diese – damals wie heute – wertvolle Schutzausrüstung vor weiterem Verfall.

Quelle: Pressestelle der Stadt Dortmund; Fotos: Joana Maibach, MKK.