„Objekt des Monats Mai“ im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK)

MKK; Foto: Archiv MIT

Rodin-Skulptur begrüßt BesucherInnen direkt im Eingang

Sie steht direkt im Eingangsbereich des Museums für Kunst und Kulturgeschichte: Auguste Rodins Bronze-Skulptur „Jean d’Aire“ („Bürger von Calais“), entstanden um 1890. Dr. Jacques Heinrich Toussaint, Leiter der Kunst im öffentlichen Raum, hat die Skulptur als „Objekt des Monats Mai“ im Museum für Kunst und Kulturgeschichte ausgewählt und beschrieben.

„Jean d’Aire“ ist das erste Kunstwerk, das BesucherInnen begegnet, wenn sie das MKK betreten. Im Eingangsbereich der ehemaligen Sparkassenfiliale nimmt es eine interessante Position zwischen dem geschützten Kunstraum und dem Stadtraum ein. Die polierte Bronzeplastik, um 1890 entstanden und 1963 vom Museum am Ostwall akquiriert, wurde ursprünglich im Park des Museums ausgestellt, wo sie mehrfach Opfer tätlicher Angriffe war und sogar umgestürzt wurde. Aus Sicherheitsgründen wurde sie deshalb in den Westfalenpark versetzt, bevor sie als Dauerleihgabe die Sammlung des MKK erreichte.

Die etwas größer als mannshohe Plastik stellt eine männliche Figur dar, die mit einem Umhang bekleidet ist und die mit beiden Händen einen überdimensionalen Schlüssel hält. Sie trägt eine Schlinge um den Hals. Ihr Kopf ist nach vorne gedreht und zeigt einen angespannten Gesichtsausdruck mit zusammengepressten Lippen und hängenden Mundwinkeln.
Es handelt sich um ein Werk von Auguste Rodin (1840-1917), einem der bedeutendsten französischen Bildhauer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er gilt als einer der Väter der modernen Bildhauerei, seine Kunst ist weithin bekannt und in fast allen Regionen der Welt in Museen ausgestellt und in öffentlichen Räumen und Plätzen aufgestellt.

„Jean d’Aire“ ist die Nachbildung einer Figur aus dem Denkmal „Die Bürger von Calais“ (original: „Les Bourgeois de Calais“), das Rodin im Auftrag der Stadt Calais schuf und das 1895 vor dem Rathaus aufgestellt wurde. Das Denkmal stellt sechs Großbürger der Stadt Calais dar, die sich im August 1347 einem vom englischen König Edward III. angeordneten Kapitulationsritual unterwerfen. Rodin beteiligt sich an der Mythisierung der historischen Episode, indem er ein banales Ritual der Kapitulation, der Wiedergutmachung und der Demütigung, das im Mittelalter nach einer Belagerung üblich war, in eine heroische Tat verwandelt: er stellt sechs ehrenhaften Bürger dar, die bereit sind, das Leben zu opfern, um die Stadt vor der Zerstörung zu bewahren.

„Die Bürger von Calais“ ist ein Schlüsselwerk der Kunstgeschichte, aus mehreren Gründen. Der Künstler wagt hier einen Bruch mit dem damals nicht nur in der Monumentalkunst weitverbreiteten Akademismus, der die strenge Einhaltung der formalen technischen und ästhetischen Regeln der Kunstakademien propagierte. So besticht die Figurengruppe durch den Realismus in der Darstellung eines Moments, in dem völlig unterschiedliche und gegensätzliche Emotionen wie Todesmut und Todesgefahr, Entschlossenheit, Angst und Zögern aufeinanderprallen. Der Beobachter ist mit menschlichen Empfindungen konfrontiert, von Heldentum ist keine Spur.

Zudem überholt die Darstellung in einer kubisch anmutenden und offenen Figurengruppe den zur damaligen Zeit weit verbreiteten Typus des pyramidenförmigen Denkmals, mit dem der Vorbildcharakter einzelner bedeutender Personen betont werden sollte. Noch bahnbrechender ist Rodins Vorschlag, das Denkmal ohne Sockel zu präsentieren, um die Figuren näher an den Betrachter heranzubringen, als wären sie Bürger unter Bürgern.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert, als man zahlreiche Denkmäler geschaffen hat, die mit viel Pathos die Verbundenheit des Volkes zur Nation verstärken sollten, standen Monumentalfiguren normalerweise auf hohen Sockeln, entrückt und beeindruckend erhaben. Rodins Vorstoß wurde deshalb von den Auftraggebern nicht akzeptiert. Die Kritik und die Vorbehalte, die das Denkmal besonders auf lokaler Ebene hervorrief, wichen allmählich einer einvernehmlichen Aneignung. So wurden noch zu Lebzeiten Rodins vier Kopien in Bronze gegossen, aber erst nach seinem Tod wurde das Denkmal 1924 in Calais ohne Sockel präsentiert.

 „Jean d’Aire“ (der zum Zeitpunkt der Entstehung einfach als „Bürger von Calais“ bezeichnet wird) ist, wie andere Figuren der „Bürger von Calais“, mehrfach und in verschiedenen Größen nachgegossen worden. Es gibt auch einzelne Details der Figur, wie den Torso oder den Kopf, die als eigenständige Werke realisiert wurden, sowie Variationen, z.B. eine Version von Jean d’Aire ohne Gewand. Das Spiel mit den Maßstäben, das Verhältnis zwischen Detail und Ganzheit, die Verwendung verschiedener Materialien wie Gips, Terrakotta oder Steingut und die unterschiedlichen Oberflächenbehandlungen wie Patinierung oder Emaillierung sind beispielhaft für Rodins kreative Vorgehensweise, bei der Vervielfältigung, Fragmentierung oder Variation der bereits realisierten Werke als künstlerische Mittel eingesetzt werden.

Quelle: Pressestelle der Stadt Dortmund; Foto: MKK – Joana Maibach; zur Vergrößerung des Fotos dieses bitte anklicken!