Shelly Kupferberg: Isidor
„Ein jüdisches Leben“, ein unglaublich wirkender Aufstieg aus den allerärmlichsten Verhältnissen Hintergaliziens zum promovierten Kommerzialrat, angekommen in den obersten Kreisen Wiens, bestens vernetzt, fabelhaft reich, allem Schönen zugetan und nach zwei kurzen gescheiterten Ehen offiziell mit einer Sängerin und Schauspielerin liiert.
Das Leben dieses Exzentrikers und begnadeten Selbst-Inszenierers Isidor, ihres Urgroßonkels, rekonstruiert die in Tel Aviv geborene und heute in Berlin lebende Journalistin Shelly Kupferberg aus Archivmaterial, Dokumenten der überbordenden Nazibürokratie, aus den wenigen verbliebenen Fotos und Briefen im Familienbesitz.
Als Familienfigur war dieser halbvergessene Onkel hauptsächlich in den lebhaften Erzählungen von Kupferbergs Wiener Großvater Walter präsent, der allsonntäglich als Jugendlicher zum Mittagessen abkommandiert im Palais des Onkels sein Wissen, seine Bildung und jugendliche Eloquenz zur Schau stellen musste.
Arriviert, ja hofiert, eine tragende Säule der Wiener Gesellschaft fühlte Isidor sich sicher und zog eine Flucht, die vielen übrigen Familienmitgliedern das Leben rettete, nicht in Betracht. Er wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs verhaftet. Nach der en détail Auflistung seines vollständigen Besitzes in der für Juden obligatorischen sogenannten „Vermögenserklärung“, wurde sein Eigentum geplündert, er ermordet.
Eine ganz erstaunliche Nebenerzählung hat Kupferberg mit dem Leben von Isidors Geliebter entdeckt. Aus vergleichbar desolaten Verhältnissen stammend setzte sich Ilona Hajmassy als Bühnenkünstlerin durch, emigrierte in die USA und wurde dort zur Hollywood-Diva.
Eine Vielzahl an Geschichten erzählt das Buch: höchst erstaunliche, lustige und häufig tragische. Diese Miniaturen innerhalb des spannenden Rechercheprozesses, von denen eine auch das aparte Cover erklärt, berühren und hallen lange nach.