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Mario Lars: Bücher

Nina Burton: Notizen aus dem Sommerhaus

„Als ich ankam, war es noch winterlich kühl. Das Licht verlieh jedem noch so kleinen Kieskörnchen Kontur und Schatten im kahlen Erdboden, in dem alles bereitlag, um mit Leben bekleidet zu werden. Eine Kohlmeise flötete über einigen Huflattichen, und vieles andere war mit Sicherheit dabei, sich in Knospen und samengefüllten Zapfen zu formen. Es schien mir, als würden mich tausend Entdeckungen erwarten.“Wir dürfen Nina Burton über mehrere Jahre vom Frühjahrsbeginn bis zum sich ankündigenden Herbst dabei begleiten, wie sie ein altes Sommerhaus in Schweden renoviert, in ihm lebt und uns durch ihre direkte Umwelt führt. Wir lernen die Bewohner dieser nur scheinbar kleinen Welt auf eine Art kennen, die stets unser Erstaunen und unsere Begeisterung weckt. Die Fülle von Tieren wie Hummeln, Bienen, Ameisen, Dachse, Rehe, Eichhörnchen, Kraniche, Wildgänse, Blaumeisen und viele mehr lassen sich von den verschiedensten Seiten aus betrachten. Burtons Begegnungen mit ihnen, ihre Evolutionsgeschichte, ihre absolut verblüffenden, im Vergleich mit dem Menschen unglaublichen Fähigkeiten, den Stand der aktuellen Forschung, die neuesten Nachrichten und Berichte aus Biologie und Politik sowie die Rolle der Tiere in Geschichte und Literatur zeigen ein Kaleidoskop der Lebensformen, Wahrnehmungsarten und Kommunikationsmöglichkeiten, das in dieser poetischen Zusammenschau überwältigt.

Nina Burton erwarb das etwas baufällige Sommerhaus, um „über die Natur und das Leben“ zu schreiben. Inspiriert von der Idee der Enzyklopädie, die „Großem und Kleinem das gleiche Gewicht gibt, die Welt von verschiedenen Seiten aus beleuchtet“ vereint Burton Literatur und Naturgeschichte zu intelligenter, großartiger Unterhaltung. Eine überzeugende Rehabilitierung der Stadttauben und Krähen steht gleichberechtigt neben dem Universalblick auf alle Lebewesen: Wir alle sind ein „Abfallprodukt toter Sterne“. Die – vordem nur gedachte – Sphärenmusik könnte eine in Klänge umgewandelte NASA-Aufnahme der elektromagnetischen Erdvibrationen sein, eine „brausende Harmonie ohne Anfang und Ende.“ Zu den Millionen Ausdrucksformen der Lebewesen, all den Düften, Farben, Bewegungen, Lauten, chemischen Signalen, Wellen, elektrischen Feldern – Lebenszeichen eben – treten die im tiefsten Inneren jeden Lebewesens „still vibrierenden Akkorde der Gene“, die nie endend mit der gesamten Sphäre der Kommunikation der Erde eine stets unvollendete Symphonie des Lebens ergeben.

Burton erweitert unseren Blick über das Tierreich hinaus. Ihre leidenschaftliche Analyse der Lebewesen schließt auch Pflanzen und Mikroorganismen ein. Unser Stammbaum umfasst eben auch Bakterien und beginnt mit der Urzelle LUCA (Last Universal Common Ancestor). Die Grenzen zwischen dem Tier-, Pflanzen- und Mikrobenreich sind im Licht der naturwissenschaftlichen Forschung nicht mehr klar zu ziehen und von all diesen Vorfahren tragen wir genetische Spuren in uns, so dass wir unsere Erbanlagen nicht nur mit Fledermäusen, sondern auch mit Bäumen teilen. Wie sieht es dann mit einem Bewusstsein des Hofbaums des Sommerhauses aus? Über die Fähigkeit, auf Zellebene zu kommunizieren und Erinnerungen zu speichern, verfügt er. Nur seine Sinneswelt und sein Zeitrhythmus sind anders als bei uns.

Dieses kluge und tiefgründige Erfahrungs- und Wissensbuch ist dabei warmherzig und sanft: „Ich stellte den Stiel der Fetthenne zwischen ein paar Zweige in einem Krug auf den Verandatisch. Sofort kam eine Spätsommerhummel, um nach Nektar zu suchen. Flügelsirren und Blätterrauschen hüllten mich in den Klang des Lebendigen. Dann wurde die Westwand von einem Ast der Birke berührt, und als ich aufblickte, hatte sich gerade ein Eichhörnchen gemütlich auf dem Baum hingelegt. Es gehörte der neuen Generation an, die das Grundstück bald übernehmen würde. Schläfrig betrachtete es mich und schloss dann eine Weile die Augen. Die Luft war klar und leicht. Für die Zugvögel wurde es allmählich Zeit aufzubrechen. Ich träumte nicht mehr davon, sie zu begleiten. Die gesättigte Luft, die sie trug, existierte auch hier. Ich war glücklich.“

Hella Koch – Buchhandlung am Amtshaus