Heute:
MIT fragt Jens Peick – MdB der SPD-Fraktion und Vorsitzender der Dortmunder SPD
Vorbemerkungen:
Reger Betrieb war im Sommer 23 an einem Sonnabend rund um das Abgeordnetenbüro im Mengeder Saalbau. Der Grund: Beim SPD-Stadtbezirk Mengede war MdB Jens Peick – zugleich auch Vorsitzender der Dortmunder SPD – zu Besuch.
MIT hat über den Besuch berichtet (s. Beitrag vom 22.7. mit nebenstehendem Foto – MdB Peick 3. v. rechts) und die Frage gestellt, warum sich – nach den äußeren Eindrücken wohlgemerkt – nur wenige Marktbesucher getraut haben, auf Jens Peick zuzugehen und spontan oder gut vorbereitet aktuelle Fragen zu stellen.
Für viele BürgerInnen fehlt eine schlüssige Erklärung, warum das Interesse an den politischen Parteien nachlässt, obwohl die einzelnen Akteure – wenn sie befragt werden – glaubhaft erklären, „am persönlichen Engagement liegt es nicht – wir arbeiten ohne Ende und haben kaum Möglichkeiten uns auszuruhen“.
Dem nahliegenden Gedanken folgte sogleich die Tat: Fragen wir doch mal die Abgeordneten, zu deren Wahlkreis der Stadtbezirk Mengede zählt.
Die Idee: MIT gibt diesen Abgeordneten die Gelegenheit, ausführlich über ihre Arbeit zu berichten – und das nicht nur vor den Wahlen.
Wir startete die Serie mit Jens Peick. Er hat uns auf den Gedanken gebracht – er war mutig genug, sich auf das Experiment einzulassen.
Allerdings: Der Ausgang des Experiments ist ungewiss.
Eröffnet haben wir die Serie mit einem Interview, das wir am 3.10.23 auf MIT veröffentlicht haben. Für die heutige Fortsetzung haben wir Jens Peick gefragt:
MIT:
Was tun gegen den Rechts (d) ruck?
MdB Peick:
Erstmal gilt es anzuerkennen, dass es einen Rechtsruck in unsere Gesellschaft gibt. Aktuell erleben wir ein Erstarken der AfD. Diesen Sommer ist ein AfD-Politiker zum Landrat des Kreises Sonneberg gewählt worden. Bei den Landtagswahlen im Oktober wurde die AfD in Hessen zweitstärkste, in Bayern drittstärkste Kraft nach den Freien Wählern, welche mit Spitzenkandidat Aiwanger zuletzt durch einen Antisemitismus-Skandal bundesweit im Gespräch waren. Dies hielt in Bayern fast 16 Prozent der Wähler*innen nicht ab, den Freien Wählern ihre Stimme zu geben. Damit wird klar, die steigende Zustimmung zu den rechtsextremen Positionen der AfD ist kein ostdeutsches Problem.
Die Brandmauer nach rechts steht nicht mehr. Es gelingt den Demokrat*innen nicht mehr, gemeinsam AfD Kandidat*innen zu verhindern. Auch deshalb, weil viele die tatsächliche Gefahr nicht sehen und nicht sehen wollen. Auf vielen Ebenen hat eine Normalisierung stattgefunden. Viele haben sich damit abgefunden, dass die AfD zur Parteienlandschaft gehört.
Die Ursachen für dafür sind vielfältig. Klar ist: Von denjenigen, die die AfD wählen oder mit ihr sympathisieren, wird der Staat als nicht funktionsfähig betrachtet. Sie wähnen das System in Gefahr und betrachten die regierenden Parteien als Befürworter*innen einer vermeintlichen Verschlechterung, die sie wahrnehmen.
Natürlich ist ein funktionierender Staat Voraussetzung für Demokratie – und de facto hat die Bewältigung der zahlreichen Krisen in den letzten Jahren gezeigt, dass unser Staat und unsere Regierung nicht dysfunktional sind, sondern im Gegenteil, gut und flexibel auf die teilweise extremen Herausforderungen reagiert haben.
Aber es gibt Probleme, die augenscheinlich lösbar wären und bei denen es schwer fällt zu erklären, warum trotz intensiver Diskussion noch keine Lösung erfolgt ist. Als Beispiel braucht man nur marode Brücken und Straßen, komplizierte Verwaltungsvorgänge oder die ständigen Ausfälle und Verspätungen der Deutschen Bahn zu nennen. Probleme, die schon so lange debattiert werden, dass durchaus der Eindruck entstehen oder erzeugt werden kann, Politik sei nicht motiviert oder handlungsfähig.
Viele Menschen haben diesen Eindruck, weil ihre Probleme in den Nachrichten nicht behandelt werden und sie als Menschen, die tagtäglich ihrer Arbeit nachgehen, nicht wahrgenommen werden. Ihnen fehlen Respekt und Anerkennung für ihre Leistungen. Sie finden sich nicht im Parteienspektrum wieder. Hier in den Dialog zu gehen und diese Leute nicht einfach „abzuschreiben“ war für mich in den über zwanzig Jahren, die ich mittlerweile ehrenamtlich Politik mache, immer der Anspruch an mich selbst.
Von all dem unberührt ist die tatsächliche Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft und die ungleiche Verteilung von Anerkennung für Arbeit. Die vermeintliche Einzelleistung von Multi-Milliardären, Managern, Profisportlern und YouTube-Stars gilt als Vorbild für den selbstverdienten und selbstgemachten Erfolg. Der Rest der Gesellschaft, der mit seiner Arbeit die Bedingungen für den Erfolg einzelner weniger schafft, schaut ins Leere. Wer sich für das Allgemeinwohl einsetzt, für uns alle – ob als Pflegekraft, ob am Fließband, im Straßenbau, in der Verwaltung oder auch ehrenamtlich in der Politik, ist der Dumme. Das darf mit der Sozialdemokratie nicht gesellschaftliche Realität sein und in diesem Sinne mache ich Politik.
Wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederherstellen wollen, brauchen wir eine neue Gemeinwohlorientierung. Die Spaltung unserer Gesellschaft überwinden wir, indem wir das Gemeinsame in den Mittelpunkt stellen, das erfordert Solidarität und Kompromissbereitschaft. Aber auch eine gerechte Verteilung der Finanzierung unseres Staats, unserer Solidarsysteme und der Daseinsvorsorge – kurz unseres Gemeinwohls.
Dem rechtspopulistischen Dreiklang von „mein Volk zuerst, meine Familie zuerst, ich zuerst“ müssen wir auch die ökonomische Basis entziehen. Indem wir Steuern als das honorieren, was sie sind – nämlich ein Beitrag für unser Gemeinwohl. Indem wir Steuerhinterziehung und -vermeidung als das brandmarken, was es ist – nämlich ein Verbrechen an uns allen und kein Kavaliersdelikt. Indem wir Vermögen und Eigentum so einsetzen, dass es allen hilft und nicht einzelnen.