Im Objekt des Monats Dezember 2022 spiegeln sich die Kehrseiten des Goldenen Zeitalters
Das Objekt des Monats Dezember im Museum für Kunst und Kulturgeschichte hat Dr. Christian Walda, Sammlungsleiter und stellvertretender Direktor, ausgesucht und beschrieben. Es ist ein „Stillleben mit Schinken“ aus der Mitte des 17. Jahrhunderts von Pieter Claesz oder einem seiner Nachfolger, das 1965 aus New York in die Sammlung des MKK gelangt ist. Zu finden ist das Ölgemälde im ersten Obergeschoss im Bereich „Wohnen“.
Zum Objekt des Monats Dezember 2022 schreibt der Autor:
Wie auf einer Bühne wirkt die arrangierte Mahlzeit: Ein kleiner Tisch mit weißer Decke, darauf ein großes Stück Schinken inklusive Beinknochen mit zurückgeschlagener Haut auf einem Teller. Accessoires und Beilagen drapieren sich reihum: ein silberner Teller mit Nüssen, Senfglas und einem zersplitterten Glaskelch, rechts das gleiche Gefäß mit Wein gefüllt. Rechts eine Zinnkanne, im Vordergrund eine Messerscheide, ein metallen-verzierter umgekippter Becher sowie ein weiterer Teller mit Brötchen und kleinem Messer.
Stillleben entstanden wie Landschaften und Genreszenen als Motive erst um 1600, Ausgangspunkt sind die Niederlande. Mitbegründer der nordniederländischen Stilllebenmalerei ist Pieter Claesz, der aber darüber hinaus speziell auch das Frühstücks- oder Mahlzeitstillleben hervorgebracht hat. Stillleben sind künstlerische Darstellungen von menschengemachten und gefundenen Dingen, Pflanzen, (meist) toten Tieren in einer ästhetischen Komposition; auf Menschen und deren Handlungen wird verzichtet.
Der deutsche Begriff stammt vom niederländischen „stilleven“, der erstmals schriftlich in einem Inventar von 1650 zu finden ist. Das Kunstideal der Zeit ist es, „naar het leven“ (nach dem Leben) zu malen. Stillleben wie dieses sind weniger bedeutungsgeladen als Vanitas-Stillleben, die auf die menschliche Vergänglichkeit und den Verfall zielen. Vielmehr geht es hier um den Ausdruck von Wohlstand und Reichtum und um eine dekorative Demonstration gehobener Bürgerlichkeit. Gleichzeitig sollen Stillleben nicht nur schmücken, sondern auch zum Nachdenken und zur Unterhaltung anregen.
In Stillleben spiegelt sich ein starkes Interesse der damaligen Zeit an der Natur – das sich in Ausplünderung niederschlägt. Stillleben sind daher auch als „Gesten der Macht“ zu verstehen, wie es im 2022 erschienenen Katalog zur Ausstellung „Augenlust? Niederländische Stillleben im Detail“ heißt. Das so genannte „Goldene Zeitalter“ ist eine pathetische Formel, die sich auf den materiellen Reichtum und das blühende Kulturleben der Niederlande im 17. Jahrhundert bezieht. Damals wurden die Niederlande zur mächtigsten See- und Handelsmacht. Der Aktienhandel weitete sich aus, es entstanden riesige privatwirtschaftliche Unternehmen wie die Vereinigte Ostindische Kompanie.
Auf der anderen Seite stehen Kolonisation, Sklavenhandel und die kreditwirtschaftliche Finanzierung von Kriegen. Die Menschen in der frühen Neuzeit verstanden es zunehmend besser, das wachsende Wissen auch um die Natur technisch für sich zu nutzen. Einige Menschen wurden obszön reich, die meisten sehr viel ärmer. Sichtbar geblieben ist die schöne Seite dieser neuzeitlichen Entwicklungen. Historisches Wissen aber kann das schönste Stück Schinken zum Ausweis gesellschaftlicher Ungerechtigkeit machen.