Plädoyer für ein bundesweites Böllerverbot
Von Diethelm Textoris
Wir schreiben das Jahr 2024. Es ist kurz nach Mitternacht. Wie jedes Jahr um diese Zeit sitze ich auf dem Boden und versuche, den Hund zu beruhigen und ihn vor zu großem Stress und Aufregung zu bewahren. Ich habe sämtliche einschlägigen Ratschläge befolgt: Fenster und Türen zugemacht und die Rolladen heruntergelassen, Leckerlis zum Ablenken halte ich bereit. Wir haben den Fernseher laut gestellt und einen Sender gewählt, der Musik überträgt. Die Maßnahmen haben teilweise gefruchtet, er hechelt zwar ununterbrochen, aber sein Körper zittert nur leicht. Früher war Cooper längst nicht so geräuschempfindlich. Bis vor ein paar Jahren jemand aus der Nachbarschaft ganz in seiner Nähe einen Knallkörper explodieren ließ. Seitdem ist er nahezu traumatisiert und leidet er in jeder Silvesternacht. Auch schon an den Tagen vorher, wenn besonders ungeduldige Knallköpfe es nicht erwarten können. Als ich am Silvestermittag vor dem Café „Symbol“ am Markt saß, explodierten in unmittelbarer Nähe unter dem Durchgang zum Marktplatz ein paar Böller. Cooper zitterte am ganzen Körper, im Kopfbereich so stark, dass er besorgte Blicke anderer Gäste auf sich zog, die fragten: „Was ist mit dem Hund los?“ Das alles, obwohl seine Hörfähigkeit altersbedingt schon erheblich nachgelassen hat. Was mir dann immer wieder durch den Kopf geht: „Was soll das Ganze? Warum können unschuldige Tiere und Ruhe und Beschaulichkeit liebende Mitmenschen nicht stressfrei in das neue Jahr gleiten. Warum bürdet man Ärzten, Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften in ihren eh schon anstrengen Berufen in der Silvesternacht und kurz danach noch massive zusätzliche Belastungen zu?“
Befürworter der Knallerei bringen immer wieder Argumente wie „schöne und schützenswerte Tradition“ und „persönliche Freiheit“ ins Spiel. Sicher, in früheren Zeiten hat man gerne die bösen Geister mit lauten Geräuschen vertrieben. Aber da benutzte man meist Trommeln und Rasseln. Wer glaubt aber heute noch an böse Geister? Wenn ja, die bösen Geister unserer Zeit lassen sich eh nicht mit Knalleffekten vertreiben. Über 300 Jahre war es eine schöne Tradition, unschuldige Frauen und Mädchen unter großem Publikumsbeifall zu quälen und dann auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Auch diese Tradition hat man fallen gelassen, was sicher anfangs auch einige bedauert haben mögen. Persönliche Freiheiten finden dort ihre Grenzen, wo sie die der anderen berühren. Viele Menschen würden gerne ohne Lärmbelästigungen ins neue Jahr hinein feiern. Besonders betroffene Personengruppen habe ich oben aufgezählt.
Auch den Tieren sollte man das Recht zugestehen, unter der Freiheitsausübung der Menschen nicht unnötig zu leiden. Das betrifft nicht nur die Haustiere, auch die Nutztiere auf der Weide und in den Ställen, und auch die Wildtiere, die Vögel, die hoch aufsteigen und damit Kräfte verzehren, die sie fürs Überleben im Winter brauchen, die Rehe, die flüchten und an Zäunen verenden, um nur einige Beispiel zu nennen.
Außerdem halte ich es für widersinnig, Feuerwerksraketen in die Luft zu schießen und sich an explosionsartigen Geräuschen zu erfreuen, während in gar nicht so weit entfernten Regionen echte Raketen und Geschosse zu ähnlichen Geräuschen Verletzungen, Tod und Verderben bringen. Aber auch die „harmlosen“ Feuerwerkskörper sind nicht ohne. Denken wir nur an die unzähligen schweren Verletzungen in jedem Jahr. Von der Feinstaubbelastung und der CO2 Emissionen ganz zu schweigen.
Wenn man sich die spontanen und auch die repräsentativen Umfragen ansieht, stellt man fest, dass sich eine große Mehrheit der Bevölkerung gegen die Knallerei in der Silvesternacht ausspricht. Warum kann sich dann die Mehrheit nicht gegen die Unvernünftigen durchsetzen? Weil bei Unvernunft Argumente nicht zählen. Also bleiben nur Verbote übrig, wie wir sie ja schon bei den Korona-Schutzmaßnahmen erlebt haben. Warum scheuen sich Politiker davor? Vielleicht ist es eine starke Lobby der Feuerwerkskörperhersteller und Händler. Von denen kommen auch die bekannten Arbeitsplatzargumente. Aber die Herstellung der Böller ist genau wie die Waffenproduktion hochtechnisiert, also wenig arbeitsintensiv. Der Handel stellt sicher für den einmaligen Run zum Jahresende keine zusätzlichen Dauerbeschäftigten ein. Und bei den Politikern ist es sicher wieder eine diffuse Angst vor Stimmenverlusten.
So befürchte ich, dass auch beim Jahreswechsel 1924/25 wieder am Boden sitzen werde und einen vor Angst zitternden Hund zu beruhigen versuche.