Braune Böller  – Eine Kolumne von Peter Grohmann

Braune Böller

Von Peter Grohmann

Nein, nicht Neukölln, Borna: In der sächsischen Kleinstadt Borna (Landkreis Leipzig) haben am Silvesterabend etwa 250-300 deutsch- stämmige Menschen auf dem Marktplatz randaliert und Polizei, Einsatzkräfte und den Weihnachtsbaum (!) mit Böllern und Raketen angegriffen. Anwohner berichten von „Sieg Heil“-Rufen und Leute, die mit Vollmasken durch die Kleinstadt zogen. Die sächsischen Vollpfosten attackierten nach Weihnachtsbaum und Polizei auch das Rathaus. 

Natürlich regen sich meine Nachbarn mit Nazihintergrund mehr über den türkisch-syrischen Raketenhagel in Berlin-Neukölln und über Inländer mit Migrationshintergrund auf als über Sachsen oder russischen Granaten auf den Oblast Mykolajiw. Im Feuerzauber von Neukölln ging Borna unter. Im Fall von Neukölln ist’s piepegal, ob schon die Großeltern im Kiez geboren wurden oder die Kids erst gestern ihre Bude bezogen haben. Wenigstens zum Jahreswechsel kannst du klassen- und intelligenzübergreifend die Sau rauslassen und demonstrieren: Wir sind ein Volk – aber ich hab‘ den größten. Kann sein, dass deiner schöner ist oder deiner weiter fliegt, aber meiner hat mehr Sprengkraft. Wenn deiner lauter ist, pfeift meiner gemeiner.
Kinder, das ist doch eine alte Kapitalistenregel: Größer, schöner, weiter, besser, lauter, voller, heller, teurer, dümmer. Wir legen großen Wert auf Nachhaltigkeit, schreibt die Lebensmittelkette tegut und drückt an den Kassen zu Silvester dem nachhaltig gesinnten Publikum nochmal Judenfürze und Schweizer Kracher aufs Auge. Nein, nicht in Berlin, in Degerloch. Bei den Fahrten zu den Silvesterpartys quer durch die Schwabenmetropole ist auch hier die an den Balkonen der Sozialwohnungen vorbeirauschende Mercedes-Flotte ein gesuchtes Opfer für die Knallbonbons. Der Balkon sorgt dafür, dass dir die „Emotionalen Sounds für ein einzigartiges Fahrerlebnis“ schnell vergehen, wenn „der neue, kraftvolle Klang im EQE SUV“ im Doppel-Wumms nicht mehr zu hören ist und dein Heiligs Blechle Schaden nimmt. 

Völker, hört die Signale! Spielt mir das Lied vom Kleinen Trompeter: Die diffuse Ablehnung des Staates in der Silvesternacht sei ein Alarmsignal, leutseligen die Regierenden. Wieso in der Silvesternacht? Sonst alles OK? 

Mehr Intelligenz wagen! Demokratie muss nicht nur erklärt werden, man muss sie auch verstehen. Betuchte Demokraten können sie sich kaufen, samt Zubehör. Minderreiche gucken in die Röhre oder in den Mond. Logisch – unser Staat kann sich nicht um alles kümmern – selbst ist die Frau! Allerdings sorgt sich nicht nur hierzulande der Staat zuvörderst dafür, dass zunächst alles mal so bleibt, außer in Lützerath. Es ist wie ein Exzess mit längerem Atem, würd‘ meine Omi Glimbzsch in Zittau sagen, Silvester-Feinstaub ignorieren und auf die Mikroplastik im grünen Salat und bei den Roten Beten verweisen: Rad-Abrieb, Autoverkehr, von hinten und von vorne. 

Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de