Stuttgarter Spätzünder – Eine Kolumne von Peter Grohmann

Stuttgarter Spätzünder 

Während ukrainische Flüchtlinge mit Klaviermusik in Polen empfangen werden, weist das Land Flüchtlinge aus anderen Ländern aus rassistischen Motiven ab, stellte meine polnische Freundin Zara neulich fest. Die Welt ist nun mal ungerecht, sagte ich ihr, sonst wär‘ sie ein Paradies, und das will auch wieder niemand. Sie etwas gerechter zu machen, führt schnell zu Streit.

Nehmen wir Emma Herwegh: Sie wird heute als waffentragende Frau geehrt, Präsidenten und Kanzler verneigen sich vor Emma, wg. 1848, während mann Bertha von Suttner (Pazifistin, *1843) umgehend zum Teufel jagen würde, eben deshalb – oder (am liebsten) an die Wand stellen tät‘, rein symbolisch. Bei der Suche nach Stauffenberg, gewissermaßen ein Stuttgarter Spätzünder, stoßen wir auf die Stiftung 20. Juli, und die listet heute auf, was im Widerstand gegen die Tyrannen seinerzeit getan wurde oder hätte oder können oder müssen und sollen (https://www.was-konnten-sie-tun.de) – ein Arsenal verrückter Ideen! Da steht doch tatsächlich und schwarz auf weiß: „Den Kriegsdienst verweigern“ und „Feindsender“ hören, Informieren, Kriegsrealität sichtbar machen, Kriegs-dienstverweigerer verstecken, Aufrütteln, Ausweise fälschen, Flugblätter verbreiten, Verfolgten helfen, Umsturz planen, den Tyrannen stürzen, den Krieg beenden. „Da wirste ja ganz meschugge“, kommentierte meine Omi Glimbzsch aus Zittau, als sie googelte und einen russischen Deserteur versteckte.

Apropos Deserteure: Wer in Kasachstan den Militärdienst verweigern will, haut am besten nach China ab. Der Rotchinese liefert nicht aus. Andererseits ist der kasachische Tyrann Tokajew bei uns wohlgelitten. Kein Wunder, die liefern uns Rohstoffe und sind Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner in Zentralasien. Die muss man sich warm halten wie die Mullahs von Teheran oder die Netanjahus und Erdogans dieser Welt oder den Amazonas-Regenwald. Den Fuß drinhaben, Leute! Beim Regenwald ist die Deutsche Bahn Mittäterin und Mitplanerin bei einer privaten Gütereisenbahn und einem Hafen zum Export von Rohstoffen – klar, nach Europa! Wen juckt’s, wenn der Regenwald, die Cerrado-Savanne und die dort lebenden Menschen bedroht sind? Die deutsche Entwicklungsbank KfW und die Entwicklungsgesellschaft GIZ prüfen bereits, wie das Projekt unterstützt werden kann, der Ampel sei Dank. Wenn wir’s nicht machen, machen’s die Scheichs oder die Japaner…

Warum begannen wir, an Götter zu glauben, an Nationen, an Menschenrechte? Warum setzen wir Vertrauen in Geld, Bücher und Gesetze und unterwerfen uns der Bürokratie, Zeitplänen und dem Konsum? Und hat uns all dies im Lauf der Jahrtausende glücklicher gemacht, fragt Yuval Noah Harari? Der israelische Militärhistoriker, Professor in Jerusalem, sieht sein Land auf dem Weg in eine Diktatur. Er wird’s wissen, und manchmal sowas schneller, als die Polizei erlaubt.

Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de